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Südbrasilien und die zahlreichen Umweltdesaster

Nádia Pontes
6. Mai 2024

Nach vier Naturkatastrophen in weniger als zwölf Monaten fragen sich viele, warum die Region so häufig von Unwettern betroffen ist. Umweltschützer werfen Politik mangelndes Bewusstsein für Prävention und Klimawandel vor.

Brasilien Porto Alegre 2024 | Zwei Hochstraßen, die im braunen Schlamm versinken:  Drohnenaufnahme des überschwemmten Stadtzentrums von Porto Alegre, Hauptstadt des Bundesstaates Rio Grande do Sul
Unter Wasser: Eine Drohnenaufnahme zeigt das überschwemmte Stadtzentrum der Landeshauptstadt Porto AlegreBild: Renan Mattos/REUTERS

Die schweren Regenfälle im Süden Brasiliens haben bislang mindestens 83 Todesopfer gefordert. Weitere 111 Menschen werden vermisst, teilte der Zivilschutz des brasilianischen Bundesstaates Rio Grande do Sul am Montag (06.05.) mit.

Mindestens 345 der 497 Gemeinden des Bundesstaates sind von den massiven Regenfällen und Überschwemmungen, die vor einer Woche begonnen haben, betroffen. Im ganzen Bundesstaat sind mehr als 121.000 Obdachlose bei Verwandten oder Freunden untergebracht, weitere 19.000 in Notunterkünften. Hunderttausende Häuser sind ohne Wasser oder Strom.

Das historische Zentrum der 1,4-Millionen-Einwohner-Landeshaupststadt Porto Alegre, die am Fluss Guaíba liegt, ist völlig überflutet. Der Guaiba erreichte nach Angaben der örtlichen Behörden einen neuen Höchststand von 5,32 Metern – weit über dem bisherigen Rekordwert von 4,7 Metern aus dem Jahr 1941.

Der Gouverneur von Rio Grande do Sul, Eduardo Leite, verglich die Situation mit einem "Kriegsszenario" und bezeichnete die Überschwemmungen als die schlimmste Katastrophe in der Geschichte des Bundesstaats. Er forderte einen "Marshallplan" mit großen Investitionen, um den Wiederaufbau vorantreiben zu können.

Überflutete Häuser in der Stadt Canoas, in der Metropolregion Porto AlegreBild: Amanda Perobelli/REUTERS

An Sonntag hatte sich Präsident Luiz Inácio Lula da Silva vor Ort in Rio Grande do Sul persönlich ein Bild von den Rettungsarbeiten gemacht. Gemeinsam mit Gouverneur Leite und den Präsidenten der beiden Parlamentskammern besuchte er das Katastrophengebiet und sagte den Betroffenen die Hilfe der Regierung zu.

Blockierte Kaltfronten

Zwar waren die Behörden auf intensive Niederschläge während der gesamten Woche vorbereitet, so der Meteorologe Marcelo Seluchi von der brasilianischen Behörde für die Überwachung und Warnung vor Naturkatastrophen, Cemaden. Allerdings hatte man nicht mit Wassermassen in dem verzeichneten Ausmaß gerechnet.

Die zentrale Region von Rio Grande do Sul ist von zwei sich überschneidenden klimatischen Phänomenen getroffen worden. Zum einen sorgte im Zentrum Brasiliens ein Hochdruckgebiet für eine für den Monat  Mai außergewöhnliche Hitzewelle.

Diese verhinderte, dass die aus dem Süden kommenden Kaltfronten vorankamen. Durch die Blockade der Kaltfronten staute sich das gesamte Wasser über Rio Grande do Sul und verursachte stundenlange Regenfälle. Hinzu kamen noch die Nordwinde, die über die so genannten fliegenden Flüsse Feuchtigkeit aus dem Amazonasgebiet herantragen.

"Wahrscheinlich gibt es auch den Einfluss von El Niño, der jetzt im Mai nachlässt. Die Hitzewellen sind deswegen immer noch stark", sagt der Klimaexperte Tércio Ambrizzi, von der Universität von São Paulo (USP).

Für Seluchi könnte kein Ort auf der Welt einer solchen Situation standhalten. "Vielleicht sollte es Notfallpläne geben, Präventionspläne, die während der Trockenzeit erstellt werden. Aber das macht man nicht von einer Woche auf die andere. Das ist es, was fehlt", sagte er.

Vorausgesagte Tragödie

Die aktuellen Überschwemmungen sind bereits die vierte Klimakatastrophe in Rio Grande do Sul in weniger als zwölf Monaten.  2023 gab es Überschwemmungen im Juni, September und November, die insgesamt 80 Todesopfer forderten.

Laut Umweltschützerin Miriam Prochnow, von der Nichtregierungsorganisation Apremavi, werden Warnungen vor extremen Wetterereignissen von den Behörden in Rio Grande do Sul nicht ernst genommen.

"Die Städte ignorieren die Tatsache, dass dies bei der Stadtplanung berücksichtigt werden sollte. Sie denken nicht daran, die Menschen aus den Risikogebieten umzusiedeln, sondern erlauben die Besiedlung von Gebieten, in denen es bereits Hochwasserereignisse gegeben hat. Sie ignorieren einfach die Klimakrise", so Prochnow gegenüber der DW.

Die Geografin Karina Lima, die an der Bundesuniversität von Rio Grande do Sul über Wetterextreme und Klimawandel forscht, weist darauf hin, dass der Bundesstaat in einer Zone liegt, die stark von El Niño und La Niña beeinflusst wird. La Niña symbolisiert ein gegenüber El Niño völlig diametrales Wettergeschehen, welches mit einer Verstärkung der normalen tropischen Passat-Ostwinde einhergeht.

"Mathematische Modelle sagen seit langem voraus, dass in Rio Grande do Sul der Trend zu steigenden durchschnittlichen jährlichen Niederschlägen und zu extremen Niederschlägen anhalten wird. Im Bundesstaat, der so anfällig für Extremereignisse ist, müsste mehr in Prävention investiert werden", sagt Lima.

Mit Schlamm bedeckte Autos in der Stadt Encantado, Rio Grande do SulBild: Diego Vara/REUTERS

Für den Umweltschützer Clóvis Borges, Geschäftsführer der nichtstaatlichen Gesellschaft für Wildtierforschung und Umwelterziehung (SPVS), hat Rio Grande do Sul schon vor vielen Jahrzehnten seine Widerstandsfähigkeit gegenüber Klimaextremen verloren.

"Es war der erste brasilianische Bundestaat, der sein gesamtes Territorium mit landwirtschaftlichen Nutzflächen überzog. Naturbelassene Flächen wurden praktisch vernichtet", sagt Borges und weist darauf hin, dass in Rio Grande do Sul nur noch sieben Prozent des ursprünglichen Waldes vorhanden sind.

"Ein wesentlicher Teil der Todesfälle und des wirtschaftlichen Schadens, den wir jetzt erleben, ist auf die Nichteinhaltung der Umweltvorschriften zurückzuführen. Wenn die politische Klasse dies weiterhin verdrängt, werden wir noch härtere Zeiten erleben", sagt Borges.

"Wir müssen die Leugnung des Klimawandels bekämpfen, denn die Katastrophen werden immer schlimmer", sagt der Umweltschützer Heverton Lacerda von der Umwelt-NGO Agapan. "Die derzeitigen Regierungen, sowohl im Bundesstaat als auch in der Hauptstadt und anderen Städten im Landesinneren, haben Klimaleugner an ihrer Spitze. Das zeigt sich dann auch in der Politik, die sie machen", so Lacerda gegenüber der DW.

Lacerda führt als Beispiel einen Gesetzentwurf eines Bundesabgeordneten an, der im vergangenen März vom Abgeordnetenhaus in der brasilianischen Hauptstadt Brasília verabschiedet wurde.

Das Gesetz erlaubt die Abholzung der einheimischen Vegetation, die nicht zu den Wäldern gehört. Dazu gehören die Pampa, da Pantanal sowie Teile des Cerrado, Feuchtsavannen im Inland Südost-Brasiliens. Damit könnte die Vegetation eines Gebietes, das doppelt so groß ist wie der Bundesstaat Rio Grande do Sul, verschwinden. Das Gesetz muss noch vom Senat, dem Oberhaus des brasilianischen Parlaments, verabschiedet werden.

Der Text wurde aus dem Portugiesischen adaptiert. 

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