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Neuer Präsident in Südkorea - und Ende einer Staatskrise

Martin Fritz aus Tokio
4. Juni 2025

Mit der Wahl des linksliberalen Lee Jae-myung kehrt die angeschlagene südostasiatische Demokratie Südkorea zur politischen Stabilität zurück. Wofür steht er - auch in Bezug auf Nordkorea?

Südkorea Seoul 2025 | Lee Jae-myung spricht vor Anhängern nach Präsidentenwahl (04.06.2025)
Wahlsieger Lee Jae-myungBild: Kim Hong-Ji/REUTERS

Südkoreas neuer Präsident, Lee Jae-myung von der Demokratischen Partei, hat sich aus tiefer Armut zum Anwalt für Menschenrechte hochgearbeitet. Er überstand einen schweren Arbeitsunfall als Fabrikarbeiter, überlebte einen Suizidversuch und ein Messerattentat. Nun wird seine Widerstandsfähigkeit erneut auf die Probe gestellt. 

Als Präsident muss der 61-jährige linke Politiker die tiefen Gräben zwischen den Generationen und Geschlechtern in Südkorea überbrücken. Zugleich gefährden die erhöhten Importzölle von US-Präsident Donald Trump, vor allem auf Autos, sowie seine Beschränkungen für Chipexporte nach China die Grundlagen des Wohlstands und den sozialen Frieden in Südkorea.

Lee muss auch Antworten auf Nordkoreas Abkehr von der Wiedervereinigung und dessen Bündnis mit Russland finden. Zudem kämpft der ostasiatische Tigerstaat mit der weltweit niedrigsten Geburtenrate.

Klarer Sieg

Die Wähler gaben ihm mit über 49 Prozent der Stimmen und acht Prozentpunkten Vorsprung bei der höchsten Wahlbeteiligung seit 28 Jahren ein solides Regierungsmandat. Zusammen mit der komfortablen Mehrheit seiner Partei in der Nationalversammlung verfügt Lee somit über weit bessere Startvoraussetzungen als sein abgesetzter Vorgänger Yoon Suk-yeol. 

Der Wahlsieg eines Oppositionsführers spiegelt die schwere politische Krise wider, die Ex-Präsident Yoon vor einem halben Jahr durch die überraschende Ausrufung des Kriegsrechts ausgelöst hatte. Yoon begründete den Schritt mit einer Gefährdung der freiheitlichen Ordnung durch die angeblich kommunistisch unterwanderte Opposition, die mit ihrer Mehrheit im Parlament wichtige Gesetzesvorhaben von Yoons Regierung verhinderte. 

Doch Südkoreas Demokratie zeigte Stärke. Das Parlament stoppte das Kriegsrecht binnen weniger Stunden, das Volk protestierte auf den Straßen und das Verfassungsgericht bestätigte die Absetzung des Präsidenten.

Konservatives Lager geschwächt

Aufgrund dieser Umstände ging Lee als Favorit in die Präsidentenwahl. Sein stärkster Gegenkandidat, Kim Moon-soo von der konservativen People Power Party, hatte sich als einziger Minister des Yoon-Kabinetts lange geweigert, sich für seine Rolle bei der Ausrufung des Kriegsrechts zu entschuldigen. Daher war das klare Wahlergebnis keine Überraschung, auch wenn Kim in den letzten Umfragen näher an ihn herangerückt war. 

Wahlgegner Kim Moon-soo (m.) gestand NiederlageBild: Jung Yeon-je/AFP

"Der nun gewählte Präsident hat die Wahlen mit Erfolg zu einem Referendum über die Ausrufung des Kriegsrechts gemacht", sagte Erich Ballbach, Korea-Experte der Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin. "Darüber hinaus konnte Lee das Bild eines pragmatischen und zentristischen künftigen Präsidenten vermitteln, der nicht parteiisch oder ideologisch regieren würde. Lee möchte mit dem Privatsektor und den Arbeitnehmern zusammenarbeiten, um das Wirtschaftswachstum in Südkorea anzukurbeln", so Ballbach.

Die Vorgeschichte der Wahl relativiert jedoch die Deutlichkeit ihres Ausgangs. "Das konservative Lager ist geschwächt, aber nicht aufgelöst. Seine Zukunftsaussichten sind angesichts interner Konflikte schlecht und ungewiss", meinte Thomas Yoshimura, Repräsentant der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung in Seoul. 

Dennoch markiert der Wahlsieg ein beeindruckendes Comeback für Lee, der die vorige Präsidentenwahl mit nur 0,7 Prozentpunkt Rückstand auf Yoon verloren hatte. Wahrscheinlich rettete ihn seine Wahl auch vor einer rechtskräftigen Verurteilung in einer Reihe nun eingestellter Strafverfahren. Er selbst sieht die Ermittlungen wegen angeblicher Korruption in seiner Rolle als Oppositionsführer als politisch motiviert an.

Südkorea kämpft um seine Demokratie – wieder einmal

02:26

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Lees Sieg bringt die progressiven politischen Kräfte in Südkorea zurück an die Macht, die bis 2022 unter Präsident Moon Jae-in regiert hatten. Er trat sein Amt an diesem Mittwoch als Folge der Absetzung von Yoon ohne die übliche zweimonatige Übergangsphase an und stürzte sich sofort in das politische Tagesgeschäft.

"In diesem Sinne hat die Wahl das Kapitel der Amtsenthebung abgeschlossen, aber ein neues und noch schwierigeres Kapitel aufgeschlagen", kommentierten Victor Cha und Andy Lim vom Center for Strategic and International Studies in Washington.

Versöhnliche Töne in Antrittsrede

Aufgrund der aufgeheizten innenpolitischen Atmosphäre mit teils gewalttätigen Demonstrationen während des Streits um die Amtsenthebung von Yoon hatte Lee im Wahlkampf viele seiner früheren radikalen Positionen deutlich gemäßigt, um Wähler in der politischen Mitte zu gewinnen. In seiner Antrittsrede nach der Vereidigung am Mittwoch versprach der neue Präsident, diesen Kurs zu halten. 

Präsident Lee bei Antrittsrede in der Nationalversammlung in SeoulBild: ANTHONY WALLACE/Pool via REUTERS

"Es ist an der Zeit, Sicherheit und Frieden wiederherzustellen, die zu Instrumenten politischer Auseinandersetzungen verkommen sind und die durch gepanzerte Fahrzeuge und automatische Gewehre untergrabene Demokratie wiederzubeleben", erklärte Lee versöhnlich.

In der Vergangenheit standen linke und liberale Präsidenten in Südkorea in der Regel für Ambivalenz gegenüber dem Bündnispartner USA, Rücksichtnahme auf Chinas Interessen, Entspannung mit Nordkorea sowie Distanz zu Japan. Als Oppositionschef hatte Lee ebenfalls solche Positionen vertreten. 

Kontinuität in der Außenpolitik?

Doch die geänderte Geopolitik scheint ein Umdenken ausgelöst zu haben. So hatte Lee Japan früher als "Feindesland" bezeichnet, im Wahlkampf wurde daraus ein "wichtiger Kooperationspartner". In seiner Antrittsrede versprach er nun eine "pragmatische" Diplomatie, die sich auf nationale Interessen konzentrieren werde. 

Spannungen zwischen Süd- und Nordkorea

02:59

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Konkret nannte er die Sicherheitskooperation mit den USA und Japan und die Abschreckung von Nordkorea, hielt sich aber ein Türchen für eine Annäherung an Pjöngjang offen. "Wir werden Kommunikationskanäle öffnen und den Dialog und die Zusammenarbeit mit dem Norden fortsetzen, um einen dauerhaften Frieden auf der koreanischen Halbinsel zu erreichen", sagte Lee. 

Der deutsche Experte Yoshimura ist jedoch skeptisch, dass Lee "die linke Tradition" einer politischen Kehrtwende zum jeweiligen konservativen Vorgänger ignorieren wird. "Mehr Kontinuität in der Außenpolitik wäre ein Novum für Südkorea, das ich noch nicht für gesichert halte", meint der Vertreter der Adenauer-Stiftung.

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