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Südkorea: Missbrauch auch im Frauenfußball?

Felix Lill
6. Juni 2019

Wenn die Frauenfußball-WM angepfiffen wird, träumt mit Südkorea ein Außenseiter von Erfolgen. Dabei leidet die Sportwelt des Landes seit Monaten unter einer Missbrauchsaffäre. Auch der Fußball soll betroffen sein.

Frauenfußball Freundschaftsspiel Südkorea vs Island
Südkoreas Frauenfußball-Star Ji So-yun (Mitte)Bild: picture-alliance/Xinhua/L. Sang.ho

Sie haben den "Messi des Frauenfußballs" in ihren Reihen. So wird Ji So-yun jedenfalls in der englischen Liga genannt, wo die Mittelfeldspielerin für den FC Chelsea aufläuft und dort seit Jahren zu den Erfolgsgaranten gehört. Schließlich hat die klein gewachsene Südkoreanerin eine Ballbehandlung, die ihresgleichen sucht, und eine Präzision in Passspiel und Torabschluss, die Ji zu einer der weltweit besten Fußballerinnen macht. Und was die am Freitag startende WM angeht, macht sie ihren Fans daheim auch schon große Hoffnungen. In einem Interview tönte sie zuletzt: "Unser erstes Ziel ist das Achtelfinale." Und dann sei man bereit für viel mehr.

Frauenfußball boomt

Südkoreas Rekordnationalspielerin Cho So-hyun (2.v.r.)Bild: picture-alliance/Zuma/B. Smith

Seit mehreren Jahren erlebt Frauenfußball in dem ostasiatischen Land einen kleinen Boom, der sich nicht nur in steigenden Zahlen von Spielerinnen zeigt. Denn auch wenn die nationalen Medien einmal mehr nur kurz vor Beginn der WM über den Sport zu berichten beginnen, sind die Erwartungen im Land höher als zuvor. Schließlich ist das Team so stark wie nie. Neben Ji So-yun stehen mit der Rekordnationalspielerin Cho So-hyun von West Ham United und der Mittelfeldspielerin Lee Min-a vom japanischen Vizemeister Kobe Leonessa zwei weitere Leistungsträgerinnen bei internationalen Topklubs unter Vertrag.

Und die Spielerinnen sind guter Dinge: Sollten sie beim Eröffnungsspiel am Freitag gegen den Gastgeber Frankreich schon einen ersten Erfolg einfahren, dann werden sich auch die Menschen im in der Regel sehr patriotischen Südkorea für die WM interessieren.

Befragung von 130.000 Athletinnen

Nur schwebt über all dem auch eine dunkle Wolke. Anfang des Jahres traten nacheinander mehrere südkoreanische Sportlerinnen an die Öffentlichkeit und warfen ihren Trainern oder anderen Offiziellen sexuelle Übergriffe vor. Nachdem die Vorwürfe mehrere Sportarten betrafen, hat sich im Januar sogar die nationale Menschenrechtskommission eingeschaltet und schaut seitdem sehr genau hin. "Über einen Zeitraum von einem Jahr werden wir die Vorfälle sexueller Gewalt im Sport unabhängig untersuchen und institutionelle Reformen anstoßen", sagte die Kommissionsvorsitzende Choi Young-ae. Alle 130.000 gemeldeten Athletinnen sollen befragt werden. Seither stockt der Sportnation Südkorea der Atem.

Fußballerinnen äußerten sich bisher nicht

Wenngleich die konkreten Fälle anonym geblieben sind, soll es auch im Fußball sexuelle Übergriffe gegeben haben. So wird beim Zuschauen der Weltmeisterschaft dieser Tage auch die Frage mitschwingen, ob wohl eine der Spielerinnen Opfer geworden ist. Zwar blieb es offiziell bisher ruhig. Weder Ji So-yun noch andere Wortführerinnen der Mannschaft haben sich zum Thema geäußert. Medien haben auch nicht weiter nachgefragt - womöglich, um vor dem Turnierbeginn nicht für noch mehr Unruhe zu sorgen.

Shorttrack-Doppelolympiasiegerin Shim Suk-heeBild: picture-alliance/AP Photo/The Canadian Press/G. Hughes

Schließlich hat das Thema des sexuellen Missbrauchs im Sport in anderen Disziplinen längst große Kreise gezogen. Den ersten prominenten Fall machte die zweimalige olympische Goldmedaillengewinnerin im Shorttrack Shim Suk-hee publik, als sie Anfang dieses Jahres ihrem Trainer Cho Jae-beom vorwarf, sie vergewaltigt zu haben. Cho war zu diesem Zeitpunkt bereits zu einer zehnmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt, weil er Shim und andere Athletinnen - laut eigenen Beteuerungen zum Zwecke einer Leistungssteigerung - durch Schläge verletzt hatte.

Als Shim im Nachgang des Prozesses den Vorwurf der Vergewaltigung erhob, zogen andere Sportlerinnen des Landes nach. Eine Athletenvereinigung aus dem Eisschnelllauf, die sich "Solidarität für junge Eisläuferinnen" nennt, wies auf Belästigungsfälle von fünf weiteren Sportlerinnen hin. Hinzu kamen neben dem Fußball auch Vorwürfe aus weiteren Sportarten wie Judo, Taekwondo und Ringen, wo jeweils männliche Trainer die weiblichen Athletinnen sexuell belästigt haben sollen.

Umstrittener NOK-Chef

NOK-Chef Lee Kee-heung (r.)Bild: picture-alliance/ZUMAPRESS/X. Jinquan

Lee Kee-heung, als Vorsitzender von Südkoreas Nationalem Olympischen Komitee (NOK) einer der obersten Sportoffiziellen im Land, fand daraufhin klare Worte: "Ich werde gegen Sexualtäter lebenslange Sperren verhängen und sie völlig von inländischen und ausländischen Tätigkeiten abhalten." Die Athletengruppe "Solidarität für junge Eisläuferinnen" dagegen fordert Lees Rücktritt, weil dieser bei seiner Aufgabe versagt habe, solchen Fälle vorzubeugen. Lee hält aber wohl auch deshalb an seinem Amt fest, weil er Ende Juni zum Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) befördert werden soll. Sein NOK hat nach den Vorwürfen immerhin eine Untersuchung aufgenommen, um die Gründe für die Häufung sexueller Missbrauchsfälle zu finden.

Kenner der koreanischen Sportszene wurden von den Enthüllungen und Vorwürfen allerdings kaum überrascht. Sie sehen auch institutionelle Gründe. Der Elitesport im Land wird in der Regel auf allen einflussreichen Ebenen von Männern gemanagt. Nachwuchssportler und -sportlerinnen konzentrieren sich schon im jungen Alter eher auf die athletische Ausbildung als die schulische. Früh ziehen sie in Sportinternate, wo meist ein autoritäres Regime herrscht. Der frühe und deutliche Fokus auf den Sport macht die jungen Sportlerinnen und Sportler verwundbarer, da ihnen meist Karrierealternativen fehlen. Unter Umständen fällt es ihnen dann auch schwerer, sich gegen unsittliche Angebote und sexuelle Übergriffe zu wehren.

Missbrauchsfälle in vielen Bereichen

Für die südkoreanische Gesellschaft ist das ganze Thema auch deshalb höchst unangenehm, weil die Sportbranche nicht die einzige ist, die von einer Häufung sexueller Missbrauchsfälle erschüttert wurde. Einige der größten Stars von Südkoreas weltweit erfolgreicher Popmusik-Industrie flogen im Frühling damit auf, heimlich Videos von Sexpartnerinnen gefilmt und untereinander geteilt zu haben. Im Februar verurteilte ein Gericht den Politiker Ahn Hee-jung zu dreieinhalb Jahren Haft, weil er eine Mitarbeiterin sexuell angegangen hatte. Und Mitte März wurde ein Ring von Voyeuren gesprengt, die in zahlreichen Hotels im Land versteckte Kameras installiert und die damit aufgenommenen Videos auf einer Website hochgeladen hatten.

Ahn Hee-jung sitzt im GefängnisBild: picture-alliance/AP Photo/You Hyo-sang

Die Fußballerinnen wollen an all das bei der WM in Frankreich erst einmal nicht denken. Ji So-yun spricht vorab nur vom Sportlichen. "Viele unserer Spielerinnen waren schon bei der WM vor vier Jahren dabei. Diesmal haben wir aber mehr Erfahrung", sagte sie vor kurzem in einem Interview. Schon das damalige Erreichen des Achtelfinals war der größte Erfolg der Verbandsgeschichte. Dabei, so Ji, solle es aber nicht bleiben. Auf der Website des südkoreanischen Fußballverbands wirbt das Frauenteam im Vorfeld der WM mit einem Banner, das in englischer Sprache für die ganze Welt verständlich fordert: "Ändere nicht deine Träume. Ändere die Welt." Was nicht nur sportlich Sinn ergeben würde.

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