Südkorea: Wird Lee Jae Myung der neue Präsident?
9. Mai 2025
Das Oberste Gericht in Seoul hat den Prozess gegen Lee Jae Myung, den Präsidentschaftskandidaten der oppositionellen Demokratischen Partei, auf die Zeit nach der Wahl am 3. Juni verschoben. Die Entscheidung des Gerichts vom Mittwoch, dem 7. Mai, ist die jüngste Wendung in einem politischen Drama, das Südkorea spaltet, seit der inzwischen angeklagte ehemalige Präsident Yoon Suk Yeol von der konservativen People Power Party (PPP) im Dezember letzten Jahres kurzzeitig das Kriegsrecht verhängt hatte.
"Es ist natürlich entscheidend, dass in allen Fällen die rechtlichen Verfahren eingehalten werden, aber die Lage in der südkoreanischen Politik ist derzeit äußerst instabil, und ich glaube, das Gericht hat so entschieden, weil es davon überzeugt ist, dass dies die Stabilität am besten bewahrt", sagte Park Jung-won, Rechtsprofessor an der Dankook University in Yongin-si, der DW.
Kritiker meinen jedoch, das Urteil könnte der konservativen Partei PPP einen tödlichen Schlag versetzen und garantiere faktisch, dass Lee die Wahl im Juni gewinnt.
Welche Anklagepunkte werden Lee vorgeworfen?
Lee wird beschuldigt, in einem früheren Wahlkampf gegen das Wahlrecht verstoßen zu haben. Er soll im Wahlkampf von 2022, den Lee knapp verlor, gegenüber den Wählern absichtlich "falsche Informationen" verbreitet haben. Neben dem mutmaßlichen Verstoß gegen das Wahlrecht werden ihm Meineid, Untreue, unerlaubte Geldüberweisungen nach Nordkorea und Veruntreuung öffentlicher Gelder vorgeworfen.
In Südkorea darf ein Kandidat nach einem Schuldspruch zehn Jahre lang nicht für ein Amt kandidieren und muss eine Geldstrafe von mindestens einer Million Won (714 US-Dollar, 630 Euro) zahlen.
Zunächst wurde Lee wurde im November 2024 zunächst zu einer einjährigen Bewährungsstrafe verurteilt, was seine Präsidentschaftsambitionen beendet hätte. Er legte Berufung beim Obersten Gerichtshof von Seoul ein, der im März zu seinen Gunsten entschied und seinen Wahlkampf wieder auf Kurs brachte.
Die Staatsanwaltschaft legte daraufhin Berufung gegen das Urteil beim Obersten Gerichtshof ein, der am 1. Mai Lees Freispruch aufhob und den Obersten Gerichtshof anwies, den Prozess fortzusetzen. Die erste Anhörung in dem Fall war für den 15. Mai angesetzt, doch das Gericht gab bekannt, dass sie auf den 18. Juni – zwei Wochen nach der Präsidentschaftswahl – verschoben wird.
"Bedrohung für demokratische Grundlagen"
Der offensichtliche Druck, den die Demokratische Partei (DP) auf die Justiz ausübt, wurde in den südkoreanischen Medien negativ aufgenommen.
Ein Leitartikel der "Korea JoongAng Daily" vom 5. Mai kritisierte die Reaktion der Opposition auf das Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 1. Mai. Sie habe "ein Ausmaß erreicht, das ernsthafte Bedenken hinsichtlich demokratischer Normen aufwirft". Die DP hatte darin einen "Justizputsch" gesehen und drohte mit der Amtsenthebung des Vorsitzenden Richters.
In dem Leitartikel hieß es weiter, die anhaltende "Untergrabung der Justiz […] stelle eine ernste Bedrohung für Koreas demokratische Grundlagen dar." Kurz vor der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs von Seoul warf die Korea Times der DP mit ihrer Forderung nach einer Verschiebung von Lees Prozess einen "klaren Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung" vor.
Sie warf der DP außerdem Doppelmoral vor, da die Partei von Yoon Suk Yeol verlangt hatte, die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zur Amtsenthebung zu akzeptieren. Nun aber ficht sie die Gerichte an, um damit ihren eigenen Kandidaten zu unterstützen.
Die PPP werde "wütend sein und gegen die Entscheidung protestieren", sagte Rechtsprofessor Park. Dennoch sei die Partei nach Yoons Ausrufung des Kriegsrechts und seiner anschließenden Verhaftung wegen Aufruhrs bei den Wählern weitgehend unbeliebt.
Sein Verfahren ist noch nicht abgeschlossen, während die Partei, die er einst führte, darüber streitet, wen sie als Gegenkandidaten für Lee nominieren soll. Die PPP nominierte schließlich am 3. Mai Kim Moon Soo.
"Was Konservative erschreckend finden, ist die Tatsache, dass die Demokratische Partei im Falle eines Wahlsiegs von Lee die Präsidentschaft und eine überwältigende Mehrheit in der Nationalversammlung innehaben wird. Ich gehe davon aus, dass sie dies nutzen wird, um die Autonomie der Justiz zu bedrohen", sagte Park.
"Keine Hindernisse" für Lees Präsidentschaft
Eine der ersten Maßnahmen, die Lee nach einem möglichen Wahlsieg am 3. Juni wahrscheinlich ergreifen wird, wäre ein Gesetz, das die Gerichte daran hindert, ein Verfahren gegen einen gewählten Präsidenten fortzusetzen, so Lee Sang-sin, Politikwissenschaftler am Korea Institute for National Unification.
Er erklärte gegenüber der DW: "In der Verfassung ist nicht klar, ob ein Präsident überhaupt noch vor Gericht gestellt werden kann."
"Eine Auslegung der Verfassung besagt, dass alle Gerichtsverfahren während einer Präsidentschaft eingestellt werden müssen. Die alternative Auslegung besagt, dass ein bereits begonnenes Verfahren – wie im Fall Lee – fortgesetzt werden kann", sagte er. Der Experte betonte, dass es "keine Hindernisse" auf Lees Weg zum Wahlsieg gebe, insbesondere angesichts der Schwierigkeiten der PPP, einen Kandidaten zu nominieren und das von ihrem ehemaligen Vorsitzenden Yoon verursachte Kriegsrechts-Fiasko hinter sich zu lassen.
Lees rechtliche Probleme hätten keine negativen Auswirkungen auf seine Wählerschaft, die auch nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofs "solide" geblieben sei. Im Gegenteil: Die gegenwärtige Situation hätte "seine Anhänger noch stärker mobilisiert", fügte der Experte hinzu.
Während die Debatte unter Rechtswissenschaftlern weitergeht, glaubt Lee Sang-sin, dass die Verfahren gegen ihn eingestellt oder auf Eis gelegt werden, sollte der DP-Kandidat Lee die Wahl wie allgemein erwartet gewinnen. "Es scheint, dass Lee mit diesem Urteil seine rechtlichen Probleme vollständig überwunden hat", sagte er und fügte hinzu, dass die meisten südkoreanischen Wähler dies als Wendepunkt in der Wahl ansehen werden und dass das Spiel damit "faktisch vorbei" sei.
Aus dem Englischen adaptiert von Shabnam von Hein