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Politik

Demonstrative Gelassenheit

Fabian Kretschmer
19. April 2017

Droht jetzt ein Atomkrieg auf der koreanischen Halbinsel? Die Südkoreaner bleiben gelassen. DW-Reporter Fabian Kretschmer trifft entspannte Menschen in der Hauptstadt Seoul, 50 Kilometer vor der Grenze zu Nordkorea.

Südkorea Seoul - Fernsehübertragung der Nordkoreanischen Parade in Seoul Station
Bild: picture-alliance/AP Photo/Lee Jin-man

Was sich während der vergangenen Woche auf der koreanischen Halbinsel abgespielt hat, lässt viele Medien zu dramatischen Vergleichen greifen: Die "New York Times" fühlte sich an die Kuba-Krise Anfang der 1960er Jahre erinnert, als die Weltgemeinschaft nur um Haaresbreite an einem Atomkrieg vorbeischrammte. Der "Korea Herald" stellte am Dienstag auf seiner Titelseite die Gretchenfrage: "Wie wahrscheinlich ist ein erneuter Korea-Krieg?"

Am Mittwoch zeigt sich das Seouler Stadtzentrum von seiner idyllischsten Seite. Nach zwei verregneten Tagen strahlt der Himmel in kräftigem Blau, die Angestellten der umliegenden Büros genießen ihre Mittagspause bei einem Spaziergang entlang des von Kirschblütenbäumen gesäumten Cheonggyecheon-Bachs. Wenig deutet darauf hin, dass man sich keine Autostunde südlich der innerkoreanischen Grenze befindet. Im Kriegsfall wäre hier, zwischen Seouler Rathaus und südkoreanischem Präsidentensitz, ein strategisches Ziel für die nordkoreanische Artillerie.

Entspannte Mittagspause am Cheonggyecheon-BachBild: DW/F. Kretschmer

"Die Jugend hat den Ernstfall nie erlebt"

"Nur weil Nordkorea wieder irgendeine Dummheit tut, können wir uns doch nicht unser Leben davon bestimmen lassen", sagt die 23-jährige Kim Eun-jeong, die englische Literatur studiert. Sie kenne zwar die Erzählungen von ihrer Mutter, die sich Anfang der neunziger Jahre aus Angst vor einem möglichen Krieg mit Reisvorräten eingedeckt hatte. Selbst habe sie jedoch nie über den Ernstfall nachgedacht. "Manchmal scherzen meine Freunde, dass sie bei einem Krieg ins Ausland fliehen wollen. Aber wirklich ernst meinen die das nicht".

19 Stockwerke höher, im koreanischen "Press Club", servieren Kellner in schwarzen Anzügen Thunfischsalat und frittierte Garnelen. Das bestimmende Tischgespräch unter den Journalisten ist Nordkorea. "Für die alte Generation, die den Korea-Krieg noch miterlebt hat, verkörpert Nordkorea noch immer das absolut Böse", sagt ein ehemaliger Politikredakteur der meinungsbildenden Tageszeitung "Joongang Ilbo": "Die Jugend hat jedoch nie den Ernstfall erlebt. Vielleicht ist ihre Denkweise aber auch ein wenig naiv".

Wegweiser zum Luftschutzbunker in SeoulBild: DW/F. Kretschmer

Für Außenstehende ist dies ein schwer verständlicher Widerspruch. Die Bevölkerung, die unter einer kriegerischen Eskalation mit Nordkorea wohl am meisten leiden müsste, reagiert mitunter gelassen. Am Samstag, als Nordkorea zum 105. Jahrestag vom Staatsgründer Kim Il Sung ein Aufgebot an Soldaten, Panzern und Raketenträgern aufmarschieren ließ, war das meistdiskutierte Thema südlich der Demilitarisierungszone, kurz DMZ, das Konzert der britischen Rockband Coldplay. Der Nordkorea-Experte Brian Myers hat diese "fatalistische Ignoranz" mit einem kreisenden Damoklesschwert verglichen. Da die Gefahr aus Pjöngjang jedoch seit Jahrzehnten omnipräsent sei, gewöhne man sich an den ständigen Alarmzustand. Dies ist jedoch nur ein Teil der Wahrheit.

Kriegshysterie der Medien

Die Nordkorea-Krise ist nämlich auch eine Krise der Medien. Als Katalysator um die allgemeine Kriegshysterie diente die Behauptung von NBC News, Washington würde im Fall eines weiteren nordkoreanischen Atomtests zum Präventionsschlag ausholen. Bei kaum einem anderen Thema hätte ein Bericht eines amerikanischen TV-Senders derart hohe Wellen geschlagen, der gerne anonyme Quellen zitiert, von offizieller Seite umgehend dementiert und von Experten als "Angstmacherei" bezeichnet wird. Jedoch haben fast alle Nachrichtenagenturen, Tageszeitungen und Online-Medien die aufmerksamkeitsversprechende Überschrift trotz dünner Faktenlage dankbar angenommen.

US-Flugzeugträger Carl VinsonBild: picture-alliance/dpa/U.S. Navy/D. Howell

Am Dienstagabend schließlich hat sich auch die Ankündigung über den US-Flugzeugträger "Carl Vinson" als seidene Halbwahrheit herausgestellt. "Wir schicken eine Armada. Sehr mächtig", sagte Donald Trump noch am vergangenen Dienstag auf US-Sender Fox News. Jedoch fuhr der Flugzeugträger zu diesem Zeitpunkt in die entgegengesetzte Richtung nach Australien, um dort an einem Militärmanöver teilzunehmen, 5000 Kilometer vom angekündigten Ziel durch US-Präsident Trump entfernt. Erst am Mittwoch räumte das Pentagon ein, dass der Flugzeugträgerverband "innerhalb von 24 Stunden" in Richtung koreanische Halbinsel fahre. Wann er die koreanische Küste erreichen wird, ist noch immer völlig unklar.

Die Reaktion auf Seouler Straße: kollektives Schulterzucken. Jedes Jahr erleben sie schließlich dasselbe Theater von Neuem. Im Frühling beginnen die gemeinsamen Militärmanöver mit den US-Streitkräften, Nordkorea empört sich, startet einen Raketentest, wird dafür von der internationalen Gemeinschaft scharf verurteilt. Im letzten Akt flauen die Spannungen schließlich wieder ab - bis zur nächsten Krise. Das gut einchoreografiertes Theaterstück läuft seit Jahrzehnten in Dauerschleife.

US-Präsident Trump: "Wir schicken eine Armada, sehr mächtig"Bild: picture-alliance/R. Sachs/CNP/AdMedia

Trump als unberechenbarer Faktor

Vor allem unter Diplomaten und Korrespondenten war die Nervosität diesmal dennoch ausgeprägter als sonst. "Die größte Gefahr sind gegenseitige Fehlkalkulationen zwischen Kim Jong Un und Donald Trump", sagt Jean Lee, die als erste westliche Journalistin 2012 ein Nachrichtenbüro für AP in Pjöngjang eröffnet hat. Bislang sei nämlich relativ unklar, was der US-Präsident genau vorhat: "Trump bricht mit vielen traditionellen Regeln und scheint aus dem Bauch heraus zu handeln", sagt Lee. Die Unberechenbarkeit Trumps sei dabei Teil seiner Strategie.

"Ich fühle mich nicht unsicher oder so. All die Jahre zuvor ist ja auch nichts passiert", sagt die Pädagogikstudentin Hyun-jin, die derzeit im Seouler Stadtzentrum ein Praktikum absolviert. Zwar habe sie die alarmierenden Nachrichten auf ihrem Smartphone überflogen, aber letztlich sorge sie sich vielmehr um die eigenen politischen Probleme. Südkoreas Ex-Präsidentin sitzt derzeit nach einem Korruptionsskandal in Untersuchungshaft, das Land wählt am 9. Mai ihren Nachfolger. "Vielleicht sind wir aber auch einfach etwas ignorant, was Nordkorea angeht".

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