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Politik

Südkorea: Lasche Strafen für Sexualverbrecher

Julian Ryall MM
22. Juli 2020

Mehr als drei Jahre nachdem die #MeToo-Bewegung Südkorea erschüttert hat, sorgen Sexualdelikte für Aufsehen - und die milde Bestrafung der Täter. Der Kampf dagegen ist mühsam, ein schneller Wandel nicht in Sicht.

Internet - Pornographie
Bild: picture-alliance/empics/Y. Mok

Hunderttausende Südkoreaner haben eine Petition unterzeichnet, in der sie Maßnahmen gegen die Richter forderten, die einen Antrag der Vereinigten Staaten auf Auslieferung des 24-jährigen Son Jong-woo abgelehnt hatten. Er war der Betreiber der größten Website mit sogenannter Kinderpornografie, die jemals im Darknet enttarnt wurde.

Son war im März 2018 in Korea festgenommen worden, nach Ermittlungen von Strafverfolgungsbehörden aus 19 Nationen, darunter Deutschland. Von Juni 2015 bis zu seiner Festnahme betrieb Son eine Internetseite, auf der schätzungsweise 250.000 Videos zu sehen waren, in denen Kinder sexualisierte Gewalt angetan wurde - was beschönigend als "Kinderpornographie" bezeichnet wird. Die Seite hatte 1,28 Millionen Abonnenten und Son soll mehr als 290.000 Euro in Bitcoins verdient haben.

Mindestens 23 betroffene Kinder konnten durch die Ermittlungen gerettet werden, mehr als 330 Personen wurden verhaftet, darunter über 220 in Südkorea. Son wurde in Seoul vor Gericht gestellt und zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Im April endete seine Haftstrafe. Er blieb jedoch unter Aufsicht, nachdem ihn Ermittlungsbehörden aus den USA wegen einer Reihe von Delikten angeklagt hatten, darunter Geldwäsche. Ihm drohten 50 Jahre Haft in den USA.

"Die Richter sollten sich schämen"

Ein dreiköpfiges Richtergremium am Obersten Gerichtshof von Seoul lehnte das Auslieferungsersuchen jedoch mit der Begründung ab, dass die Auslieferung an die US-Behörden die südkoreanischen Ermittlungen zu sexualisierter Gewalt im Internet behindern würde.

In Südkorea gab es schnell Kritik. Schon am nächsten Tag forderte eine Petition, dass der leitende Richter Kang Young-soo nicht, wie geplant, einen Sitz am Obersten Gerichtshof bekommen dürfe.

Die #MeToo-Bewegung hat auch in Südkorea zu Protesten geführt - hier in Seoul am Weltfrauentag am 8. März 2018Bild: Reuters/Kim Hng-Ji

"Ich habe Angst, mir vorzustellen, was für ein Land es werden würde, wenn die Person, die diese Entscheidung getroffen hat, Teil des Obersten Gerichtshofs würde", schrieb der Initiator der Petition. "Eine Person, die die sexuelle Ausbeutung von Kindern auf der ganzen Welt gefördert und damit Geld verdient hat, wurde lediglich zu 18 Monaten Haft verurteilt und ist nun in die Gesellschaft entlassen worden."

Schnell hat die Petition mehr als eine halbe Million Unterschriften bekommen. In einem Post verurteilte auch Seo Ji-hyun, die Staatsanwältin, die die #MeToo-Bewegung anführte, die Entscheidung des Gerichts. "Ich war wütend, traurig und verzweifelt, als ich das Urteil las", sagte sie. "Der Richter sollte sich schämen, dass das Gericht dem Verbrecher keine angemessene Strafe auferlegt hat."

Andere redeten nicht, sondern nahmen die Angelegenheit selbst in die Hand. Sie veröffentlichten persönliche Daten von Son Jong-woo und die Namen der drei Richter, die seine Auslieferung abgelehnt hatten.

"Weckruf" für Korea

Das südkoreanische Rechtssystem muss sich ändern, fordert Leif-Eric Easley, Professor für internationale Studien an der Ewha Womans University in Seoul. "Es ist schwer zu verstehen, dass Seoul Son Jong-woo nicht ausgeliefert hat und dass er für seine Verbrechen gegen Kinder so lasch bestraft wurde", erklärt er im Gespräch mit der Deutschen Welle.

"Digitale Selbstjustiz ist nicht die Antwort, sollte aber ein Weckruf für die Regierung sein", ergänzt er. "Um den systematischen Sexismus im Justizsystem anzugehen, sind Rechtsreformen erforderlich, damit das Image Südkoreas nicht dadurch leidet, dass Südkorea als sicherer Hafen für global agierende Sexualverbrecher wahrgenommen wird."

Ein Leitartikel in der Zeitung "Chosun Ilbo" schrieb kurz nach der Freilassung von Son Jong-woo, dass "viele Richter in diesem Land immer noch ein weiches Herz für Täter von Sexualverbrechen haben". Ersttäter bekämen eine kurze Strafe, wer "bereut", komme "mit einem blauen Auge" davon.

Erst mutmaßliche Übergriffe, dann posthume Ehrung: Begräbnis von Park Won-soon, Bürgermeisters von SeoulBild: Reuters/K. Hong-Ji

"Vergewaltiger werden zu Bewährungsstrafen verurteilt, wenn sie eine Frau und Kinder zu ernähren haben, während jungen Sexualstraftätern ihre Strafen angesichts ihrer 'glänzenden Zukunft' herabgesetzt werden", heißt es in dem Leitartikel. "Dennoch haben Sexualstraftäter die höchste Rückfallquote in Korea. Vielleicht hat die Nachsicht der Richter etwas mit dieser beunruhigenden Statistik zu tun."

Die Wut erreicht die Politik

Die Wut richtet sich auch gegen die Politik. So gibt es eine weitere Petition, die die Entscheidung verurteilt, den Bürgermeister von Seoul, Park Won-soon, nach seinem Selbstmord am 10. Juli eine fünftägige offizielle Beerdigungszeremonie zu gewähren. Mehr als 560.000 Menschen hatten die Online-Petition dagegen unterschrieben. Der Grund: Eine Mitarbeiterin von Park hatte ihm sexuelle Belästigung vorgeworfen. Kurz nach den Anschuldigungen nahm er sich das Leben. Nach koreanischem Recht werden Ermittlungen automatisch eingestellt, wenn die Person, gegen die ermittelt wird, tot ist.

"Die Menschen sind schockiert, weil Park als Menschenrechtsanwalt bekannt war, der sich für die Gleichberechtigung von Frauen einsetzte", sagt eine Wissenschaftlerin, die anonym bleiben möchte. "Ich denke, er hat sich umgebracht, weil er nicht ertragen konnte, wie diese Anschuldigungen seinem Ruf geschadet hätten."

"Aber ich denke, dass sich die südkoreanische Gesellschaft verändert", fügt sie hinzu. "Wir können die Situation für Frauen heute nicht mit der in den 1980er und 1990er Jahren vergleichen. Wir haben jedoch noch einen weiten Weg vor uns. In naher Zukunft werden die Gesetze so geändert, dass sie die öffentliche Haltung zu solchen Straftaten in Südkorea wiedergeben."

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