1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
ReiseItalien

Südtirol und die Grenzen des Massentourismus

9. Mai 2023

Der enorme Besucherandrang in der Alpenprovinz wird zunehmend zum Problem. Für Abhilfe soll ein Bettenstopp sorgen. Dieser ist jedoch nicht unumstritten.

Geisler Alm, Südtirol
Wie aus dem Bilderbuch - die Geisler Alm in SüdtirolBild: Augst/Eibner-Pressefoto/picture alliance

Wer den Blick auf den malerischen Pragser Wildsee in den Dolomiten aus nächster Nähe genießen oder gar im Schatten der steilen Felswände mit einem der Ruderboote eine Runde drehen will, der muss in den Sommermonaten entweder vorher online ein Ticket buchen, den öffentlichen Nahverkehr nutzen, mit dem Fahrrad fahren oder zu Fuß gehen. Seit einiger Zeit gilt an dem Bergsee nämlich eine strikte Zufahrtsbeschränkung. Auf diese Weise soll die Besucherzahl, die zuletzt immer weiter angestiegen war, auf ein erträgliches Maß begrenzt werden.

Eine der meistbesuchten Attraktionen in den Dolomiten ist der Pragser WildseeBild: Franz Neumayr/picturedesk.com/picture alliance

34 Millionen Übernachtungen pro Jahr

Der Tourismus in der norditalienischen Provinz Südtirol hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. So stieg die Zahl der jährlichen Übernachtungen zwischen dem Jahr 2000 und dem Jahr 2019 von fast 24 auf fast 34 Millionen. Nachdem Kritik an der Entwicklung zunächst von unter den Menschenmassen leidenden Anwohnern und um die Natur besorgten Umweltschützern kam, hat mittlerweile auch die Politik erkannt, dass es so nicht weitergehen kann.

"Der Besucherandrang hat an manchen Hotspots in den Bergen Südtirols seine Grenzen erreicht", heißt es im Landestourismusentwicklungskonzept, das die Südtiroler Landesregierung im vergangenen Jahr vorgelegt hat. Aufgrund von Lärmbelästigung, immer mehr Verkehr sowie steigenden Mieten und Preisen wachse der Unmut in der Bevölkerung. "Ein mitunter auch radikales Umdenken ist gefordert und es stellt sich die Frage: Wie viele Touristen verträgt und braucht das Land?", heißt es weiter.

Großer Andrang auf den Parkplatz an den Drei Zinnen in den DolomitenBild: Karlheinz Irlmeier/imageBROKER/picture alliance

Bettenzahl wird auf Stand von 2019 eingefroren

Die weitreichendste Maßnahme, die die Landesregierung auf den Weg gebracht hat, ist die Begrenzung der Übernachtungsplätze. Deren Zahl soll auf dem Stand von 2019 eingefroren werden. Dazu muss man sie nun allerdings erst einmal ermitteln. Südtirols Gastbetriebe sind also derzeit aufgerufen, die Zahl der bei ihnen tatsächlich vorhandenen Plätze zu melden – Zustellbetten und Schlafsofas eingerechnet. Bei der Landesregierung erhofft man sich davon zunächst einmal eine klare Datengrundlage. Indem dann künftig keine neuen Betten mehr genehmigt werden, könne man die Zahl der Urlauber in Südtirol begrenzen.

Nicht alle sind so optimistisch. "Es handelt sich bei dem Bettenstopp um eine halbherzige Maßnahme", sagt etwa Josef Oberhofer, Vorsitzender des Dachverbandes für Natur- und Umweltschutz. Es gebe schlicht zu viele Ausnahmen und Sonderregelungen. Zuletzt hatte die Landesregierung die Frist, innerhalb der die Gastbetriebe ihre Betten melden müssen, noch einmal um drei Monate verlängert. Das sei nur ein Beispiel für das allzu großzügige Vorgehen, so Oberhofer: "Die Politiker versuchen, es der Tourismuslobby recht zu machen."

Meran ist mit fast 240 Übernachtungsplätzen pro Quadratkilometer die Gemeinde mit der höchsten Bettendichte in SüdtirolBild: Jochen Tack/picture alliance

Tourismus trägt elf Prozent zur Wertschöpfung bei

Und die ist mächtig in Südtirol. Beherbergung und Gastronomie machen in der Provinz etwa elf Prozent der Wertschöpfung aus. Indirekt profitieren aber auch andere Branchen vom Geschäft mit den Urlaubern, wie etwa der Einzelhandel, das Handwerk oder die Landwirtschaft. Deshalb sieht man die Pläne der Landesregierung beim Hoteliers- und Gastwirteverband HGV auch kritisch. "Es ist nicht akzeptabel, dass die gesamte Provinz über einen Kamm geschoren wird", sagt Manfred Pinzger, Präsident des HGV. "Es gibt Gegenden, wo jeder vernünftige Politiker froh wäre, wenn sich touristisch noch etwas entwickeln würde."

So zum Beispiel in der 5000-Einwohner-Gemeinde Vahrn. Dort ist Andreas Schatzer Bürgermeister und der ist dafür, dass das touristische Angebot noch etwas wächst. Derzeit gebe es in dem Ort etwa 1000 Gästebetten. "Wir haben in Südtirol 116 Gemeinden, von denen etwa ein Dutzend stark touristisch geprägt sind", sagt Schatzer, der auch Präsident des Südtiroler Gemeindenverbandes ist. 30 Gemeinden seien touristisch durchschnittlich erschlossen. "In den restlichen ist es sehr gewünscht, dass sich dort Beherbergungsbetriebe ansiedeln." Damit die Entwicklung nicht stehenbleibe, wie er sagt.

Im Gänsemarsch durch die Dolomiten. Ruhe und Einsamkeit sucht man in diesem Teil der Alpen häufig vergebensBild: Franz Neumayr/picturedesk.com/picture alliance

Ausnahmeregelung für Bauernhöfe

Anders sieht man das bei der Landesregierung in der Provinzhauptstadt Bozen. "Unser Ziel ist nicht, dass es in allen Gemeinden gleich viel Tourismus gibt", sagt Arnold Schuler, Landesrat für Tourismus und damit zuständig für den Bettenstopp. Allerdings habe man die Möglichkeit geschaffen, auch in Zukunft in bestimmten Situationen neue Betten an touristisch noch nicht so stark erschlossene Gemeinden zu vergeben. Nicht die einzige Ausnahmeregelung. Eine solche gilt beispielsweise auch für Bauernhöfe. "Viele Landwirte brauchen einfach den Zuerwerb durch touristische Vermietung", sagt Schuler. Der Erhalt der Bauernhöfe sei im Interesse der Allgemeinheit.

Für Umweltschützer Josef Oberhofer ist klar, dass es drastischerer Maßnahmen bedarf, um die Situation in der Provinz zu entspannen. "Man muss zum Beispiel komplett aufhören, Südtirol als touristische Destination zu bewerben", findet er. "Wir müssen so ehrlich sein und sagen: Mehr geht nicht, es reicht!" Ob der Bettenstopp geeignet ist, dem Massentourismus Einhalt zu gebieten, wird sich erst noch zeigen müssen. Landesrat Schuler schließt jedenfalls auch radikalere Maßnahmen nicht aus. Zur Not müsse man eben an bestimmten Stellen die Besucherzahlen durch Zufahrtsbeschränkungen regulieren, wie etwa am Pragser Wildsee. "Niemand kommt nach Südtirol, um hier dann in einer Menschenmenge zu stehen", sagt er.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen