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Saarbrücken träumt zu lange gegen Leverkusen

9. Juni 2020

Es sollte die große DFB-Pokal-Sensation werden, doch am Ende war es eine lockere Pflichterfüllung für den Favoriten Leverkusen. Auch weil der 1. FC Saarbrücken im ersten Durchgang noch mehr träumte, als spielte.

Fußball DFB Halbfinale Saarbrücken - Bayer Leverkusen
Saarbrückens Trainer Lukas Kwasniok fiebert an der Seitenlinie mitBild: Reuters/R. Wittek

"Hoch" hörte man Saarbrückens Trainer Lukas Kwasniok in den Anfangsminuten laut durch das Hermann-Neuberger-Stadion in Völklingen rufen. Es schien, als hätte der 38-Jährige, der den FCS nach den Pokalsiegen gegen Regensburg und den 1. FC Köln von Vorgänger Dirk Lottner übernommen und gegen den Karlsruher SC und Fortuna Düsseldorf den Einzug ins Halbfinale geschafft hatte, eine Vorahnung gehabt. Denn in der 11. Minute stand sein Team mal wieder mit allen Spielern in der eigenen Hälfte, ließ den großen Favoriten gewähren und wartete nur ab. Zwangsläufig fiel das 1:0.

Kerem Demirbay konnte unbedrängt zum Pass ansetzen und fand mit einem technisch feinen Chip Moussa Diaby, der mit einem Volley aus kurzer Distanz ebenso perfekt abschloss. Zehn Minuten hatte Saarbrücken mit seinem Defensiv-Verhalten gezeigt, wer der Viertligist in dieser Partie ist. Leverkusen erfüllte in Person vom Demirbay und Diaby den Gegenpart und zeigte, wer der formstarke Bundesligist ist. "Sie spielen quasi ein 5-5-0, machen keinen Druck auf Demirbay, der einen solchen Ball dann jederzeit problemlos aus dem Fuß schütteln kann", resümierte Experte Thomas Broich in der Live-Übertragung der ARD. 

Auch ohne Havertz überlegen

Wer neben Lukas Kwasniok und den Saarbrücker Anhängern gehofft hatte, dass der Underdog sich von dem frühen Rückstand unbeeindruckt zeigen würde, wurde in der 19. Minute seiner Träume beraubt. Wieder ging es über Demirbay. Nach dessen Flanke gab es dieses Mal keine Saarbrücker Anfangs-Lethargie mehr, sondern ein Missverständnis zwischen Keeper Daniel Batz und Manuel Zeitz, der Stürmer Lucas Alario das 2:0 ermöglichte.

Tagelang hatte sich alles um den Saarbrücker Traum vom vierten Streich gegen ein Team vom Rhein gedreht: Nach Köln, Karlsruhe und Düsseldorf sollte der Pokalcoup gegen Leverkusen folgen. Keine 20 Minuten dauerte es, bis dieser Traum geplatzt war.

 

Und dafür brauchten souverän auftretende Gäste weder viel Mühe noch ihren überragenden Spieler der letzten Woche, Kai Havertz. Der angeschlagene 20-Jährige, den nach Medienberichten der FC Chelsea in die Premier League holen möchte, wurde von Trainer Peter Bosz erneut geschont. 

"Wir haben die Hoffnung nicht aufgegeben, dass er bei uns bleibt. Wir versuchen, ihm alle Möglichkeiten zu geben, dass er seine Qualitäten abrufen kann", sagte Leverkusens Sportchef Rudi Völler in der Halbzeitpause des Pokalspiels am ARD-Mikrofon und sah sich und Bayer 04 bezüglich Havertz "in einer guten Position".

Peter Bosz und die Titelchance

In dieser ist dank der letzten Wochen und dem souveränen Einzug ins DFB-Pokal-Finale auch Peter Bosz. "Wir wollen Titel gewinnen. Der DFB-Pokal ist eine Möglichkeit", hatte der Niederländer vor der Partie gesagt. Der Pokal ist zwar nicht die einzige - Leverkusen hat nach einem 3:1-Sieg im Achtelfinal-Hinspiel gegen die Glasgow Rangers beste Chancen auf den Einzug ins Viertelfinale der Europa League - aber wohl die realistischste Chance für Bosz und sein Team.   

Und diese Chance lebt auch nach dem Duell der Ungleichen in Völklingen, in dem der eingewechselte Karim Bellarabi den 3:0-Endstand (58.) und Leverkusen die Chance auf den ersten Titel seit 27 Jahren bescherte. "Jeder Spieler träumt davon, im Finale zu stehen und alles zu geben. Das ist Krieg - nicht falsch verstehen", sagte der Spieler des Spiels, Kerem Demirbay, nach der Partie: "Da geht es nochmal in einem Spiel um alles, wie heute im Halbfinale."

Nur ein bisschen "widerlich"

"Lieber widerlich, als wieder nicht", hatte das Motto des Underdogs aus Saarbrücken vor dem Spiel gelautet. Nach dem Spiel steht fest: Es wurde das "wieder nicht". Das passende Fazit zog FCS-Trainer Lukas Kwasniok: "Mich hat gestört, dass wir nicht eklig genug waren." Doch von einer ängstlichen Vorstellung seines Teams und einem gescheiterten Matchplan in der Anfangsphase wollte er dennoch nichts wissen. "Das ist für mich geistiger Dünnschiss", machte Kwasniok auf Nachfrage klar.

Lucas Alario (2. von links) machte die Saarbrücker Träume mit dem 2:0 zu NichteBild: Getty Images/AFP/R. Wittek

Trotz des früh geplatzten Traums: Kwasniok und Saarbrücken haben mit dem DFB-Pokal-Halbfinale und dem lang ersehnten Aufstieg in die 3. Liga viel erreicht - mehr als man vor der Saison hätte erwarten können. Daran ändert auch eine klare Niederlage gegen Leverkusen nichts. "In der zweiten Halbzeit ist es ein richtiges Fußballspiel. Saarbrücken geht jetzt mal richtig drauf. Aber sie haben nicht so mutig gespielt, wie es vielleicht möglich gewesen wäre und die erste Halbzeit ein bisschen weggeschenkt", resümierte ARD-Experte Thomas Broich kurz vor Ende der Partie. Peter Bosz analysierte treffend: "Ich hatte keine Zweifel, aber man muss Respekt haben vor Saarbrücken. Meine Jungs waren fokussiert und konzentriert, nach den ersten beiden Toren war das Spiel gelaufen."

Keine Sensation, kein Jahrhundert-Spiel, keine Party-Nacht in der saarländischen Landeshauptstadt. Doch damit wird man beim 1. FC Saarbrücken leben können. "Jahn, Köln, KSC, Fortuna dank euch, Leverkusen für euch", war auf einer großen Zaunfahne im Hermann-Neuberger-Stadion zu lesen. Der Traditionsklub wollte den Fans, die nicht im Stadion sein konnten, den großen Traum erfüllen. Das Motto stimmte, das Leistungsvermögen nicht. Der FCS hatte einfach ein bisschen zu lange geträumt. 

David Vorholt Redakteur, Reporter und Autor in der DW-Sportredaktion