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Politik

Sachsen, Corona, der Lockdown und die AfD

14. Dezember 2020

Was ab Mittwoch in ganz Deutschland gilt, ist in Sachsen bereits umgesetzt: Ein harter Lockdown. Das ostdeutsche Bundesland hat die mit Abstand höchsten Infektionszahlen. Sabine Kinkartz hat sich dort umgesehen.

Themenbilder - Lockdown in Sachsen: Bautzen
Still und leer: Einkaufsstraße im sächsischen BautzenBild: Sabine Kinkartz/DW

641, das ist die dramatische Zahl, mit der die kleine Stadt Bautzen im äußersten Südosten Deutschlands am 14. Dezember in den Lockdown gegangen ist. 641 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen. Im bundesweiten Durchschnitt sind es 176. Auch das ist noch viel zu hoch, weswegen in ganz Deutschland ab Mittwoch erneut die Geschäfte schließen, die Schulen und Kindergärten. Kontakte sollen weiter reduziert werden, noch mehr wird verboten.

Weil die Infektionszahlen in Sachsen und damit auch in Bautzen in den vergangenen Wochen so dramatisch gestiegen sind, hat der Lockdown hier bereits zwei Tage früher begonnen. Die Reichenstraße, die zentrale Einkaufsstraße, ist leer und verlassen. Hinter den meisten Schaufenstern in der Fußgängerzone ist es dunkel. Nur wenige Menschen sind an diesem Vormittag in der Innenstadt unterwegs.

Wer versteht die Corona-Regeln?

Überall, auch im Freien, muss jetzt ein Mund-Nasen-Schutz getragen werden. Die meisten halten sich daran, wenn auch vielfach widerwillig. "Da halte ich gar nichts von", sagt eine ältere Frau, die sich mit einem Rollator durch die Reichenstraße bewegt und die eine Maske unter der Nase sitzen hat. Aber es sei ja vorgeschrieben. Gefragt nach dem Lockdown und den strengen Regeln schüttelt sie unwirsch den Kopf. "Ein Durcheinander" sei das, bei dem sie nicht mehr mitkomme. "Wer da jetzt an Weihnachten wen besuchen darf und wer nicht, das verstehe ich nicht."

Harter Lockdown in Sachsen

02:44

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Zustimmung kommt von einem älteren Mann, der eine medizinische Maske fest im Gesicht sitzen hat. Bis vor einiger Zeit habe er an die Corona-Pandemie so recht ja nicht glauben wollen, sagt er, aber seine Tochter arbeite im Krankenhaus und habe ihm erzählt, was dort los sei. "Seitdem habe ich meine Meinung geändert und es ist gut, dass jetzt alles zugemacht wird."

Die Corona-Leugner

Woher die hohen Infektionszahlen ausgerechnet in Sachsen kommen, auf diese Frage weiß keiner der Passanten eine Antwort. Dabei gibt es durchaus Erklärungsversuche und Theorien. Eine ist, dass in Sachsen besonders viele Maskenverweigerer leben. Menschen, die südlich von Bautzen an der Bundesstraße 96 regelmäßig gegen die Corona-Maßnahmen demonstrieren. Zusammen mit offenbar Rechtsradikalen, die die schwarz-weiß-roten Fahnen des deutschen Kaiserreichs schwenken.

"Selbständig denken", "Ohne Maske": Aushang an einem Spielwarenladen in BautzenBild: Sabine Kinkartz/DW

Auch der Uhrmacher Heinz Krahl trägt nur ungern eine Maske, weil er sie als "demütigend" empfindet, als Maulkorb. Der 76-Jährige gehört zu denen, die in der Pandemie an fast allem zweifeln. An der Zahl der gemeldeten Infektionen, an der Entwicklung der Impfstoffe, ja sogar an der Existenz des Corona-Virus selbst. "Es geschehen viele Dinge, die nicht nachvollziehbar sind, wo ich meine Bedenken anmelden muss an der Sachlichkeit und der Wahrheit", sagt Krahl, der seit mehr als 50 Jahren in Bautzen ein Geschäft für Uhren und Schmuck betreibt.

Zweifel an "Sachlichkeit und Wahrheit": Uhrmacher Heinz KrahlBild: Sabine Kinkartz/DW

Seine Kunden fordert Krahl trotzdem auf, eine Maske zu tragen. "Sie bewahren sich und uns vor einer Strafe", steht auf einem Zettel, der in der Eingangstür seines Uhrengeschäfts hängt. Das Wort Strafe hat Krahl rot hervorgehoben.

Ist die AfD ein Pandemietreiber?

Dass man auf Masken und Abstand verzichten kann, diese Meinung vertritt auch die rechtspopulistische AfD, die in Sachsen stark vertreten ist. Der SPD-Ostbeauftragte Martin Dulig sieht bei der AfD eine Mitverantwortung für die aktuelle Entwicklung in der Corona-Pandemie. Die Partei habe sich "zum parlamentarischen Arm der Maskenverweigerer" entwickelt, so Dulig. Wenn man eine Landkarte mit den AfD-Wahlergebnissen auf eine Landkarte mit den Infektionszahlen lege, könne man schnell zu dem Schluss kommen, dass es da einen Zusammenhang gebe, so Dulig.

Eine Theorie, die Bautzens Oberbürgermeister Alexander Ahrens, ebenfalls SPD, ausgesprochen wütend macht. Es sei "irrwitzig" und "absurd" zu behaupten, "dass eine Pandemie sich quasi an politischen Strömungen ausrichtet".

Bautzens Oberbürgermeister Alexander AhrensBild: Sabine Kinkartz/DW

Die hohen Infektionszahlen in der Region um Bautzen und im noch weiter südlich gelegenen Erzgebirge seien vielmehr auf die Nähe zu Tschechien zurückzuführen. "Das war in den Grenzregionen erwartbar. Wir haben schon vor zwei Monaten gesagt, wenn die Grenzen zu Tschechien nicht dicht gemacht werden, dann wird die Welle auch zu uns überschwappen, weil hier eben ein reger Austausch stattfindet."

Die Kontakte sind eng

Tschechien ist eines der Länder, das in Europa von der Pandemie am stärksten betroffen ist. 20.000 Tschechen pendeln jeden Tag in die Region Bautzen, um hier zu arbeiten. Umgekehrt fahren viele Menschen aus dem südlichen Sachsen regelmäßig nach Tschechien zum Einkaufen oder um dort Freunde zu besuchen. Gleiches gilt für das östliche Sachsen mit seiner Grenze zu Polen. "Es gibt da enge Kontakte, die immer intensiver wachsen und das ist ja auch erwünscht", sagt Oberbürgermeister Ahrens.

Niemand trage eine Schuld an den hohen Infektionszahlen, man müsse jetzt allerdings damit umgehen. Mit Sorge verfolgt der Oberbürgermeister die Lage in den Krankenhäusern. "Die Kliniken bei uns in der Region werden immer voller", warnt Ahrens. "Das übersteigt jetzt in sehr, sehr kurzer Zeit das, was wir noch leisten können."

Der Handel leidet

Angesichts der angespannten Lage trage die übergroße Mehrheit der Bautzener die harten Lockdown-Maßnahmen mit, sagt Ahrens. Die sich dagegen wehren würden, seien eine lautstarke Minderheit. "Auch wenn natürlich hinterfragt wird, ob das wirklich fair ist, dass beispielsweise die Gastronomen und die kleinen Einzelhändler, die den Sommer über ihr Geld in die Hand genommen haben, um Hygienebestimmungen umzusetzen, dass die jetzt auch von dem Lockdown betroffen sind."

Bis mindestens zum 10. Januar werden die Geschäfte auch in Bautzen geschlossen bleibenBild: Sabine Kinkartz/DW

So wie Gundolf Hänsel, der in der Reichenstraße vor einem knappen Jahr ein Café eröffnet hat. Er musste sein Geschäft schon Anfang November im Zuge des Teil-Lockdowns schließen, jetzt blickt er weiter in eine ungewisse Zukunft. "Vor März wird das nichts mit der Wiedereröffnung", ist sich Hänsel sicher. Den deutschen Sonderweg eines Teil-Lockdowns, bei dem im November und Dezember die Gastronomie, Theater, Kinos und Fitnessstudios schließen mussten, Geschäfte, Schulen und Kindergärten aber geöffnet blieben, hält er rückblickend für falsch. Das habe nichts gebracht.

Versuch und Irrtum

Wenn er mit anderen Händlern die Lage bespreche, sei oft von Perspektivlosigkeit und Hoffnungslosigkeit die Rede, erzählt Hänsel. "Ich denke auch, dass die Politiker viele Fehler gemacht haben." Auch er sieht einen Zusammenhang zwischen den hohen Infektionszahlen in Sachsen und der Nähe zu Tschechien und Polen. "Da hätte man früher eingreifen und Schluss machen müssen", sagt er. "Die Politik erscheint kopflos, weil jede Woche etwas anderes entschieden wird", regt sich der Gastronom auf.

Gastronom Gundolf Hänsel blickt in eine ungewisse ZukunftBild: Sabine Kinkartz/DW

Eine Kritik, die Bürgermeister Alexander Ahrens verstehen kann. Aber er kennt auch seine Bautzener, die sich ungern etwas befehlen lassen würden. "Wenn wir bei den niedrigen Infektionszahlen, die wir im Oktober noch hatten, gesagt hätten, wir machen jetzt einen kompletten Lockdown, das hätte keine Akzeptanz gefunden." Demokratisch verfasste Gesellschaften würden bei neuen Problemen immer erst Versuch und Irrtum praktizieren und Maßnahmen auf diese Weise entwickeln und ausrichten müssen, sagt Ahrens. So sei es nun einmal und mit der Impfung sei ja auch Licht am Ende des Tunnels in Sicht. Ahrens will optimistisch bleiben. "Ich finde, dass es keinen Grund für eine Hysterie gibt."

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