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Politik

Salafismus: Mission am Kochtopf

27. Dezember 2017

Der Verfassungsschutz in NRW hat ein neues Salafistinnen-Netzwerk im Visier. Für den Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide kommt das nicht überraschend: In den vergangenen Jahren seien Frauen immer aktiver geworden.

Deutschland Salafismus Frauen
Bild: picture alliance/dpa/B. Roessler

Deutsche Welle: Der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen hat ein Netzwerk von etwa 40 Salafistinnen entdeckt, ein sogenanntes Schwesternetzwerk. Wie sehr überrascht Sie diese Mitteilung des Verfassungsschutzes?

Mouhanad Khorchide: Diese Nachricht war für mich nicht überraschend. Ich kann mir vorstellen, dass es noch viele andere salafistische Netzwerke gibt - wenn auch vielleicht etwas weniger straff organisiert. Man weiß, dass viele salafistische Gemeinden sich von der Gesellschaft abschotten und vor dem Westen "schützen" wollen - mit eigenen Erziehungsmethoden und dem Versuch, Institutionen aufzubauen, vom Kindergarten bis zur Schule. Die Abschottung bezieht sich auch auf die Frage, wo man einkauft oder seine Freizeit verbringt.

Wie kann man sich die Netzwerkarbeit der Salafistinnen vorstellen?

Meist kennen sich die Frauen schon persönlich über ihre Moscheegemeinde. Wenn die Ehemänner im Gefängnis sitzen oder verstorben sind, solidarisieren sich die Frauen untereinander und treffen sich regelmäßig. Dabei geht es nicht nur um Fragen der Religion, sondern vor allem um Gemeinschaft: Man kocht zusammen, verbringt Zeit miteinander, spielt Gesellschaftsspiele. Das Ganze wirkt stark identitätsstiftend. Die Frauen fühlen sich der Gruppe und auch den jeweiligen Glaubenssätzen zugehörig. Sie sagen: "Wir müssen stark sein und gegen die westliche verdorbene Gesellschaft zusammen halten." Das Internet spielt keine große Rolle bei der Netzwerkarbeit. Meist sind es Menschen, die sich schon persönlich kennen.

Welche Rolle spielen Frauen im Salafismus, ganz generell?

Khorchide: "Salafismus bietet klare Zugehörigkeit" Bild: privat

Frauen galten lange als unauffällig und unverdächtig. Erst vor einigen Jahren kam es bei den Behörden zu einem Umdenken. Sie haben begriffen, dass Frauen im Salafismus auch eine aktive Rolle spielen - nicht nur im Hintergrund als Unterstützerin der Familie. Sie missionieren, machen spezielle Angebote für Frauen, geben Unterricht in Handarbeit. Doch im Hintergrund soll die Ideologie eingetrichtert werden.

Die Rolle der Frau ist in den vergangenen Jahren immer aktiver geworden, gerade im dschihadistischen Kontext - wobei ich natürlich anmerken muss, dass nicht jeder Salafist ein Dschihadist oder ein potentieller Attentäter ist. Frauen spielen zudem eine große Rolle beim sogenannten Heirats-Dschihad. Man heiratet einen Dschihadisten, um später Witwe eines Märtyrers zu werden. Damit will man Gott näher kommen, indem man sich selbst als Frau zur Verfügung stellt.

Was macht den Salafismus für Frauen attraktiv?

Salafismus ist gerade bei Migranten in Europa sehr identitätsstiftend. Der Salafismus trennt die Welt in Gut und Böse. Wer zum Salafismus gehört, gilt als gut, glauben die Anhänger. Gott ist den Salafisten in besonderer Weise zugetan. Salafisten kommen in den Himmel, während die anderen von Gott bestraft werden und in die Hölle kommen. Diese simple Ideologie strukturiert die Welt und wirkt damit identitätsstiftend - gerade für diejenigen, die sich vergeblich nach Anerkennung in der Gesellschaft sehnen und sich marginalisiert und ohnmächtig fühlen.

Trennung in Gut und Böse: Verschleierte Frauen vor einer Gerichtsverhandlung gegen Salafisten in HamburgBild: picture alliance/dpa/C. Charisius

Salafismus gibt den Menschen ein Gefühl von Macht und Anerkennung. Das Selbstbewusstsein steigert sich durch das Zugehörigkeitsgefühl. Das alles macht den Salafismus sowohl für Männer als auch für Frauen attraktiv. Frauen finden zudem Vaterfiguren und Helden, die gegen die Gesellschaft rebellieren. Der Salafismus bietet den Frauen eine Perspektive, was ihre Identität angeht - und eine klare Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, in der alle zusammen halten.

Sicherheitsbehörden sollen mehrere Dutzend Frauen als Gefährderinnen eingestuft haben. Was glauben Sie: Wie gefährlich sind diese Frauen aus dem Schwesternetzwerk?

Ich sehe jetzt keine unmittelbare Terrorgefahr. Die Frauen treffen sich in der Regel nicht, um Anschläge zu planen, sondern um sich ihrer Identität zu vergewissern. Es geht mehr darum, wie sie ihre Kinder vor der Gesellschaft schützen können - und weniger um Terrorpläne. Das Gefährliche ist eher die Abschottung und die Bildung von Parallelgesellschaften.

Was kann man dagegen tun?

Es ist wichtig, Räume der Anerkennung zu schaffen. Meist sind es junge Menschen, die vergeblich nach Anerkennung in unserer Gesellschaft suchen. Sie müssen das Gefühl bekommen, dass sie hier Fuß fassen können. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, sich zu überlegen, wie wir diese Menschen noch besser integrieren können.

Professor Mouhanad Khorchide ist Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Der im Libanon geborene Soziologe, Islamwissenschaftler und Religionspädagoge tritt für eine historisch-kritische Auslegung des Korans ein.

Das Interview führte Stephanie Höppner

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