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Salman Rushdie: "Für die Freiheit kämpfen"

Das Interview führte Sabine Kieselbach / cs22. November 2015

Wird am Ende das Böse siegen? Der indisch-britische Schriftsteller Salman Rushdie erzählt im Interview, warum sein neuer Roman plötzlich hochaktuell wurde und die Kultur die Freiheit verteidigen muss.

Salman Rushdie. (Foto: picture-alliance/dpa/J. Cereijido)
Bild: picture-alliance/dpa/J. Cereijido

Freiheit des Wortes: Salman Rushdie im Interview

05:29

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DW: In Ihrem neuen Roman "Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte" - das sind übrigens genau 1001 Nächte - beschreiben Sie den Krieg zwischen Mensch und Dschinn. Wer gewinnt?

Salman Rushdie: Das Buch endet gut! Eigentlich möchte ich das Ende aber nicht preisgeben. Als ich zu schreiben begann, existierte viel von dem noch nicht, was uns heute sehr beschäftigt. Es gab zum Beispiel noch keinen IS (Islamischen Staat), deshalb ist es schon seltsam, wie das Buch quasi aus Versehen hochaktuell wurde.

Was inspirierte Sie vor vier Jahren, als Sie mit dem Werk anfingen?

Ich wollte etwas Wildes und völlig Erfundenes schaffen. Das führte mich wieder in die Richtung alter Geschichten im Stil von "1001 Nacht". In Indien gibt es noch so viel mehr davon, dadurch habe ich mich in diese Geschichten nämlich erst verliebt. Günter Grass spielte auch eine große Rolle. Er bediente sich des Fabelreiches aus dem Schwarzwald oder der Gebrüder Grimm und wandelte es in zeitgemäße Literatur: "Der Butt", "Die Blechtrommel" oder "Die Rättin".

Sie verrieten gerade, dass in Ihrem Buch alles gut wird. Vernunft siegt über Dummheit. Wird das auch im echten Leben passieren?

Vielleicht ist gerade dies das wahre Hirngespinst im Roman. Ich glaube aber, dass man trotz allem am Glauben festhalten sollte, dass ein Sieg des Bösen vermeidbar ist. Vieles deutet darauf hin, dass die gegenwärtige Bedrohung uns nicht mehr in 20 oder 30 Jahren beschäftigen wird. Aber wenn ich im Januar 1989 mit Ihnen hier gesessen und gesagt hätte, dass es die Mauer an Weihnachten nicht mehr geben würde, hätten Sie mich für verrückt erklärt! Aber genau das passierte. Wir leben in einer Zeit, in der sich die Welt ganz plötzlich und grundlegend um 180° drehen kann, deshalb ist es eigentlich zwecklos darüber zu spekulieren, wie es weitergehen könnte.

In Rushdies aktuellem Roman heben Fanatiker die Welt aus den Fugen.Bild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Haben Ihnen die Terroranschläge von Paris trotzdem mehr Angst gemacht?

Schon, aber trotz den Ereignissen von letzter Woche hat mich der Wille der Pariser beeindruckt, alle Angst beiseite zu legen und das typische Pariser Leben weiter zu leben. Weiter in Restaurants zu essen, weiter zu Konzerten und Fußballspielen zu gehen, weiter echte Pariser zu sein. Genau das ist die richtige Antwort.

Der französische Präsident Holland hat dem IS allerdings den Krieg erklärt. Sind wir im Krieg?

Ganz sicher gibt es jemanden, der mit uns im Krieg ist. Ich hatte immer Bedenken mit dem Ausdruck der Bush-Regierung, "Krieg gegen den Terror", weil man einen solchen Krieg nicht gewinnen kann. Man kann mit dem Terror keinen Friedensvertrag schließen. Der Krieg ist gegen gewöhnliche Menschen gerichtet, aber der Krieg ist auch ein Krieg gegen die Kultur. Gegen all das, was wir im liberalen Westen schätzen - Musik, Unterhaltung, gutes Essen, Fußballspiele - solche Vergnügen sind der Feind des Fanatikers. Spaß scheint am meisten gehasst, also sollten wir genau den weiter haben.

Welche Bedeutung haben Schriftsteller in diesen Zeiten?

Bücher sollen eine Welt erschaffen, in der man sich wohl fühlt und die ein anderes Licht auf die Welt da draußen wirft. Wenn der Leser diese Welt und die Seiten wieder verlässt, bleibt ein Teil dieser Welt in ihm und wird Teil der Denkweise und beeinflusst die Art und Weise, wie er die Welt um ihn wahrnimmt.

Wie kam es dazu, dass sie zur Abwechslung ein Buch geschrieben haben, in dem Sie gar nicht vorkommen?

Das war jetzt genug über mich, dachte ich. Lasst uns über andere Menschen sprechen. Über die, die ein völlig gewöhnliches Leben führen, bis auf einmal etwas Beängstigendes und Lebensveränderndes passiert. Wie gehen wir damit um? Zwischen all diesen Menschen ist ein Hauch Dschinn-Magie verborgen. Sie sind die Nachfahren der uralten Liebe zwischen der Dschinn Prinzessin und einem Menschen. Oft finden wir mitten in uns Stärke, Moral, intellektuelle und emotionale Hilfe, und wir wussten gar nicht, dass all dies in uns steckt. Menschen können plötzlich mit sämtlichen Katastrophen umgehen.

Sie waren einer der lautesten Kritiker der PEN-Mitglieder, die sich auf der alljährlichen Gala gegen Charlie Hebdo äußerten. Was hat Sie am meisten aufgebracht?

Sie lagen einfach grundfalsch, egal ob sie das Magazin mochten oder nicht. Die Karikaturisten wurden ermordet, weil sie gezeichnet haben. Und PEN ist eine Organisation, die Meinungsfreiheit groß schreiben soll. Wer die Menschen nicht respektieren kann, die wiederholt bedroht wurden und dennoch weitermachten, und die schließlich wegen politischer Karikaturen ermordet wurden, ist völlig pathetisch. Viele Kritiker wussten zum Beispiel nicht, dass die Karikaturisten nicht gehasst, sondern geliebt wurden. Und dass das Magazin nicht rassistisch, sondern vielmehr anti-rassistisch ist, dass sein größter Feind der radikale "Front National" ist. Ich fand es schrecklich, die Toten so falsch darzustellen, nur um gegen sie protestieren zu können.

Rushdie war bei der diesjährigen Frankfurter Buchmesse Gastredner.Bild: Getty Images/T. Lohnes

Auf der Frankfurter Buchmesse sagten Sie dieses Jahr, "Unser Beruf fühlt sich immer mehr an wie ein Feldzug". Welchen Feldzug meinten Sie?

Wir müssen unsere wertvolle und hart erkämpfte Freiheit verteidigen. In den letzten Jahrhunderten wurden in Europa Vorstellungen von Freiheit entwickelt, von denen wir heute alle profitieren. Diese Ideen sind bis nach Amerika vorgedrungen, aber der Punkt ist: Wir können uns glücklich schätzen, in einem Teil der Welt zu leben, in dem wir frei sein dürfen. Die meisten anderen Länder haben diese Freiheit nicht. China? Nein. Weite Teil der islamischen Welt? Fehlanzeige. Der Großteil Afrikas? Nein. Wenn wir diese Werte also schon haben, dann müssen wir sie auch verteidigen. Wir müssen für sie kämpfen, wenn es sein muss.

Der indisch-britische Schriftsteller Sir Ahmed Salman Rushdie gehört zu den bedeutendsten Vertretern der zeitgenössischen Literatur. Seine Erzählungen reichert er mit Elementen aus der Märchenwelt an. Rushdie ist in manchen Teilen der islamischen Welt verhasst: Sein Buch "Die Satanischen Verse" war 1989 Anlass für den iranischen Geistlichen und Revolutionsführer Ajatollah Chomeini, Rushdie mittels einer Fatwa, zum Tode zu verurteilen. Sein aktueller Roman "Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte" ist bei C. Bertelsmann erschienen.

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