Im August 2022 wurde der Schriftsteller Salman Rushdie bei einem Attentat in den USA schwer verletzt. Nun hat er den Angriff in seinem Essay "Knife. Gedanken nach einem Mordversuch" verarbeitet.
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Nach der Fatwa, einem islamischen Todesurteil, das vor über 30 Jahren über ihn verhängt worden war, ging Salman Rushdie in den Untergrund, doch schweigen wollte er nie. In seiner Wahlheimat, den USA, fühlte er sich sicher, doch der 12. August 2022 zeigte, dass die vermeintliche Sicherheit eine Fehleinschätzung war - und der jahrelange Hass auf ihn offenbar nicht nachgelassen hat.
Ein damals 24-jähriger Attentäter griff Rushdie bei einer Literaturveranstaltung im US-Bundesstaat New York mit einem Messer an und verletzte ihn schwer. Damals sagte Rushdie in einem Interview mit der "Zeit", er habe enormes Glück gehabt. "Hätte mich der Angreifer an anderen Stellen des Körpers getroffen, meine Geschichte wäre beendet." Der 76-jährige Schriftsteller und Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandelskämpft bis heute mit den Folgen: Er ist auf einem Auge blind und kann eine Hand nicht mehr bewegen.
Ein Überblick über Salman Rushdies Werk
Sein erster Roman floppte, der zweite machte ihn berühmt, der vierte brachte ihm Todesdrohungen ein. "Die satanischen Verse" sind weltbekannt. Doch Salman Rushdie auf diesen Roman zu reduzieren, würde ihm nicht gerecht.
Bild: KHARBINE-TAPABOR/imago images
"Victory City" (2022)
In seinem 15. Buch, einer märchenhaften Allegorie, erzählt Rushdie die Geschichte des indischen Waisenmädchens Pampa Kampana im 14. Jahrhundert. Sie erhält von einer Göttin übernatürliche Kräfte und lässt aus einer Handvoll Samenkörner die "Stadt des Sieges" entstehen. All ihr Handeln beruht auf der großen Aufgabe, den Frauen in einer patriarchalen Welt eine gleichberechtigte Rolle zu geben.
Bild: Cindy Ord/Getty Images for PEN America
"Quichotte" (2019)
Salman Rushdies "Quichotte" modernisiert Cervantes' Klassiker und verlegt die Suche eines alternden Reisenden in die heutige USA. Er spielt mit Fakten und Fiktion, erzählt von Alltagsrassismus und der Opioid-Krise - und driftet zugleich ins Surreale ab. Der Roman war für den renommierten Booker Prize 2019 nominiert.
Bild: Tolga Akmen/AFP via Getty Images
"Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte" (2015)
Die Anzahl der Tage im Titel dieses Buches bezieht sich auf Scheherazades Erzählungen von "Tausendundeiner Nacht". Auch Rushdies Roman bietet mindestens so viele Geschichten. Im Jahr der Buchveröffentlichung lud ihn die Frankfurter Buchmesse als Hauptredner ein. Wegen seiner Teilnahme rief der Iran zum Boykott der Veranstaltung auf.
Bild: Maxppp Awaad/dpa//picture-alliance
"Joseph Anton" (2012)
Neun Jahre verbrachte Rushdie im Untergrund. Dort legte er sich das Pseudonym Joseph Anton zu - zu Ehren seiner Lieblingsschriftsteller Joseph Conrad und Anton Tschechow. In dieser Zeit ließ er sich von seiner zweiten Frau scheiden und ging zwei weitere Ehen ein, die beide nach ein paar Jahren wieder zerbrachen. Von diesem Lebensabschnitt erzählt Rushdie in seiner Autobiografie "Joseph Anton".
Bild: PA Stillwel/dpa/picture-alliance
"Luka und das Lebensfeuer" (2010)
Rushdie hat auch zwei Kinderbücher geschrieben. Das Märchen "Harun und das Meer der Geschichten" (1990) kreist um Themen wie Zensur und Meinungsfreiheit. "Luka und das Lebensfeuer" ist ein Fantasy-Roman, in dem ein Junge seinen Vater - einem Geschichtenerzähler - das Leben retten muss.
Bild: Michael Weber/imagebroker/picture-alliance
"Der Boden unter ihren Füßen" (1999)
Postkoloniale Kultur und magischer Realismus sind Rushdies Markenzeichen. Weitere Zutaten seiner Werke: unzählige Referenzen aus Weltgeschehen, Literatur und Pop. Daraus formte er so unterschiedliche Werke wie die Familiensaga "Des Mauren letzter Seufzer" (1995) oder "Der Boden unter ihren Füßen", eine alternative Geschichte der Rockmusik. Die Rockband U2 verwendete den Titel später in einem Song.
"Die satanischen Verse" veränderten das Leben des Schriftstellers grundlegend. Radikale Muslime empfanden den Roman als Gotteslästerung. 1989 verurteilte der iranische Staatschef Ayatollah Khomeini den Autor zum Tode. Viele Jahre lebte Rushdie daraufhin im Untergrund. Die so genannte Fatwa wurde bis heute nicht offiziell aufgehoben. Unser Bild zeigt Proteste gegen das Buch in Kuala Lumpur 2007.
Bild: Shamshahrin Shamsudin/dpa/picture-alliance
"Mitternachtskinder" (1981)
Rushdies erster Roman "Grimus" (1975) fand kaum Beachtung. Doch schon der zweite machte den britisch-indischen Autor zum internationalen Literatur-Star: "Mitternachtskinder" ist eine Allegorie auf die Unabhängigkeit Indiens. Das Buch wurde mit dem Booker Prize ausgezeichnet und gut 20 Jahre nach der Erstveröffentlichung von der indisch-kanadischen Regisseurin Deepa Mehta verfilmt.
Bild: Concorde Filmverleih/dpa//picture-alliance
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Rushdie: "Meine Antwort auf Gewalt ist Kunst"
In mehr als 15 Ländern erscheint nun das Buch "Knife. Gedanken nach einem Mordversuch". Das Buch sei seine Art, "das, was geschehen ist, in den Griff zu bekommen und auf Gewalt mit Kunst zu antworten", erklärte Rushdie in einer Mittelung seines Verlags Penguin Random House. Der Verlag schreibt weiter: "Rushdie hält seinem Angreifer das schärfste Schwert entgegen: Er verarbeitet diese unvorstellbare Tat (…) zu einer Geschichte über Angst, Dankbarkeit und den Kampf für Freiheit und Selbstbestimmung."
Rushdie hatte über sein Vorhaben, ein Buch über den Angriff zu schreiben, bereits im Februar 2023 mit dem US-Magazin "The New Yorker" gesprochen. Die Geschichte habe er allerdings in der ersten Person schreiben wollen. "Wenn jemand mit einem Messer in dich hineinsticht, dann ist das eine Ich-Geschichte." Es sei nicht das einfachste Buch auf der Welt, aber er müsse es schreiben und sich mit dem Anschlag auseinandersetzen, damit er sich wieder anderem zuwenden könne. "Ich kann nicht einfach einen Roman schreiben, der nichts damit zu tun hat," sagte er in dem langen Interview. So ähnlich sei es ihm auch in den Jahren direkt nach der Fatwa gegangen.
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Bis heute wurde die Fatwa nicht zurückgenommen
Diese war im Februar 1989 als Reaktion auf das Buch "Die Satanischen Verse" vom damaligen obersten Glaubenshüter des Islam, Ajatollah Ruhollah Chomeini aus dem Iran ausgesprochen worden. Er verhängte damit das Todesurteil über Rushdie und alle, die an der Veröffentlichung des Buches beteiligt waren. Seitdem läuft der Schriftsteller ständig Gefahr, von islamistischen Extremisten angegriffen zu werden - bis heute.Doch der Furcht wollte Rushdie nie einen großen Raum geben.
Der Attentäter vom August 2022 hatte bei der Kulturveranstaltung ein leichtes Spiel, denn Sicherheitsvorkehrungen waren so gut wie nicht vorhanden. Der Angreifer konnte im Anschluss überwältigt und verhaftet werden. Die Anklage wegen versuchten Mordes weist der mutmaßliche Täter zurück und bekennt sich nicht schuldig. Der Prozess gegen ihn hätte bereits im Januar 2024 beginnen sollen. Doch die Verteidigung hatte erklärt, ihr Mandant habe das Recht, das Buchmanuskript als potenzielles Beweismittel einzusehen. Ein neuer Termin für den Prozessbeginn ist noch nicht bekannt.