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Salman Rushdies Roman "Victory City" jetzt auf Deutsch

19. April 2023

Vor mehr als 30 Jahren wurde über den Schriftsteller Salman Rushdie die Fatwa - ein Todesurteil - verhängt. Er ging in den Untergrund, doch schweigen wollte er nie. Nun ist sein neuer Roman da.

Salman Rushdie hält ein Mikrofon in der Hand und gestikuliert lächelnd.
Salman Rushdie bei einer Veranstaltung in Wien 2019Bild: Herbert Neubauer/AFP via Getty Images

Bradford im Norden Großbritanniens. Es ist der 14. Januar 1989, ein ruhiger Samstagmorgen. Plötzlich erwacht die Stadt: Hunderte aufgebrachter Menschen laufen durch die Straßen und versammeln sich vor dem Rathaus. Sie protestieren gegen ein Buch und verbrennen schließlich einige Exemplare davon. Es sind "Die Satanischen Verse" des indisch-britischen Autors Salman Rushdie. Es gibt empörte Reden, in denen der Roman als Blasphemie und unerträgliche Beleidigung des Islam angeprangert wird.

Weltweite Empörung bis hin zu Todesurteil

Doch als Asche und verkohlte Fetzen der verbrannten Buchseiten über den Platz wehen, ahnen selbst die militantesten Anführer des Protests nichts von dem weltweiten Feuer, das sie gerade entfacht haben: Bücherverbrennungen in vielen Ländern, Anschläge auf Buchläden, Tote bei Demonstrationen, Bombendrohung gegen Rushdies Verlag sowie gegen die Fluggesellschaft British Airways, Steinwürfe gegen britische Botschaftsgebäude.

Rund um den Globus sind Polizei, Parlamente und Regierungen in Aufruhr. Schließlich meldet sich der oberste Glaubenshüter des Islam, Ajatollah Ruhollah Chomeini aus dem Iran und verhängt ein Todesurteil - die so genannte Fatwa - über Rushdie und alle, die an der Veröffentlichung des Buches beteiligt sind: "Ich rufe alle aufrechten Muslime auf, diese Leute sofort hinzurichten, wo immer sie sie finden, so dass niemand mehr wagen wird, die Heiligkeit des Islam zu verletzen," sagt Chomeini am 14. Februar 1989 im iranischen Rundfunk. "Jeder Muslim, der dabei stirbt, wird als Märtyrer angesehen und kommt direkt ins Paradies."

Ajatollah Ruhollah Chomeini im Kreis seiner AnhängerBild: navideshahed

Die "Satanischen Verse" sollten nur Satire sein

Salman Rushdie wurde am 19. Juni 1947 im indischen Bombay, dem heutigen Mumbai, geboren, wuchs in Indien und England auf und wurde muslimisch erzogen. Den Glauben legt er als junger Erwachsener ab. In seiner Wahlheimat England veröffentlicht er mehrere halb realistische, halb fantastische Romane und feiert seine ersten Erfolge.

Salman Rushdie 1986Bild: Reg. Innell/ZUMA Press/IMAGO Images

1988 erscheinen die "Satanischen Verse". Ein satirisches Märchen, in dem es um Gut und Böse geht, Traum und Wirklichkeit sowie Heimat, Migration und Identität: Themen, die Rushdie als Migrant in Europa begleiten.

Teufel und Huren

Was die islamische Welt empört, sind die Allegorien, die Rushdie in seinem Buch benutzt; er belegt den Propheten Mohammed mit einem Spottnamen, den ihm die Christen im Mittelalter gegeben haben: Mahound. Dieser wird in dem Buch zum Propheten, gründet eine der größten Weltreligionen und wird an seinem Geburtstag von einer Stimme in seinem Ohr gefragt: "Was für eine Art Idee bist du? Mann oder Maus?"

Zudem werden zwölf Huren zu den zwölf Ehefrauen des Propheten. Vom Satan eingegebene Verse untergraben schließlich die göttliche Offenbarung des Korans - für die muslimische Welt ist dies untragbar. Schon kurz nach Erscheinen des Buches hagelt es Proteste, die schließlich in der Fatwa gipfeln. Außerdem wird ein Kopfgeld in Millionenhöhe auf Rushdie ausgesetzt, das mit den Jahren immer weiter erhöht wird.

Weltweite Berühmtheit für einen hohen Preis

Proteste gegen Rushdie in PakistanBild: Mk Chaudhry/epa/dpa/picture alliance

Rushdie muss mit Hilfe des britischen Geheimdienstes untertauchen und wechselt binnen eines Jahres 56 Mal sein Versteck. Währenddessen versucht er, ein möglichst normales Leben zu führen und weiter zu schreiben. In einem heimlich aufgenommen Radiointerview versucht er, die Wogen zu glätten: "Ich bedauere es zutiefst, wenn die Veröffentlichung islamischen Gläubigen Schmerz zugefügt hat. (…) Wir dürfen die Empfindlichkeit anderer nicht aus den Augen verlieren."

Viele Jahre lang hält sich Rushdie im Untergrund auf. Die Fatwa wird nicht zurückgenommen. Aus seinen Verstecken heraus meldet sich Rushdie immer wieder zu Wort und ist in den 2000er-Jahren auch Vorsitzender der US-Abteilung des internationalen Schriftstellerverbandes PEN.

2007 erhebt ihn Queen Elizabeth II. in den Ritterstand, was erneut zu weltweiten Protesten in der muslimischen Welt führt.

Mehrere Romane erscheinen, und immer wieder wird der Autor mit renommierten Literaturpreisen ausgezeichnet. Als sein bestes Buch gilt seine Autobiografie "Joseph Anton", in der er seine Jahre im Untergrund thematisiert. Schließlich siedelt er in die USA um. Trotz der immer latent drohenden Fatwa bewegt er sich nun freier, lehnt den Personenschutz ab. Er besucht Veranstaltungen, tritt öffentlich auf.

August 2022: Das Attentat

Doch im August 2022 zeigt sich, dass der jahrelange Hass islamistischer Extremisten offenbar nicht nachgelassen hat.

Der verletzte Rushdie wird nach dem Angriff versorgtBild: Joshua Goodman/AP/picture alliance

Ein damals 24-jähriger Attentäter greift Rushdie bei einer Literaturveranstaltung mit einem Messer an und verletzt ihn schwer. Der Schriftsteller, der zwei Monate zuvor seinen 75. Geburtstag gefeiert hatte, kämpft bis heute mit den Folgen: Er ist auf einem Auge blind und kann eine Hand nicht mehr bewegen.

In einem Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit" hat Rushdie sich nun zu dem Attentat geäußert: "Ich hatte enormes Glück. Hätte mich der Angreifer an anderen Stellen des Körpers getroffen, meine Geschichte wäre beendet", sagte er. Er sei froh, dass der Attentäter diese Stellen nicht getroffen habe. "Und dann hat der Körper offenbar eine verblüffende Fähigkeit zu heilen." Rushdie kritisierte allerdings die mangelnden Sicherheitsvorkehrungen rund um die Leseveranstaltung. Er habe Veranstaltern zwar immer geraten, sich nicht verrückt zu machen, aber ein gewisses Maß an Sicherheit müsse gewährleistet werden. Dass dies an jenem Augusttag nicht geschehen sei, sei "ein Fehler" gewesen. "Als dieser Kerl auf mich zu gerannt kam, stand niemand im Weg."

"Victory City" erscheint nun auf Deutsch

Nichtsdestotrotz wurde im Februar 2023 sein neues - fünfzehntes - Buch "Victory City" veröffentlicht. Rushdie nimmt uns darin mit ins Südindien des 14. Jahrhunderts und erzählt die Geschichte des indischen Waisenmädchens Pampa Kampana. Sie erhält von einer Göttin übernatürliche Kräfte und soll deren weltliches Sprachrohr sein. Mit Hilfe seiner frisch erworbenen Zauberkräfte lässt das Mädchen aus einer Handvoll Samenkörner die Stadt Bisnaga entstehen, deren Name übersetzt "Stadt des Sieges" heißt. All ihr Handeln beruht auf der großen Aufgabe, die ihr die Göttin gestellt hat: den Frauen in einer patriarchalen Welt eine gleichberechtigte Rolle zu geben. Die Geschichte ist eine märchenhafte Allegorie auf den Aufstieg und Fall des alten hinduistischen Königreiches Vijayanagara, das sich zwischen dem 14. und dem 16. Jahrhundert über ganz Südindien erstreckte.

Auf Lesereisen oder Promo-Veranstaltungen ist Rushdie nicht gegangen. Allerdings machte er zur Veröffentlichung von "Victory City" regen Gebrauch vom Kurznachrichtendienst Twitter, wo er unter anderem zahlreiche Rezensionen zu seinem neuen Buch gepostet hat. Im untenstehenden Tweet freut er sich über die besonders wohlwollende Rezension in der indischen Ausgabe des Magazins "The Wire".

In der deutschen Fassung ist "Victory City" ab dem 20. April 2023 erhältlich.


Dieser Artikel wurde anlässlich des deutschen Erscheinungsdatums des Romans aktualisiert.

 

Silke Wünsch Redakteurin, Autorin und Reporterin bei Culture Online