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Musik

Die Salzburger Festspiele in der Pandemie

Rick Fulker
30. August 2020

Am 30. August endet das wohl wichtigste Festival für klassische Musik. Eine Momentaufnahme aus einem besonderen Jahrgang der Salzburger Festspiele.

Stehende Musiker auf der Bühne
Keine Social Distancing bei den Wiener PhilharmonikernBild: DW/R. Fulker

Am vorletzten Tag der Salzburger Festspiele ist das Große Festspielhaus fast voll besetzt. Auf der Bühne aufgestellt sind die Wiener Philharmoniker, weder Corona-bedingt in kleiner Besetzung, sondern vollzählig und ganz ohne Abstand. Mit dem Gastdirigenten Gustavo Dudamel spielen sie den "Feuervogel" von Igor Stravinsky, und zusammen mit dem Klaviersolisten Yevgeny Kissin das Klavierkonzert Nr. 1 von Franz Liszt. Ein volles, fast zweistündiges Programm, von fragilsten Momenten zu Klang-Eruptionen: ein musikalischer Rausch. Es fehlt nichts - oder vielmehr, es fehlt doch etwas: das Husten zwischen den Satzpausen.

Diese Unsitte bei Konzerten mit klassischer Musik, bei der das Publikum, das sonst mucksmäuschenstill sitzt und keine Regung zeigt, normalerweise die aufgestaute Energie entlädt: Zu Corona-Zeiten würde dieser klangliche Beitrag der Besucher böse oder besorgte Blicke hervorrufen. Es zeigt, dass sich das Publikum in diesem besonderen Jahr seiner Eigenverantwortung bewusst ist.

Personal und Ordnungskräfte vermitteln ein SicherheitsgefühlBild: DW/R. Fulker

Es geht doch: Festspiele in der Pandemie

Nach monatelanger Konzertabstinenz nun also ein Fest für das musikhungrige Publikum und für spielfreudige Musiker. Aus dem ursprünglich angesetzten Kontingent von 240.000 blieben beim abgespeckten Programm 80.000 Karten im Angebot, die ausgedruckt oder vom Smartphone aus sicherem Abstand am Einlass gescannt und mit dem Personalausweis abgeglichen werden. Im Festspielhaus, dem Haus für Mozart und in der Felsenreitschule stehen Säulen mit Desinfektionsmittel.

Noch etwas ist anders in dieser Saison: keine Empfänge, keine Bewirtung. Dafür ist Salzburg freundlicher, nahbarer, menschlicher geworden. Nicht Schickimickis fallen auf, sondern freundliche Gesichter und Personal. Bei einer Pressekonferenz bedankte sich Festspiele-Präsidentin Helga Rabl-Stadler bei anwesenden Pressevertretern persönlich und einzeln für ihren Mut, dass sie gekommen sind.

Die Konzertorte und -zeiten wurden austariert, die Konzertpausen abgeschafft, um auf der "Straße, die die Menschheit bedeutet" vor dem Festspielhauskomplex größere Menschenansammlungen zu vermeiden. Ansonsten zeigte sich das Gesicht der Mozartstadt so, wie man es sonst kennt: Die Getreidegasse, die schmalen Passagen und die Straßencafes sind voller Menschen, und anders als in Deutschland tragen nur wenige Atemschutzmasken.

Die Enge der Salzburger Straßen wird einem im Pandemiejahr bewussterBild: DW/R. Fulker

Ein großes Experiment

Das hundertjährige Jubiläum der Salzburger Festspiele wird in die Geschichte eingehen. Ob es Infektionen gab, die auf die Veranstaltungen zurückzuführen sind, das muss man ein paar Wochen nach dem Abschluss der Festspiele am 30. August abwarten. Nach Angaben der Festspiele gab es jedenfalls bislang keine Hinweise darauf; nach einem einzigen Infektionsfall beim Personal im Sommer wurden sofort Maßnahmen ergriffen.

"Man sieht und spürt, dass die Leute, die hier sind - ob Musiker oder Publikum - es wirklich wollen", sagte Daniil Trifonov, der von seiner Wahlheimat New York angereist war. Der russische Weltklasse-Pianist spielte ein langes Programm mit dem Titel "Décades" und Musik aus acht Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts: von Alban Berg über Béla Bartók, Olivier Messiaen und Karlheinz Stockhausen bis hin zu John Corigilano.

Daniil Trifonov profilierte sich bisher vor allem mit romantischer Musik, jetzt zeigt er einen musikalischen Querschnitt des 20. JahrhundertsBild: picture-alliance/AP Images/The Yomiuri Shimbun

Nach dem pausenfreien Mammutprogramm zeigte sich der 29-Jährige sichtlich erschöpft aber glücklich, nach Monaten des Stillstands wieder vor Publikum spielen zu dürfen. "Wieder zu einer gewissen Regelmäßigkeit bei öffentlichen Konzerten zu gelangen, wird vorteilhaft sein", sagte der Pianist der DW in seiner ganz eigenen, sehr untertreibenden Art. Dafür ist sein Spiel alles andere als nüchtern: Man hört darin nicht nur viele Noten, sondern auch Bilder, Naturphänomene, Stimmen. Die Pandemie unterbrach nicht nur Trifonovs Konzerttätigkeit, sondern auch ein Studioprojekt: Er sollte Werke vom seinem Lieblingskomponisten Alexandr Skrjabin auf CD bannen. Dafür nutzte er die Zeit, um zu Musik zurückzukehren, die er seit seinen Teenager-Jahren nicht mehr gespielt hatte.

Wer kein Gehörgerät trägt, bekommt Ohrstöpsel

"Ein Nachmittag wie heute motiviert ungemein, weil er zeigt, was möglich ist", sagte der österreichische Perkussionist Martin Grubinger. Mit seinem Percussive Planet Ensemble gab er Werke von Wolfgang Rihm, Iannis Xenakis und Steve Reich. Ein Programm, das die Ohren frei pustete: Für die sensibleren Hörer im Publikum wurden vorab Ohrstöpsel verteilt.

Für Martin Grubinger muss Kunst relevant seinBild: BR/Broede

Den Lockdown hatte Grubinger zunächst als Erleichterung empfunden: Reisen wurden abgesagt, es gab plötzlich Zeit "für die Familie, um 'Krieg und Frieden' zu lesen oder um Italienisch zu lernen". Nach ein paar Wochen stellte sich aber ein anderes Gefühl ein: "Irgendwas ist hier komisch. Man hat nicht die innere Ruhe, wenn man ständig die Nachrichten checkt". Grubinger und seine Mitstreiter sind dann auf LKWs in österreichische Dörfer gefahren und haben für die dortigen Einwohner gespielt oder haben sich in Online-Projekte und Lehrtätigkeiten gestürzt. "Nach einem unglaublich intensiven Sommer meinten wir: Wir haben seit zehn Jahren nicht so viel gearbeitet wie jetzt."

Die Corona-Krise hat Grubinger die Verletzlichkeit der Kultur gezeigt und vielleicht auch einen neuen Weg: "Wir haben es in den letzten zehn Jahren versäumt, bei allen Publikums- und Bevölkerungsschichten für Relevanz zu sorgen. Wenn wir die Signale richtig deuten, wird es jetzt darum gehen, anstatt an das nächste Gastspiel in Asien zu denken, für das breitere, lokale Publikum zu spielen."

Kunst muss relevant bleiben

Relevanz beim Publikum war ein zentraler Gedanke bei der Gründung der Salzburger Festspiele vor 100 Jahren. Auch kurz nach dem Ersten Weltkrieg dürstete man nach Kultur. Im Jahrgang 2020 ging es den Veranstaltern darum, neue Möglichkeiten auszuloten - auch, einen Weg nach vorn zu zeigen? Ein zweites Pandemiejahr könnten sogar die Salzburger Festspiele, deren Einnahmen zu 70 Prozent aus Karteneinnahmen bestehen, kaum in dieser Form mit Schauspiel, Oper und Konzert überstehen.

Gegen Ende dieses Jahrgangs wurde das Programm der kommenden viertägigen Salzburger Pfingstfestspiele unter der Leitung der italienischen Sopranistin Cecilia Bartoli vorgestellt. Darin wird es thematisch um ihre Heimatstadt Rom gehen. Man blickt in Salzburg in die Zukunft.

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