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"Europa muss mit einer Stimme sprechen"

1. Februar 2022

Mit Sorge blickt der Westen auf die russischen Drohgebärden gegen die Ukraine. Können Sanktionen den Kreml von militärischen Aktionen abhalten? Würde sich der Westen selbst schaden? Fragen an einen Außenhandelsexperten.

Russland Sberbank in St Petersburg
Sitz der russischen Sberbank in St. PetersburgBild: picture alliance/dpa/P. Kovalev/Tass

Wegen des russischen Truppenaufmarschs an der Grenze zur Ukraine befürchtet der Westen einen Angriff Russlands und droht für diesen Fall mit scharfen Sanktionen. Moskau weist die Vorwürfe zurück und erklärt, es fühle sich seinerseits von der Ukraine und dem westlichen Militärbündnis NATO bedroht.

Unterdessen schließt US-Präsident Joe Biden auch persönliche Sanktionen gegen Putin nicht aus. Wobei Maßnahmen gegen Putin ja nur eine von zahlreichen Wirtschaftssanktionen sind, die Europäer und Amerikaner derzeit diskutieren. Doch was steht dabei auf dem Spiel? Immerhin ist Russland ja ein wichtiger Energielieferant für die Europäer. Darüber ein Gespräch mit dem Handelsexperten Julian Hinz vom Kieler Institut für Weltwirtschaft.

Julian Hinz, Ökonom, Kiel Institut für WeltwirtschaftBild: IfW Kiel/Studio 23


DW: Herr Professor Hinz, angesichts einer möglichen Eskalation mit Russland im Ukraine-Konflikt denkt der Westen wieder über Wirtschaftssanktionen nach. Halten Sie das für eine gute Idee?

Julian Hinz: Auf jeden Fall scheint es ein Mittel zu sein, womit man Erfahrung hat. Es gibt ja schon seit 2014 Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Auch ist Russland ja nicht das einzige Land, welches Ziel europäischer oder westlicher Sanktionen ist. Da gibt es ja noch diverse andere Länder, auch der Iran. Und ich denke, es ist ein Mittel, um außenpolitisch zu agieren.

Sie sagten, es gibt schon Sanktionen seit 2014. Welche sind noch in Kraft?

Das reicht von Finanzsanktionen gegen bestimmte russische Finanzinstitute und Unternehmen hin zu sogenannten "Targeted Sanctions", also Sanktionen gegen Personen, die dadurch nicht mehr in die EU und in andere Länder einreisen können, die nicht Zugriff auf ihre Finanzen haben.

Derzeit werden ja relativ extreme Sanktionen diskutiert, zum Beispiel Russland vom internationalen Zahlungsverkehrs-System SWIFT auszuschließen oder ihnen die Verwendung von Dollar zu verbieten. Auch sollen amerikanische Hightech-Konzerne womöglich angewiesen werden, nicht mehr mit Russland aktiv zu sein. Halten Sie das einfach nur für ein möglichst maximales Szenario?

Ja, ich denke schon, dass das die ganz große Keule wäre, vor allem die Abkopplung vom Dollar oder auch dem SWIFT-System. Das würde auch unmittelbar zu massiven Verwerfungen in Russland führen. Das hat man gerade mit dem Abkoppeln von SWIFT. Damit hat man ja auch schon Erfahrungen. Man sieht, was im Iran passiert ist, da folgte eine massive Wirtschaftskrise. Gleichzeitig ist es natürlich so, dass nicht alle Länder auf dieses System angewiesen sind. Und beim Iran sieht man beispielsweise, dass sich die Wirtschaftsbeziehungen des Iran deutlich Richtung China, Richtung Indien verlagert haben, also hin zu Partnern, die nicht Teil dieser Sanktionen sind.
Wie wahrscheinlich ist das, dass es bei Russland auch passiert? Weil es ist ja sicher, dass China, wie auch immer die Sanktionen ausfallen, sich nicht daran beteiligen wird. Es ist auch sicher, dass sich Indien nicht daran beteiligen wird.

Russische Banken könnten ins Visier von Sanktionen geratenBild: picture alliance/dpa/P. Kovalev/Tass

Also ich vermute, dass man Ähnliches sehen würde wie etwas, was man im Falle Iran gesehen hat, dass es also eine Umorientierung der Wirtschaftsbeziehungen geben würde in so einem Moment. Gleichzeitig muss man aber auch sagen, dass das - wie schon gesagt -  die ganz große Keule wäre. Ich vermute eher, dass für den Fall, dass weitere Sanktionen verhängt würden, man sich erstmal im momentanen Instrumentenkasten bedienen würde. Also gewisse Finanzsanktionen gegen russische Finanzinstitutionen und Unternehmen, aber auch gegen Privatpersonen. Und dazu könnten Export-Restriktionen von europäischer und anderer westlicher Seite kommen. Da kann man relativ gut abschätzen, wie die Effekte sind und da gibt es sicherlich noch Luft nach oben.

Nun ist ja Russland ein wichtiger Öl- und Gaslieferant für Deutschland und für Europa. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass Russland dann einfach die Energielieferungen stoppt?

Das halte ich für nicht sehr wahrscheinlich. Das sind wechselseitige Abhängigkeiten. In dem Moment, in dem Russland die Energielieferungen stoppt, bekommt es natürlich auch kein Geld mehr dafür. Es gibt aber langfristige Verträge. Auch da wäre natürlich die Frage, ob so was sofort gestoppt werden würde. Uns selbst zu Hochzeiten des Kalten Krieges ist weiter Gas und Öl aus der Sowjetunion nach Europa geflossen.

Also ich glaube, da müsste schon einiges passieren, dass das wirklich gemacht wird. Aber auch dann ist Deutschland und aber auch gerade Europa nicht mehr so abhängig von russischem Öl, wie es das beispielsweise vor zehn, zwölf Jahren war. Es gibt zudem die Alternative Flüssiggas (LNG). Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass dieses Schreckensszenario eintritt.

Sie sprachen von wechselseitigen Abhängigkeiten. Wie würden Sie die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Russland und den Europäern beschreiben?

Das, was so ein bisschen durch die Medien geistert, ist immer die Sache mit der Abhängigkeit. Wir sehen die deutschen und die europäischen Abhängigkeiten von russischem Öl. Gleichzeitig muss man sehen, dass gerade mal zwei Prozent der deutschen Exporte und Importe mit Russland stattfinden. Das Zweieinhalbfache davon findet mit Polen statt, das eineinhalbfache mit Tschechien. Also man muss auch mal ein bisschen relativieren, wie wichtig Russland als wirtschaftlicher Partner Deutschlands und Europas ist.

Rohre für das Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2: Das Projekt könnte scheitern, würden Sanktionen kommenBild: Sean Gallup/Getty Images

Wenn man über Kosten von Sanktionen für die deutsche Wirtschaft, für die europäische Wirtschaft redet, dann sind die niemals so hoch wie das, was wir gerade an Handel und Investitionen mit Russland tätigen. Weil in dem Moment, in dem es schwieriger wird, mit Russland Geschäfte zu machen, weicht man aus auf andere Märkte. Das heißt, der tatsächliche Verlust ist deutlich geringer.

Andersherum sieht das schon anderes aus. Russland ist massiv auf Exporte nach und Importe aus Europa angewiesen. Exporte sind vor allem die erwähnten Rohstoffe Gas und Öl.  In der anderen Richtung ist Russland definitiv angewiesen auf europäische oder westliche Technologie-Importe.

Angesichts dieser beschriebenen Abhängigkeiten: Könnte das nicht dazu führen, dass die Europäer sagen. Okay, dann machen wir es aber härter?

Ich würde es eher so sagen, das Europa, sofern es eine klare Position hätte, durchaus da noch mehr Einfluss hätte in dem, was sie tun können. Aber es ist ja, wie man sieht, nicht unbedingt immer eine gemeinsame europäische Position zu sehen. Und Sanktionen werden natürlich auf europäischer Ebene verhängt. Die Wirkung von Sanktionen hat natürlich ganz viel mit dem mit den Botschaften drumherum zu tun. Die besten Sanktionen sind die, die nie verhängt werden müssen, weil man sozusagen damit droht, etwas zu tun und dann aber gar nicht machen muss, weil im Vorhinein schon darauf eingegangen wird. Dieses Spiel spielt Europa noch nicht so gut.

Julian Hinz forscht zu Themen des internationalen Handels, der Migration und der angewandten Ökonometrie. Er ist Leiter der Trade Policy Task Force am Kiel Institut für Weltwirtschaft und Juniorprofessor für Internationale Volkswirtschaftslehre an der Universität Bielefeld.

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Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.
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