1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Sanktionen: Russland verliert, Kasachstan gewinnt

Anatolij Weißkopf
16. Mai 2023

Die Sanktionen gegen Russland verhelfen Kleinhändlern im benachbarten Kasachstan zu guten Geschäften. Die geplante Online-Überwachung von Im- und Exporten fürchten sie nicht. Denn es gibt viele Schlupflöcher.

Russland Kasachstan Grenze
Reger Warenaustausch trotz Sanktionen: Stau an der Grenze zwischen Russland und KasachstanBild: STRINGER/AFP via Getty Images

Ein neues kasachisches Online-System soll den Import und Export von Waren, die im Ausland hergestellt werden, überwachen. Es besteht der Verdacht, dass bestimmte kasachische Unternehmen Waren nach Russland reexportieren, die wegen der vom Westen gegen Moskau verhängten Sanktionen nicht dorthin geliefert werden dürfen.

So forderte jüngst die kasachische Parlamentsfraktion der Partei "Ak Schol" (Lichter Weg) die Regierung in Astana auf, Unternehmen zu identifizieren und zu benennen, die an der Umgehung von Sanktionen gegen Russland beteiligt sein könnten.

"Internationale Partner hegen Zweifel wegen des um das 22-Fache gestiegenen Volumens der Elektronik-Exporte aus Kasachstan nach Russland. Sie führen dies auf verdeckte Reexporte sanktionierter Produkte aus Drittländern im Zuge sogenannter Parallelimporte zurück. Aber auch auf einen gefälschten Transit, bei dem Waren aus Europa nicht einmal in unser Land gelangen, da sie auf halbem Weg an Endkunden weiterverkauft werden, hinter denen sich russische Unternehmen verbergen", heißt es in der Anfrage der kasachischen Abgeordneten.

Maßnahmen gegen Länder Zentralasiens?

Anlass für die Anfrage an den kasachischen Premierminister Alichan Smailow waren die Ergebnisse des Besuchs einer amerikanisch-britischen Delegation in den Ländern Zentralasiens unter der Leitung der stellvertretenden Finanzministerin für die Bekämpfung von Terrorismusfinanzierung und Finanzkriminalität, Elizabeth Rosenberg, und des stellvertretenden Handelsministers Matthew Axelrod.

Nach Abschluss der Gespräche mit der kasachischen Regierung, sagten Rosenberg und Axelrod auf einer Pressekonferenz am 25. April in der kasachischen Hauptstadt Astana, sie hätten Kasachstan und anderen zentralasiatischen Ländern deutlich gemacht, dass bei Verstößen gegen Exportkontrollen und US-Gesetze sekundäre Sanktionen verhängt werden können.

"Wir reden heute nicht über iPhones, nicht über Waschmaschinen, sondern über Komponenten der Computertechnologie, die zur Stromversorgung und Steuerung von Raketen und Drohnen verwendet werden, mit denen die russische Militärmaschinerie Zivilisten und Soldaten auf dem Territorium der Ukraine tötet. Wir sehen seit Beginn des Krieges einen starken Anstieg der Lieferungen bestimmter Güter nach Kasachstan", betonte Axelrod.

Kleinhändler zwischen Russland und Kasachstan

Der 35-jährige Andrej, der nach der Ankündigung der Teilmobilmachung in Russland im September 2022 aus Nowosibirsk, wo er zehn Jahre gelebt hat, in seine ostkasachische Heimatstadt Ust-Kamenogorsk zurückgekehrt ist, hat aus den Medien vom Besuch der amerikanisch-britischen Delegation und auch vom neuen Online-Überwachungssystem für Importe und Exporte gehört. Er bezweifelt jedoch, dass "amerikanische Drohungen und restriktive Maßnahmen" den Handel mit Russland irgendwie beeinflussen können.

Eine Straße in Ust-Kamenogorsk, die in Richtung Russland führtBild: Anatol Weisskopf/DW

"Wie soll man die 7500 Kilometer lange Grenze zwischen Kasachstan und Russland schließen? Das ist unmöglich! Allein im Osten Kasachstans leben Tausende von Menschen vom Handel mit der russischen Teilrepublik Altai. Es gibt wieder so viele Kleinhändler wie in den 90er Jahren. Sie bringen von dort billigere Lebensmittel und von hier transportieren sie alle möglichen Geräte, die dort jetzt dringend benötigt werden", erzählt Andrej K., der nicht fotografiert werden möchte. Er selbst transportiert an Wochenenden mit seinem schon ziemlich ramponierten Lada "Sonderbestellungen" ins russische Barnaul.

"Von Ust-Kamenogorsk bis zur russischen Grenze sind es nur zwei Stunden Fahrt, etwas mehr als 130 Kilometer, dann noch vier Stunden bis Barnaul. Die Straße ist gut. Probleme mit den russischen Grenzbeamten gibt es keine, erst recht nicht, wenn man Elektronik oder Ersatzteile für Autos mit sich führt", sagt der Mann, der jetzt im Osten Kasachstans lebt. Ihn freut, dass der rege Handel mit Russland es ihm ermöglicht, seine Finanzen aufzubessern.

Was in Russland besonders gefragt ist

Dass "spezifische Waren" in Russland sehr gefragt sind, bestätigt auch Sabit, der einen Elektronikladen mit Werkstatt im Zentrum von Ust-Kamenogorsk betreibt. Ungefähr sechs Monate nach Beginn von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine seien die Anfragen aus Russland gestiegen.

"Zunächst interessierten sie sich für Motherboards und Arbeitsspeicher für Computer, Grafikkarten und andere Hardware. Jetzt wollen sie Drohnen und Actionkameras. Gefragt sind chinesische Mavic- und Agras-Drohnen, bei den Kameras wollen sie welche von Xiaomi", so der Mann, der sich ebenfalls nicht fotografieren lassen will.

Wie Andrej bringt auch Sabit zusammen mit seinen Mitarbeitern oft selbst die bestellten Waren nach Russland. Dabei ist ihm bewusst, dass es sich bei der Elektronik um Produkte mit doppeltem Verwendungszweck handelt, die vom Westen mit Sanktionen belegt sind. Daher überlegt er sich im Voraus sorgfältig die Route seiner Fahrt nach Russland.

"Berichte über das Online-Überwachungssystem haben zunächst große Firmen erschreckt, die mit großen Lastwagen Waren nach Russland transportieren. Sie können die Grenzkontrollen nicht umgehen. Wir als Kleinunternehmer haben es da einfacher", sagt Sabit.

Er könne mit seinem kleinen Wagen Landstraßen nehmen, durch Wälder und Berge fahren. Zum Beispiel durch die Region Pawlodar, die ein wahres Schlupfloch sei. "Das ist Business! Und zwar ein gutes Business für viele Menschen, wenn man bedenkt, dass man im Osten Kasachstans ein viel geringeres Einkommen hat als in Astana oder Almaty", so der Händler.

Ein "singender" Springbrunnen im Zentrum von Ust-KamenogorskBild: Anatol Weisskopf/DW

Verbunden mit Russland

Allerdings haben diese "guten Geschäfte" auch eine Kehrseite. Alle Gesprächspartner der DW sagen, dass fast alle derzeit in Russland stark nachgefragten Waren auch in Kasachstan deutlich teurer geworden sind.

Ein in China hergestellter Quadrocopter "für den Einsatz in der Landwirtschaft", kostete vor einem Jahr 600.000 Tenge (umgerechnet 1.324 Euro), heute liegt der Preis bei 1,4 Millionen Tenge (umgerechnet 2.857 Euro). Auch Komponenten für Computer, Laptops, Haushalts- und Bürogeräte sind inzwischen deutlich teurer.

"Aber unsere Kunden aus Russland stört diese Preiserhöhung offenbar nicht besonders. Die Anfragen von dort sind nicht zurückgegangen. Das ist einerseits gut, aber andererseits merkt man auch, dass Einheimische weniger kaufen, was schlecht ist", sagt Andrej.

Ihm zufolge gibt es aber noch einen anderen Faktor: "Im Osten Kasachstan leben viele Menschen, die Russland unterstützen. Man muss sich nur den 'singenden Springbrunnen' im Zentrum von Ust-Kamenogorsk ansehen. Er 'tanzt' regelmäßig zum russischen Lied 'Kalinka-Malinka'." Andrej meint, sollte der Westen sekundäre Sanktionen gegen Kasachstan verhängen, dann könnte die Anzahl der Russland-Anhänger in der Region Pawlodar und im Norden Kasachstans noch zunehmen.

 

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen