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Politik

Sanktionen: Wozu sind sie gut?

16. Juni 2021

Wenn Worte zu schwach sind und Kriege verhindert werden sollen, gelten Sanktionen als Mittel der Wahl, um Staaten für ihre Politik zu bestrafen. Doch oft verfehlen die Maßnahmen ihre Ziele. Warum ist das so?

Weißrussland Präsident Lukaschenko Symbolbild Aufhebung Sanktionen
Wegen der Unterdrückungspolitik von Präsident Lukaschenko sind Sanktionen gegen Belarus verhängt wordenBild: Reuters/V. Fedosenko

Ein Diktator unterdrückt sein Volk. Ein Land greift seinen Nachbarn an. Ein Regime entwickelt Atomwaffen. Solche Krisen gefährden den internationalen Frieden, die Stabilität und nationale Interessen. Über die Maßnahmen zur Verhinderung solcher Schreckensszenarien denken die politischen Entscheidungsträger immer wieder aufs Neue nach. Insbesondere für die USA und ihre westlichen Verbündeten sind solche Krisen Gift. Wegen ihrer demokratischen Wertevorstellungen, aber auch, weil sich ihre globale Glaubwürdigkeit auf die Sicherung regelbasierter Beziehungen und des freien Handels stützt.

Die Möglichkeiten, die ihnen zur Verfügung stehen, sind oft mehr schlecht als recht. Eine stark formulierte Verurteilung eines politischen Vergehens ist kaum mehr wert als das Papier, auf dem sie geschrieben steht. Andererseits riskiert die Politik mit bewaffneten Interventionen Menschenleben und wirtschaftliche Verluste. Ohne Erfolgsgarantie.

Deshalb sehen westliche Länder meist nur noch eine Handlungs-Option: Sanktionen. "Sie sind die Alternative zwischen Worten und Krieg", sagt John Smith, ein ehemaliger US-Sanktionsbeamter, der DW. "Jeder Präsident, ob Demokrat oder Republikaner, jeder Kongress, ob von Demokraten oder Republikanern geführt, liebt das Sanktionsinstrument."

US-Präsident Trump verhängte Hunderte von Sanktionen - auch gegen den Iran, wodurch das internationale Atomabkommen zunichte gemacht wurdeBild: Imago/Ralph Peters

Mit der Präsidentschaft Donald Trumps "schossen die Sanktionen durch die Decke", sagt Smith. Als Smith 2015 Direktor des Office of Foreign Assets Control (OFAC) des Finanzministeriums wurde, das die meisten US-Sanktionen beaufsichtigt, gab es mehr als 500 Sanktionsbenennungen. Als er die Behörde drei Jahre später verließ, hatte sich ihre Zahl fast verdreifacht.

Schwächen des maximalen Drucks

Trumps Sanktionswahn unterstrich eine langjährige Schwäche im Umgang mit ihnen. Sind sie mangelhaft definiert und konstruiert, können sie wenig erreichen oder sogar nachteilige Auswirkungen haben. Trumps einseitige Maximaldruck-Kampagne gegen den Iran untergrub das multilaterale Atomabkommen von 2015, das erstmals das iranische Atomprogramm begrenzen sollte. Bei der Verhängung von Sanktionen ohne klares Ziel hatte der Iran keine Anreize mehr zur Zusammenarbeit.

"Die Kritik an der Trump-Administration war, dass Sanktionen oft reflexartig eingesetzt wurden, ohne dass ein geordnetes Verfahren durchgeführt wurde zur Bestimmung dessen, was tatsächlich abschreckend wirkt", erklärt Smith. Als Spitze des US-Sanktionsspeers spielt OFAC in diesem Prozess eine führende Rolle. Die Behörde berät den Präsidenten in Konflikten ähnlich wie das Militär, welche Ziele sinnvoll und welche Folgen zu erwarten sind.

Mittel im Handelsstreit mit China und EU

Sanktionen spielen eine große Rolle in der Außenpolitik. Sie können Einzelpersonen, Wirtschaftssektoren oder, in ihrer schärfsten Form, ein ganzes Land, eine ganze Region betreffen. Die Strafmaßnahmen sind nicht nur wirtschaftlicher Natur, obwohl das Einfrieren von Vermögenswerten und Handelsstrafen, die von OFAC überwacht werden, zu den häufigsten gehören. Hinzu kommen diplomatische und politische Sanktionen wie Reiseverbote, Boykotte, Waffenverkaufsverbote und Einschränkungen des Zugangs zu bestimmten Technologien. Auch Zölle werden als Strafe eingesetzt. Trump nutzte sie im Handelsstreit mit China und der Europäische Union.

Trotz jahrzehntelanger Sanktionen der USA blieb Fidel Castro an der Macht (Archivbild 2005)Bild: Getty Images/AFP/A. Roque

Die Bewertung ihrer Wirksamkeit ist allerdings schwierig. Wie Kriege können sie unbeabsichtigte Folgen und Kollateralschäden verursachen. Der sanktionierte Akteur kann unvorhersehbar reagieren oder sich als widerstandsfähiger erweisen als erwartet. "Es ist ein kompliziertes Unterfangen, Veränderungen herbeizuführen und Einfluss in die gewünschte Richtung zu nehmen", sagt Sascha Lohmann, Forscher an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), gegenüber der DW. "Meist wird vergessen, wie schwierig diese Art von Social Engineering wirklich ist."

David gegen Goliath als Propaganda

Kuba zum Beispiel wurde durch jahrzehntelange massive US-Sanktionen förmlich gelähmt, aber die Herrschaft von Fidel Castros kommunistischer Revolution konnte auch nach seinem Tod nicht gebrochen werden. Castros Erfolg war nicht nur der sowjetischen und chinesischen Schirmherrschaft oder der Unterdrückung abweichender Meinungen zu verdanken, sondern auch seiner Fähigkeit, die Bevölkerung für die Idee eines Kubas in der Rolle Davids zu gewinnen, das dem amerikanischen Goliath trotzt.

Die Ungewissheit ihrer Wirkungen mache Sanktionen "eher zu einer Kunst als zu einer Wissenschaft", sagt Lohmann. Politische Entscheidungsträger bestimmen, welche Art von Schmerz sie einem Land zufügen wollen, damit es einlenkt. Doch wenn sie bei den Restriktionen Fehler begehen, laufen sie Gefahr, breite Teile einer Gesellschaft zu schaden. Ähnlich wie bei der Bombardierung terroristischer Ziele, bei denen Zivilisten getötet werden.

"Mit bestimmten Sanktionen könnte man die russische Wirtschaft in zwei oder drei Monaten den Bach runterspülen, aber das ist so, als würde man sagen, die Operation war erfolgreich, aber der Patient ist tot", erläutert Lohmann.

Das bedeutet nicht, dass Sanktionen niemals funktionieren. Ihr Erfolg ist relativ. Natürlich ist es unwahrscheinlich, dass Sanktionen allein Russlands Annexion der Krim und seine Aggression in der Ostukraine rückgängig machen. Noch werden sieAlexander Lukaschenko dazu bringen, seine Herrschaft über Weißrussland aufzugeben oder Chinas Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren beenden. Dennoch können sie politische Akteure abhalten, noch weiter zu gehen - oder andere, ihrem Beispiel zu folgen.

Einheitsfront für mehr Abschreckung

Allein schon "gemeinsam Missbilligung zu signalisieren", könne effektiv sein, sagt Lohmann. So gehe es bei den Sanktionen der EU oft mehr darum, eine Einheitsfront aus den manchmal unterschiedlichen Positionen ihrer 27 Mitgliedstaaten zu bilden, als das Verhalten des Sanktionsziels zu ändern. Aus dieser Perspektive könnten Sanktionen als Erfolg gewertet werden. Demokratische Regierungen stünden durch Wahlen unter zusätzlichem Druck "zu handeln, oder es besteht der Druck, so zu erscheinen, als würden Sie handeln", sagt der Experte und Forscher von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Russland sieht die bisherigen Sanktionen Deutschlands und der EU locker - ein aufgeblasener Gummihammer eben

Auch US-Sanktionen gegen Nord Stream 2 könnten als Erfolg gewertet werden - nicht um das Projekt zu stoppen, wie Präsident Joe Biden einräumte, als er sich kürzlich gegen zusätzliche Sanktionen entschied, weil sie amerikanischen Verbündeten wie Deutschland geschadet hätten. Sondern, weil sie die von Russland betriebene Gas-Pipeline im Bundestagswahljahr zu einem politischen Thema in Deutschland gemacht hätten. Zu den deutschen Kritikern von Nord Stream 2 zählen nun Mitglieder verschiedener Parteien. Widerstand gegen das Projekt kommt auch aus der konservativen CDU von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie befürchten, dass die Risiken einer Beeinträchtigung der Beziehungen zu den USA die Vorteile weiterer russischer Gaslieferungen überwiegen.

Lebensrettende Wirkung im Ukraine-Konflikt

Das Beispiel zeigt, wie Sanktionen oder deren Androhung das Verhalten Verbündeter und auch von Gegnern beeinflussen können. Der ehemalige US-Sanktionsbeamte Smith, der heute Mandanten der Anwaltskanzlei Morrison & Foerster in diesen Fragen berät, ist überzeugt, dass westliche Restriktionsmaßnahmen gegen Russland einen weiteren Vorstoß in die Ukraine gestoppt und Leben gerettet haben, selbst wenn der Konflikt andauert.

"Es ist schwer, ein Sanktionsprogramm als Erfolg oder Misserfolg einzuordnen, weil es Geduld erfordert", sagte er. Es sei als versuche man "jemanden in Schach zu halten." Das Problem bei Sanktionen ist daher nicht so sehr die Sanktion selbst, sondern wie das Instrument wahrgenommen, wie es genutzt wird. Sanktionen, die von mehreren Ländern oder staatenübergreifenden Organisationen koordiniert werden, können in der Umsetzung am schwierigsten sein, sind aber oft am erfolgreichsten.

Lubmin im äußersten Nordosten Deutschlands soll Endpunkt der Nord Stream 2-Pipeline werdenBild: Walter Graupner/Nord Stream 2

"Sanktionen sind am besten, wenn sie multilateral sind", sagt Smith. Andernfalls könne es für das Ziel relativ einfach sein, sie zu umgehen. Insbesondere wenn die direkten Konfliktparteien selbst nur wenige kommerzielle oder politische Verbindungen haben, mit denen man Druck erzeugen könnte.

"Damit Sanktionen funktionieren, müssen sie Teil einer umfassenderen Strategie sein, die Anreize wie diplomatische Unterstützung oder finanzielle Hilfe beinhaltet", sagt Smith. Wenn das Ziel eine Verhaltensänderung sei, müssten sanktionierte Länder auch einen Ausweg sehen. "Die Leute, die glauben, dass Sanktionen das Allheilmittel für alle Probleme der Welt sind, dürften enttäuscht werden und sind auf dem Holzweg", sagte Smith. "Sanktionen sind eines von mehreren Instrumenten." Mit anderen Worten, ein Vorschlaghammer kann eine Wand einreißen, ist aber eine schlechte Wahl, um ein Bild aufzuhängen.

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