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SARS-CoV-2-Impfung: Worauf warten wir?

2. September 2020

Schnell, schneller, am schnellsten. Einen effizienten Corona-Impfstoff in Rekordzeit zu entwickeln - wie geht das? Und ist dann wirklich alles gut? Zeit, durchzuatmen und ein paar grundsätzliche Fragen zu stellen.

Symbolbild Corona-Impfstoff
Bild: picture-alliance/Sven Simon

Mehr als 170 Impfstoffkandidaten gegen SARS-CoV-2 sind im Rennen. Sieben davon befinden sich in der dritten und letzten Phase der klinischen Studien. Prozesse, die normalerweise Jahre dauern, laufen derzeit in Rekordgeschwindigkeit. Es geht um Leben (und Tod), um Geld und Macht.

Deshalb ist die Impfstoffentwicklung auch ein Politikum. Donald Trump vermutet, dass die US Food and Drug Administration (FDA) die Arbeit an einem wirksamen Impfstoff absichtlich ausbremst, weil sie verhindern möchte, dass sich der Präsident noch vor Ende seiner Amtszeit mit vermeintlichen Pandemie-Bekämpfer-Lorbeeren schmücken kann.

Was uns zurück zur Wissenschaft bringt: Von welchen Lorbeeren kann überhaupt die Rede sein? Ist ein Impfstoff tatsächlich das Allheilmittel, zu dem er in der öffentlichen Debatte häufig stilisiert wird? Fragen an den Immunologen Thomas Kamradt.

DW: Wenn ein Impfstoff gefunden ist, wird alles gut - viele scheinen diese Erwartung zu haben. Ist diese Erwartung gerechtfertigt?

Thomas Kamradt: Ich persönlich wäre schon zufrieden, wenn es einen sicheren Impfstoff gäbe, der meinetwegen alle zwei Jahre aufgefrischt werden muss, der aber eine massive Wirkung auf den Verlauf hat. Vielleicht verhindert die Impfung nicht, dass man einen Schnupfen oder andere leichte Symptome bekommt.

Die Minimalanforderungen wären aber, dass sie eine Ateminsuffizienz und schwere Organschäden verhindern würde. Wenn Sie mich also fragen, worauf wir warten, dann darauf. Wenn so ein Impfstoff nichts weiter täte, als einen lebensbedrohlichen Verlauf in einen leichten Verlauf umzuwandeln, würde ich das als Erfolg ansehen. Alles, was darüber hinaus geht, wäre ein sehr großer Erfolg.

"Herdenimmunität ist Steinzeit"

Erst kürzlich gab es die Meldung von einer Neuinfektion. Ein junger Mann aus Hongkong wurde zum zweiten Mal positiv auf das Virus getestet. Bis dahin bestand die Hoffnung, wer die Infektion einmal durchgemacht hat, sei immun. Ist mit dieser Meldung auch die Idee der "natürlichen Herdenimmunität" gestorben?

Unabhängig von dieser Meldung: Herdenimmunität ist Steinzeit! Wenn man sich anschaut, welche Durchseuchungsraten man bräuchte und wie hoch die Sterblichkeit wäre, dann ist das eine Steinzeitmethode. Die außerdem ewig dauern würde.

Wir müssen ja nun zudem davon ausgehen, dass die Immunität nicht lebenslang besteht. Ich hoffe deshalb, dass niemand mehr auf die natürliche Herdenimmunität setzt. Herdenimmunität erreicht man mit Impfungen.

 

Welcher Impfstoff macht das Rennen?

01:51

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Unabhängig von Einzelfällen und rein hypothetisch: Es gibt mehrere Stämme des neuartigen Coronavirus, mit denen man sich immer wieder infizieren kann. Was bedeutet das für die Entwicklung eines wirksamen Impfstoffes?

Die Veränderungen der Viren sind vor allem von epidemiologischem Interesse, weil sich so Infektionscluster nachverfolgen lassen. Bis jetzt gibt es keine Hinweise darauf, dass die Unterschiede der verschiedenen SARS-CoV-2-Stämme große Relevanz für die Wirksamkeit eines Impfstoffs hätten. Anders als bei der Grippe.

"Sicherheitstests dürfen nicht laxer werden"

Lassen Sie uns über die Impfstoffentwicklung sprechen, die sich in einer unglaublichen Geschwindigkeit vollzieht. Manche Wissenschaftlerwarnen davor, einen möglicherweise unwirksamen und unsicheren Impfstoff auf den Markt zu bringen, nur, um möglichst schnell zu sein. Macht Ihnen als Wissenschaftler das Tempo der Impfstoffentwicklung auch Sorgen?

Bis jetzt nicht, bis jetzt bin ich ganz begeistert! Üblicherweise dauert es deutlich mehr als zehn Jahre, bis ein Impfstoff massenhaft verfügbar ist, sodass sich jeder impfen lassen kann. Den bisherigen Rekord hält der Ebola-Impfstoff, da waren es etwa fünf Jahre bis zur Zulassung. Und hier geht jetzt alles noch viel schneller.

Impfen - Unser Expertengespräch

08:58

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Das hat verschiedene Gründe: Erstens wusste man von SARS und MERS, dass das Spike-Protein wahrscheinlich eine gute Zielstruktur für eine Immunantwort ist. Das heißt, man musste bei einem ganz neuen Virus nicht bei Null anfangen.

Außerdem gibt es ganz neue Techniken. Bis vor gar nicht so langer Zeit mussten für die Impfstoffentwicklung Viren quer durch die Welt verschickt werden, die dann in Zellkulturen gezüchtet wurden und so weiter. 

Hier haben chinesische Forscher im Januar die Sequenz des Virus ins Netz gestellt. Die konnte man mit SARS und MERS vergleichen, das ging unglaublich schnell. Im März konnte deshalb bereits die erste klinische Phase 1 Studie begonnen werden, das war der mRNA-Impfstoff von Moderna

Was die Geschwindigkeit des ganzen Prozesse auch erhöht, ist, dass Schritte, die normalerweise hintereinander ablaufen, parallelisiert wurden. Beispielsweise werden jetzt schon Produktionsstätten geschaffen für Impfstoffe, die es vielleicht nie geben wird.

Was auf gar keinen Fall passieren darf ist, dass Sicherheitstests jetzt laxer gehandhabt werden als sonst! So schlimm das Ganze ist, am Ende haben 80 Prozent derer, die überhaupt Symptome entwickeln, nur leichte Symptome. Das heißt, wenn ich gegen sowas impfe, muss ich mir sehr sicher sein, dass ich keinen Schaden anrichte! Schließlich verabreiche ich die Impfung gesunden Menschen.

Sie sehen aber keine akute Gefahr, was die Sicherheitstests betrifft?

Nein, ich sehe keinen Anhaltspunkt dafür. 

Trotz Schnelligkeit kein Risiko

Wenn ein Impfstoff verfügbar ist, stellt sich die Frage, wer geimpft wird. Vor allem, wer sich überhaupt impfen lassen möchte. Laut einer Analyse des Hamburg Center for Health Economics lässt die Bereitschaft der EU-Bevölkerung nach, sich gegen das neuartige Coronavirus impfen zu lassen. Eine der größten Sorgen bereiten den Menschen mögliche Nebenwirkungen. Verstehen Sie diese Sorge?

Hier ist Kommunikation ganz wichtig. Selbst Experten sind ja erstaunt, was sich alles parallelisieren und damit beschleunigen lässt. Das kostet Geld, ist aber kein Risiko. Was aber natürlich ganz klar sein muss ist, dass die Sicherheitsprüfungen nicht schneller und weniger gründlich ablaufen können als sonst auch.

Eine weitere Welle steht uns bevor, die Grippewelle. Ist es Ihrer Ansicht nach in diesem Jahr besonders wichtig, sich gegen die Grippe impfen zu lassen? Und wenn ja, warum?

Zum einen aus persönlichem Schutz, weil wir noch nicht wissen, ob das Immunsystem durch eine Grippe so geschwächt wird, dass es anfälliger für eine COVID-Erkrankung wird.

Und zum anderen, um das Gesundheitssystem nicht zu belasten. Auch die Influenza ist mit einer gewissen Sterblichkeit verbunden. Die Symptome können ähnlich sein, sodass man in der Notaufnahme nicht sofort unterscheiden kann, ob es sich um COVID-19 oder Influenza handelt.

Wenn weniger Influenza-Patienten im Gesundheitssystem aufschlagen, weil mehr geimpft sind, desto mehr Spielraum ist gewonnen, um die wirklich Kranken zu versorgen.

Gehen wir davon aus, dass es einen SARS-CoV-2-Impfstoff gibt: An wen sollten die ersten Dosen gehen?

Idealerweise sollte der Impfstoff bei alten Menschen wirksam sein. Die haben die schwereren Verläufe. Der Grippeimpfstoff beispielsweise ist bei älteren Menschen weniger wirksam als bei jüngeren, was sich aber durch die Dosierung ausgleichen lässt. Das werden die klinischen Tests zeigen müssen.

Und dann sollte der Impfstoff vor allem an alte Menschen und solche mit Vorerkrankungen gehen. Außerdem an die, die besonders exponiert sind und die ein besonders hohes Risiko haben, das Virus zu verbreiten.

Der junge, gesunde Mensch, der in einer Hütte im Wald lebt, ist vielleicht der letzte, der geimpft werden muss.

 

Thomas Kamradt ist Direktor des Instituts für Immunologie des Universitätsklinikums Jena und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Immunologie.

Das Interview führte Julia Vergin.

 

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