Kommen mit der Modeindustrie auch Modernisierung und Menschenrechte? An die neuen Lifestyle-Magazine "Harper's Bazaar" und "Esquire" in Saudi-Arabien knüpfen insbesondere Frauen große Hoffnungen.
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Saudi-Arabiens Medienlandschaft wächst: Seit März dieses Jahres erscheinen in dem Königreich die beiden internationalen Lifestyle-Magazine "Harper's Bazaar" und "Esquire".
Letzteres soll ab 2021 zweimal jährlich erscheinen, "Harper's Bazaar" vierteljährlich. Geplant ist eine Gesamtauflage von 100.000 Exemplaren in diesem Jahr. Beide Zeitschriften werden zweisprachig auf arabisch und englisch produziert.
Die Erlaubnis und Förderung dieser Hochglanz-Vorhaben sind Bestandteil der Strategie "Vision 2030" von Kronprinz Mohammed bin Salman. Mit der Strategie des Königshauses soll die saudische Monarchie sowohl sozial, wirtschaftlich als auch kulturell modernisiert werden.
Mode, made in KSK
"Modemagazine können sich zu einer wichtigen Plattform für einheimische Talente entwickeln und den kulturellen Austausch fördern", meint die saudische Prinzessin Noura bint Faisal Al-Saud. Die Enkeltochter von König Abdulaziz, Gründer Saudi-Arabiens, ist die Gründerin der saudi-arabischen Fashionweek.
Die Prinzessin gehört auch der nationalen Modekommission des Landes an, die unter dem Dach des saudi-arabischen Kulturministeriums für die wachsende einheimische Kulturszene zuständig ist. Als Leiter der Kommission wurde im Februar der aus der Türkei stammende Modeguru Burak Cakmak berufen.
Cakmak, der zuvor in New York an der Designhochschule "Parsons School of Design" den Bereich Mode leitete, soll nun in Saudi-Arabien das Label "Made in KSK" (Made in the Kingdom of Saudia Arabia) aufbauen und gestalten.
Saudis wollen Saudis sehen
Im Unterschied zu den bisherigen arabischen Ausgaben von "Harper's Bazaar Arabia" und "Vogue Arabia" soll der Inhalt der neuen Magazine von einheimischen saudi-arabischen Journalistinnen kommen.
Die Verlegergruppe ITP Media Group aus Dubai hat deshalb in der Hauptstadt Riad eigene Büros eröffnet und saudische Modejournalistinnen und Influencerinnen engagiert, darunter Alaa Balkhy, Lubna Hidayat, Latifa bint Saad und Marriam Mossalli.
"Das Heft erscheint nur in gedruckter Form und ist speziell für den saudi-arabischen Markt konzipiert", erklärt Chefredakteurin Olivia Phillipps, gegenüber der DW. "Es geht um den speziellen Geschmack und die Ästhetik von saudischen Konsumentinnen, und um einheimische Talente und bisher unbekannte Landschaften."
Arabisches Modeglossar
Mode-Pionierin Marriam Mossali will durch ihre Mitarbeit bei "Haper's Bazaar" auch dazu beitragen, Vorurteile und Stereotype rund um saudi-arabische Frauen auszuräumen. Die Gründerin der ersten Marketing-Agentur für Luxusfirmen im Land, "Niche Arabia"; war die erste arabische Modeexpertin, die von First Lady Michelle Obama ins Weiße Haus eingeladen wurde.
"Ich habe vor zehn Jahren meine eigene Firma gegründet und beobachtet, wie das Land sich weiter entwickelt und Fortschritte macht", sagt sie im DW-Gespräch. "Wir haben uns daran gewöhnt, dass die Fachbegriffe der Modebranche aus einer anderen Sprache stammen", fügt sie hinzu. "Jetzt können wir uns ein eigenes arabisches Glossar zusammenstellen."
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Unter der Abaya
Einzelne Veranstaltungen signalisieren, dass die Zeichen auf Veränderung stehen. So fand im Januar dieses Jahres in Riad eine privat organisierte Haute Couture Fashion Week vor gemischtem Publikum statt, bei dem auch Blicke unter die Abaya gewährt wurden.
Die Abaya ist ein traditionelles islamisches Überkleid, das von Frauen über der normalen Kleidung getragen wird, wenn sie das Haus verlassen. Sowohl offene Abayas, die Blicke auf Fußknöchel freigeben, als auch locker sitzende Gesichtsschleier und die gemeinsame Präsenz von Frauen und Männern im Publikum wären bis vor kurzem undenkbar gewesen.
Saudische Modedesigner standen bisher nur selten im internationalen Rampenlicht. Prominente Ausnahmen sind die Couturiers Mohammes Ashi und Mohammed Khoja. Ashis Abendroben wurden 2017 durch die US-amerikanische Filmregisseurin Ava Duvernay beim "Academy Award" bekannt.
Mode gegen Fahrverbot
Khojas Jacket "24 June 2018" der Marke "Hindamme" ist ein politisches Statement. Das Datum markiert den Tag, an dem Frauen in Saudi-Arabien die Erlaubnis erhielten, Auto zu fahren. Die Jacke wurde von dem britischen "Victoria and Albert Museum" für die Dauerausstellung erworben. Das V&A in London beherbergt die weltweit größte Sammlung von Kunstgewerbe und Design.
Die saudi-arabische Aktivistin Loujain al-Hathloul gehörte zu den Frauenrechtlerinnen im Land, die mehrfach gegen das Fahrverbot protestierten und deshalb auch mehrfach festgenommen wurden. Erst am 10. Februar dieses Jahres wurde sie von den Behörden freigelassen. Viele andere Frauenrechtlerinnen befinden sich weiterhin in Haft.
Menschenrechtsorganisationen stehen der Förderung der Modeindustrie samt Hochglanzmagazinen deshalb kritisch gegenüber. "Riad gibt Milliarden von Dollar für die Imagepflege des Landes aus und missachtet weiterhin grundlegende Menschenrechte", erklärte Ahmed Benchemsi, Nahost-Sprecher der Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch (HRW).
Diese Imagepflege diene dazu, die internationale Aufmerksamkeit von den grausamen Menschenrechtsverletzungen Riads abzulenken. "Dazu gehören die Ermordung und Zerstückelung des Journalisten Jamal Khashoggi, die Verhaftung von Dissidenten, Folter, Entführungen und die Kriegsverbrechen im Jemen."
Bechemsis Schlussfolgerung: "Wie zahlreich und glanzvoll die Modeschauen auch sein mögen, sie werden die massiven Verstöße gegen Menschenrechte nicht übertünchen können."
Es bleibt abzuwarten, ob in den neuen Ausgaben auch kritische Themen abgehandelt werden. Bis jetzt ist nur eines sicher: Die neuen lokalen Magazine verfügen über einen außerordentlich vielversprechenden Markt.
Nach Angaben des saudi-arabischen Statistikamtes verfügt das Land mit seinen 35 Millionen Einwohnern über eine außergewöhnlich junge Bevölkerung. Zwei Drittel sind unter 35 Jahre alt und die Hälfte aller Universitätsabsolventen sind Frauen.
Der Text wurden aus dem englischen Original adaptiert.
Saudi Arabien: Gnadenlos beim Umgang mit Kritikern
Saudi-Arabien hat die Welt mit einer Reform seines Strafrechts überrascht. Das Auspeitschen und die Todesstrafen für Minderjährige wurden abgeschafft. Doch für viele inhaftierte Aktivisten bedeutet das keine Entwarnung.
Bild: Getty Images/M. Ingram
Keine Todesstrafe mehr für Minderjährige
In einem ersten Schritt wurde das Auspeitschen in Saudi-Arabien abgeschafft und nur wenige Stunden später auch die Todesstrafe für Minderjährige. Eine Tat, die vor dem vollendeten achtzehnten Lebensjahr begangen wurde, darf per königlichem Dekret fortan mit maximal zehn Jahren Haft bestraft werden. Das Dekret helfe, ein moderneres Strafgesetz zu schaffen, hieß es.
Bild: picture-alliance/AP Photo/A. Nabil
Schlechtes Image seit Ermordung Khashoggis
Menschenrechtler und Experten blicken entsprechend zurückhaltend auf die Neuerungen. Sie seien zwar richtig, aber nicht mit einer Liberalisierung des Landes zu verwechseln, so Guido Steinberg von der SWP-Berlin: "Das ist ein Versuch, die eigene Reputation aufzupolieren." Das Image von Kronprinz Mohammed bin Salman (MbS) sei immer noch durch den Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi ramponiert.
Bild: picture-alliance/AP Photo/L. Pitarakis
PR, um sich im Westen beliebt zu machen
Saudi-Arabien sei besonders um seine Reputation in den USA und in der westlichen Welt besorgt, sagt Steinberg. Doch der Kronprinz fahre weiterhin einen sehr autoritären Kurs. Die Reformen, die MbS seit Amtsantritt durchgesetzt hat, gehen einher mit brutaler Repression, die alles erstickt, was seine Herrschaft in Frage stellt. Und treffen kann es jeden. Auch die eigene Familie.
Bild: Reuters/Courtesy of Saudi Royal Court/B. Algaloud
Die eigene Familie im Knast
Auch vor ranghohen Mitgliedern der Königsfamilie macht MbS nicht halt. Ende März gab es neue Festnahmen, unter ihnen war der ehemalige Kronprinz Mohammad Bin Najef (links), ein Neffe von König Salman und Cousin von Mohammad Bin Salman. Der Vorwurf: Verrat und angebliche Vorbereitung eines Putsches. MbS habe deutlich machen wollen, dass politischer Widerstand nicht geduldet werde, so Steinberg.
Bild: picture-alliance/abaca
Mutaib bin Abdullah
MbS hat auch potenzielle Konkurrenten innerhalb der Familie beseitigt. Führende Prinzen wurden inhaftiert. Neben Mohammed bin Najef gehört dazu auch Mutaib bin Abdullah, Chef der Nationalgarde. "Es geht MbS darum, in der Familie klar zu machen, dass es einen neuen Herrscher im Land gibt - und dass ihre Privilegien dabei zwar weiter gelten können, aber Widerstand nicht geduldet wird", so Steinberg.
Bild: picture-alliance/dpa/M. Yalcin
Prinzessin meldet sich aus dem Gefängnis
Prinzessin Basmah bin Saud kämpfte für Menschenrechte in ihrem Land und prangerte die Unterdrückung der Frauen an. 2019 verschwand sie spurlos, erst kürzlich meldete sie sich - mit einem Hilferuf. Die seit einem Jahr inhaftierte Prinzessin bittet in einem Brief um ihre Freilassung. Sie werde im Hochsicherheitsgefängnis Al-Hair "willkürlich" und ohne Anklage festgehalten, schrieb die 56-Jährige.
Bild: Getty Images/M. Ingram
Loujain al-Hathloul
Auch Loujain al-Hathloul machte sich für Frauenrechte stark - bis sie vor zwei Jahren wegen des Vorwurfs der Verschwörung ins Gefängnis kam. Sie werde gefoltert und sexuell belästigt, so ihre Schwester Lina. Sie sei seit Monaten in Isolationshaft. Nach Angaben der Familie soll Loujain ein Deal angeboten worden sein: Sie komme auf freien Fuß, wenn sie bestätige, dass es keine Folter gegeben habe.
Beobachter vermuten, der Schritt zur Änderung des Strafgesetzes sei jetzt erfolgt, um vom Gefängnistod des Bürgerrechtlers, Abdullah Al-Hamid (links), abzulenken. Er war vor wenigen Tagen in Haft an einem Schlaganfall gestorben und soll zuvor nicht ausreichend medizinisch versorgt worden sein. Die Menschenrechtler Walid Abu al-Chair und Mohammed Fahad al-Kahtani (r.) sind noch in Haft.
Bild: picture-alliance/dpa/right livelihood award
Raif Badawi noch in Haft
Einer der wohl bekanntesten Inhaftierten ist Raif Badawi. Der Blogger wurde 2013 wegen "Beleidigung des Islam" zu zehn Jahren Haft und 1000 Peitschenhieben verhaftet. Einmal wurde er sogar öffentlich ausgepeitscht, weltweit wuchs die Empörung. Diese Reaktion dürfte dazu beigetragen haben, dass das Auspeitschen abgeschafft wurde. "Doch das bedeute nicht, dass er jetzt frei kommt", sagt Steinberg.
Auch Raif Badawis Schwester Samar sitzt seit 2018 in Haft - und mit ihr Nassima al-Sada. Beide sind bekannte Menschenrechtsverteidigerinnen. 2018 wurde eine Reihe von Aktivistinnen festgenommen, einige von ihnen, wie Amal al-Harbi, Maysaa al-Mane wurde zwar freigelassen. Doch ihre Verfahren laufen noch - so wie die von Nassima und Samar, die beide weiter im Gefängnis bleiben müssen.
Bild: picture-alliance/dpa/A. Wiklund
Prediger Salman al-Ouda
Salman al-Ouda gilt als gemäßigt-salafistischer Religionsgelehrter aus dem Umfeld der Muslimbruderschaft - und gehört schon lange zu den einflussreichsten muslimischen Persönlichkeiten. 2017 wurde er erneut verurteilt. Er ist bekannt für seine Kritik am außen- und innenpolitischen Kurs der saudischen Führung. Er wurde zum Tode verurteilt, doch bisher wurde das Urteil nicht vollstreckt.
Bild: Creative Commons
Als 17-Jähriger in Haft
Mit Abschaffung der Todesstrafe für Minderjährige richten sich die Blicke auf Ali Mohammad al-Nimr. Er war 2012 im Alter von 17 Jahren festgesetzt worden, weil er für Reformen und die Freilassung politischer Gefangener protestiert hatte. Sein Onkel Nimr al Nimr war ein schiitischen Prediger. Nahost-Experte Steinberg geht davon aus, dass Ali nicht hingerichtet wird, aber in Haft bleibt.