Saudi-Arabien, westliche Werte und das Geld
19. Oktober 2018Blickt man in diesen Tagen auf den Ölpreis, wird Folgendes deutlich: Weder die USA noch die Europäer werden sich mit Saudi-Arabien anlegen, weil dessen Regierung möglicherweise einen kritischen Journalisten ermorden ließ.
Denn der Ölpreis, der normalerweise bei jedem Anzeichen von Verunsicherung ausschlägt, hat nur kurz gezuckt, seitdem der Journalist Jamal Khashoggi Anfang Oktober in der saudischen Botschaft in Istanbul verschwand.
"Aktuell erwarten die Marktteilnehmer so gut wie keine Konsequenzen durch den Fall Khashoggi. Sonst wären die Ausschläge beim Ölpreis viel größer", so Eugen Weinberg, Rohstoffanalyst der Commerzbank, zur DW.
Saudi-Arabien: Ölpreis bei 400 Dollar?
Dabei gab zunächst es keinen Mangel an drastischen Szenarien. US-Präsident Donald Trump hatte zunächst eine "harte Strafe" angekündigt. Die Saudis reagierten mit der Warnung, sie würden den Ölpreis als Waffe einsetzen, um sich gegen Sanktionen zu schützen.
"Die Folge von US-Sanktionen gegen Saudi-Arabien wäre ein wirtschaftliches Desaster, das die gesamte Welt erschüttern würde", schrieb Turki Aldakhil, Intendant des von den Saudis kontrollierten Nachrichtensenders Al Arabiya. Der Ölpreis könnte von derzeit rund 80 Dollar pro Fass auf bis zu 400 Dollar steigen, so Aldakhil.
Eine Verfünffachung des Ölpreises wäre tatsächlich ein Schock für die Weltwirtschaft – sogar ein größerer als während der Ölkrise 1973.
Und doch blieben die Rohstoffmärkte völlig unbeeindruckt. Es sei schlicht nicht im Interesse Saudi-Arabiens, seine Kunden mit stark steigenden Ölpreisen zu enttäuschen, sagt Analyst Weinberg. "Das würde nur den Umstieg auf alternative Energieformen beschleunigen." Und die in den USA verbreitete Ölförderung durch Fracking würde sich bei einem hohen Ölpreis sogar noch mehr lohnen.
Fall Khashoggi: "Eine Lappalie"
Umgekehrt scheinen die Märkte den USA und den Europäern nicht zuzutrauen, die Beziehungen zu Saudi-Arabien wegen eines Journalistenmordes gefährden zu wollen. Auch Trump äußert sich inzwischen deutlich vorsichtiger.
"Bis jetzt war die Reaktion des US-Präsidenten sehr moderat. Er hat den Fall Khashoggi wie eine Lappalie abgetan", so Weinberg.
Auch die Europäische Union hält sich mit Kritik an Saudi-Arabien auffallend zurück. "Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Europäer das riskieren. Der Markt rechnet jedenfalls nicht damit. Sonst läge der Ölpreis nicht um die 80 US-Dollar, sondern deutlich höher", so der Analyst. "Die Wahrscheinlichkeit, dass es auch nur geringe Sanktionen gegen Saudi-Arabien geben wird, sehen die Marktteilnehmer bei nahe Null."
Saudi-Arabien bezieht rund ein Drittel seiner Importe aus Europa, 13 Prozent aus Nordamerika. Es gäbe also durchaus Möglichkeiten für Sanktionen. Aber offenbar wollen Europäer und Amerikaner das Land nicht als guten Kunden verlieren.
Milliarden für Kriegsgerät
Im vergangenen Jahr freute sich Trump während eines Besuchs in der saudischen Hauptstadt über einen Rüstungsauftrag von 110 Milliarden Dollar.
"Jeder wollte diesen Auftrag haben. Russland wollte ihn, China wollte ihn, wir haben ihn bekommen", sagte Trump am vergangenen Wochenende dem US-Sender CBS. Und fügte hinzu, dass er den Deal nicht als Druckmittel einsetzen werde. "Ich will so einen Auftrag nicht verlieren, und ich möchte keine Arbeitsplätze gefährden."
Deutsche Politiker äußern sich nicht so offenherzig wie Trump. Doch allein in diesem Jahr hat die Bundesregierung Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien für mehr als 400 Millionen Euro genehmigt, obwohl die Saudis am Krieg im Jemen beteiligt sind. Französische Firmen hatten im Vorjahr Rüstungsgüter für eine Milliarde an die Saudis verkauft.
Investitionen als politische Strategie
Hinzu kommt, dass Saudi-Arabien dabei ist, seine Wirtschaft umzubauen, um weniger vom Öl abhängig zu sein. Rund 90 Prozent der Staatseinnahmen kommen aus der Ölindustrie, ebenso 90 Prozent der Exporte.
Um sich fit zu machen für die Zukunft und neue Jobs für die wachsende Bevölkerung zu schaffen, setzt das Land auf den Aufbau neuer Industrien und Infrastruktur.
"Das sind Mega-Projekte mit Milliarden von Euros", sagt Thomas Richter vom Hamburger Giga Institut für Nahost-Studien. "Die deutsche Industrie verspricht sich davon natürlich Aufträge", so der Forscher zur DW.
Außerdem will Saudi-Arabien seinen Staatsfonds PIF weiter ausbauen, bis 2030 soll er nach den Plänen der Regierung der größte der Welt sein. Der "Public Investment Fund of Saudi Arabia" soll schon jetzt über 250 Milliarden Dollar verfügen und ging zuletzt auf große Einkaufstour.
"Die Saudis setzen darauf, sich über strategische Investitionen in westlichen Ländern politischen Einfluss zu erkaufen", sagte Stephan Roll, der bei der Stiftung Wissenschaft und Politik über den Nahen und Mittleren Osten forscht. "Das können Schlüsselunternehmen sein, aber auch Investmentgesellschaften wie Blackstone in den USA, an denen Saudi-Arabien mittlerweile mit rund 20 Milliarden US-Dollar beteiligt ist.
Am Vision Fund des japanischen Tech-Konzerns Softbank beteiligten sich die Saudis mit rund 45 Milliarden Dollar, am US-Fahrdienstleister Uber mit 3,5 Milliarden Dollar. Auch fünf Prozent des US-Elektroautobauers Tesla gehören dem PIF.
Der deutsche Blick aufs Geld
Trotzdem haben selbst die Chefs von Blackstone und Uber ihre Teilnahme an einer Investorenkonferenz in Riad abgesagt, ebenso wie viele andere Manager aus den USA und Frankreich. Siemens-Chef Joe Kaeser konnte sich bisher nicht dazu durchringen.
"Wenn wir aufhören, mit Ländern zu sprechen, in denen Menschen vermisst werden, können wir zu Hause bleiben, weil wir mit niemandem mehr sprechen können", teilte Kaeser mit.
Es wäre nicht das erste Mal, dass die Geschäftsinteressen von Unternehmen auch die deutsche Politik beeinflussen. Gerade erst hat Siemens in Ägypten drei Gaskraftwerke in der Nähe von Kairo eröffnet, als Teil eines Großauftrags von mehr als acht Milliarden Euro.
"Die deutsche Ägypten-Politik hat sich ab 2014 maßgeblich verändert und wurde dem Sisi-Regime gegenüber sehr wohlwollend, weil Siemens diesen Riesen-Kraftswerksdeal gemacht hat", sagt DGP-Forscher Roll. "Das war der größte Einzelauftrag in der Geschichte des Unternehmens."
Auch Roll erwartet daher nicht, dass der Fall Khashoggi für Saudi Arabien wirtschaftliche Konsequenzen haben wird.