Der Klimawandel treibt die Weinanbaugebiete in den Norden
Sertan Sanderson
2. August 2019
Die traditionellen Weinanbaugebiete Europas könnten bald Geschichte sein, wenn der Klimawandel weiter fortschreitet. Eine Chance für weiter nördlich gelegene Regionen?
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Die nördlichsten Weinregionen der Welt
Wie bekommt dem Chardonnay der Klimawandel? Was hält der Rioja von steigenden Temperaturen? Die Erderwärmung stellt den Weinanbau vor neue Herausforderungen, bislang vernachlässigte Regionen könnten davon profitieren.
Bild: picture-alliance/dpa/Freidberg
Deutschland: Sachsen-Anhalt
Im Bundesland Sachsen-Anhalt befindet sich an Saale und Unstrut die nördlichste Weinregion, durch die eine über 70 Kilometer lange Weinstraße führt. Bislang gilt sie offiziell auch als die nördlichste Weinstraße Europas. Aber der Klimawandel wird das wohl ändern.
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Deutschland: Föhr
Die nordfriesische Insel Föhr, 40 Kilometer südlich von Dänemark, hat 8500 Einwohner. Hier wächst die lokale Riesling-Sorte Johanniter, aus dem Weißwein und ein Sekt gekeltert werden. Was gibt es Schöneres, als auf einer Insel mit einem eigenen Vorrat an Wein zu stranden?
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Belgien: Flandern
Belgischen Bier ist weltbekannt. Aber was ist mit den Trauben? Immerhin reicht Weinanbau in Belgien bis in die Römerzeit zurück. Heute ist das einzige verbliebene Weinschloss Genoels-Elderen stolz darauf, diese Tradition fortzusetzen. Wer Rotwein bevorzugt, sollte den Pinot Noir probieren. Für Fans von weißen Trauben gibt es Chardonnay.
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England
Großbritannien ist einer der größten Champagner-Importeure der Welt. Doch die einheimischen Winzer werden immer besser darin, ihren eigenen Sekt herzustellen, so wie es die Franzosen in der Champagne vorgemacht haben. Das Ridgeview Weingut in Sussex (Bild) ist für seine Schwaumwein-Produkte mehrfach ausgezeichnet worden.
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Schottland
Die schottischen Reben wachsen hartnäckig, besonders an den Wänden der berühmten Schlösser des Landes. Tatsächlich geht es in Schottland nicht nur um Whisky, sie kultivieren auch Cidre und Wein. Aber bis zum nächste Loiretal ist es noch weit. Kritiker sagen, dass schottische Weine fast ungenießbar sind, aber mit dem fortschreitenden Klimawandel könnte sich das ändern.
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Schweden
In Schweden darf Alkohol nicht beworben werden, daher sind die heimischen Weine auch innerhalb des Landes kaum bekannt. Aber Weinproben sind in Schweden sehr beliebt. Es gibt sogar Qualitätsweine aus Weinbergen wie dem Astad Vingård, etwa 500 Kilometer westlich von Stockholm.
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Norwegen
Das Weingut Lerkekåsa ist stolz darauf, das nördlichste kommerzielle Weinanbaugebiet der Welt zu sein. Es liegt etwa auf dem gleichen Breitengrad wie Anchorage in Alaska. Meist wird hier die besonders kältebeständige Rebsorte Solaris angebaut. Aber die Winzer dort experimentieren gegenwärtig mit etwa 20 weiteren Trauben - dank der globalen Erwärmung.
Weintrauben wachsen in Island eigentlich noch nicht. Aber ein Winzer hat versucht, ein Getränk zu erfinden, das fast genauso aussieht und schmeckt wie Wein aus Trauben. Bei Kvöldsól kamen Brombeeren, Heidelbeeren und Rhabarberin die Flasche. Das Produkt hat aber leider gefloppt. Vielleicht könnte Island in den kommenden Jahren mit steigenden Temperaturen sogar echte Weintrauben noch anbauen.
Bild: Imago/PEMAX
Kanada
Etwa 5 Stunden Fahrt nordöstlich von Vancouver liegt der atemberaubende Okanagan See mit seinen Weinterrassen. Früher galten diese Weine bestenfalls als ehrgeiziges Experiment. Heute, mit den Auswirkungen der globalen Erwärmung, hat sich die Erntezeit verlängert. Sogar Merlots und Chardonnays können angebaut werden. Damit könnten sie sogar den Kaliforniern in Napa Valley Konkurrenz machen.
Bild: picture-alliance/C. Robidoux
Russland: Belgorod
Die Region um Belgorod an der Grenze zur Ukraine will schon seit dem Mittelalter eine besondere Affinität zum Wein gehabt haben. So seien es Türken und Tataren gewesen, welche die Region für den Weinbau entdeckten. Im 19. Jahrhundert kamen französische Siedler aus Bordeaux und Burgund, um mit ihrem Know-how den Winzern auf die Sprünge zu helfen. Hier kann man den Wodka mal für Wein stehen lassen.
Bild: picture-alliance/N. Gyngazov
Russland: Sibirien
Auch in Sibirien, sonst eher für Eiseskälte und Permafrost bekannt, hat der Weinanbau Tradition. Im Jahr 2009 beschloss ein lokaler Winzer, das Angebot zu vergrößern und Wein im industriellen Maßstab anzubauen, um den ersten sibirischen Wein für einen Massenmarkt zu produzieren. Hier werden Pinot Noir und Muscat auf einer Fläche von acht Hektar geerntet. Das reicht für 50.000 Flaschen pro Jahr.
Bild: picture-alliance/dpa/Freidberg
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Bacchus, der Gott des Weins, reiste der Legende nach bis nach Indien, um alles über die Kunst des Weinanbaus zu erfahren. Heute findet man vergleichbar günstige klimatische Bedingungen zunehmend in Ländern, die man mit dem Weinanbau sonst gar nicht in Verbindung bringt. Mittlerweile finden Weinliebhaber sogar Geschmack an Traubensäften aus Skandinavien und Sibirien.
Ein Grund dafür ist die globale Erwärmung, eine Herausforderung für die Winzer in den traditionellen europäischen Weinregionen. Sie müssen nach neuen Wegen suchen, um ihre Ernte hitze- und dürrebeständiger zu machen. Die Vereinten Nationen prognostizieren nämlich, dass die Weinanbaugebiete auf der nördlichen Hemisphäre in den kommenden Jahrzehnten im Durchschnitt bis zu 180 Kilometer weiter nach Norden wandern könnten.
Wenn sich diese Tendenz fortsetzt, könnte der Ertag in traditionellen Weinregionen deutlich sinken, während andere, bislang kaum relevante Gebiete von der Verschiebung profitieren.
Erste Anzeichen für diese Entwicklung zeigen sich in Südengland, Schweden und Kanada. Dort entstehen neue Weinlagen, Winzer probieren neue Sorten und entdecken neue Methoden. Traditionelle Weinhersteller aus dem Süden müssen sich allmählich mit neuen Konkurrenten aus dem Norden messen.
Alter Wein in neuen Flaschen
Die Winzer in Südfrankreich, auf der Iberischen Halbinsel und auch in Südafrika werden zunehmend nervös und versuchen, sich dem Klimawandel anzupassen. Sie experimentieren mit dem Anbau widerstandsfähigerer Rebsorten oder erschließen neue Lagen, die bisher nicht als geeignet galten. Auf der anderen Seite perfektionieren auch die Winzer in bisher vernachlässigten Gebieten ihre Produkte. Ihre exotischen Weine sind nicht mehr nur eine Fußnote sondern erregen Aufsehen bei den Weinliebhabern.
Es gibt mit dem "Cool Climate Wines Award" sogar eine alljährliche Auszeichnung für Weine aus nördlichen Regionen. Unter den Gewinnern 2019 gibt es zwar kaum Produkte etwa aus skandinavischen Ländern, aber der Wettbewerb zeigt die Richtung an, mit Weinen aus Rumänien, Polen, Tschechien und mehreren deutschen Regionen.
Ein ähnlicher Wettbewerb in den USA prämiert Weine aus nördlichen Bundesstaaten wie Minnesota oder South Dakota und beschränkt sich nicht auf die Platzhirsche aus dem kalifornischen Napa Valley. Selbst Skandinavien und Russland scheinen auf dem besten Weg, ihren Schnaps und Wodka gegen einen guten heimischen Wein einzutauschen.
Und in Deutschland? Da werden in traditionellen Weißwein-Regionen wie an der Mosel und im Ahrtal vermehrt auch Rotweine produziert. Außerdem entstehen auch in ungewöhnlichen Regionen neue Weinlagen. Wie auf der nordfriesischen Insel Föhr, die an Dänemark grenzt, oder in der Uckermark, 100 Kilometer nordöstlich von Berlin.
Mehr über einige der nördlichsten Weine der Welt, finden Sie in der Bilder-Galerie oben.