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Politik

Hoffnungsträgerin wird zur Hassfigur

Roman Goncharenko
2. Februar 2017

Weniger als ein Jahr brauchte Nadija Sawtschenko, um ihr Image als Volksheldin in der Ukraine zu verspielen. Manche werfen der Politikerin Landesverrat vor. Wie kam es dazu?

Nadeschda Sawtschenko
Bild: imago/ZUMA Press

Während die Ukraine auf den neu entflammten Stellungskrieg gegen prorussische Separatisten schaut, sorgt Nadija Sawtschenko mit markanten Worten für Aufsehen. Ob Präsident Petro Poroschenko ihr Feind sei, wollte das Kiewer Nachrichtenmagazin "Nowoje Wremja" (Neue Zeit) in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview wissen. "Mein Feind ist der Feind meines Volkes, der den Menschen das Leben schwerer macht", sagte Sawtschenko. "Ja, ich denke, er ist ein Volksfeind."

Die ehemalige ukrainische Kampfpilotin, für deren Freilassung aus russischer Haft sich Poroschenko auf allen Ebenen eingesetzt hatte, beschrieb ihn mit einem Wort aus der Zeit des Stalin-Terrors. Die Schlagzeile "Sawtschenko nennt Poroschenko einen Volksfeind" wurde in Russland breit zitiert und sorgte für Wut in ukrainischen sozialen Netzwerken. Sie markierte einen weiteren Punkt in Sawtschenkos Imagewandel von einer Hoffnungsträgerin zur Hassfigur.

Vom Schlachtfeld über Haft in die Politik

Die Geschichte der heute 35-Jährigen wurde in der Ukraine zunächst als Heldenepos dargestellt. Als der Krieg in der Ostukraine ausbrach, kämpfte die ausgebildete Pilotin eines Kampfhubschraubers als Soldatin in einem Freiwilligenbataillon. Im Juni 2014 geriet sie in Gefangenschaft und tauchte als Häftling in Russland wieder auf. Der Vorwurf: Beihilfe zum Mord an zwei Reportern.

Nadija Sawtschenko in Moskau vor Gericht - in ihrer VerhörzelleBild: Reuters/M. Shemetov

Sawtschenko trotze dem Schauprozess, trat in Hungerstreiks, zeigte der russischen Justiz buchstäblich den Stinkefinger und wurde schließlich zu 22 Jahren Haft verurteilt. Wenige Monate später wurde sie vom russischen Präsidenten Wladimir Putin begnadigt und kehrte Ende Mai 2016 nach Kiew zurück. Faktisch wurde sie gegen zwei russische Kämpfer ausgetauscht, die in ukrainische Gefangenschaft geraten waren.

Nach ihrer Rückkehr begann Sawtschenkos politische Karriere, denn die Vaterlands-Partei der früheren Ministerpräsidentin Julia Timoschenko ließ sie in Abwesenheit ins Parlament wählen. Auch im Ausland war sie eine gern gesehene Rednerin und reiste unter anderem zum NATO-Gipfel nach Warschau. Zu Hause zeigte Sawtschenko schnell Ambitionen für das Präsidentenamt. "Früher sagte ich, ich will nicht, aber ich könnte (Präsidentin werden)", so Sawtschenko in einem DW-Interview im Juli 2016. "Jetzt würde ich sagen, dass ich es muss." Im Sommer lagen ihre Umfragewerte bei rund 10 Prozent. Jetzt sind sie auf etwa zwei Prozent geschrumpft, fand ein Meinungsforschungsinstitut heraus.

Der unaufhaltsame Abstieg

Nach ihrer Freilassung erklärte Sawtschenko den Austausch von Kriegsgefangenen zu ihrem Schwerpunkt. Sie konnte zunächst wenig erreichen, sorgte jedoch mit umstrittenen Äußerungen oder Handlungen immer wieder für Aufsehen. Sie sagte, dass die Ukrainer die Bewohner im Donbass um Vergebung bitten müssten. Auch sprach sie sich für eine Lockerung der Sanktionen gegen Russland aus. Im Oktober reiste Sawtschenko überraschend nach Moskau, um bei einem Prozess gegen ukrainische Häftlinge dabei zu sein. In der Ukraine gab es darauf gemischte Reaktionen. Die einen warfen Sawtschenko geschmacklose Imagepflege vor, die anderen lobten ihren Einsatz, um auf den Prozess aufmerksam zu machen.

Seitdem gab es zwei Ereignisse, die Sawtschenkos Beliebtheit zu Hause endgültig kippten. Die Politikerin nahm Kontakt zu den Separatistenführern im Donbass auf und düpierte Kiew, als sie sich mit ihnen in Minsk im Dezember persönlich traf. Da sie die Ukraine nicht offiziell vertrat, gab es keine Einigung über einen Austausch. Die Separatisten lobten jedoch ihren Einsatz und ließen "als Geste des guten Willens" zwei ukrainische Frauen frei. Doch manche in der Ukraine hatten Zweifel, ob diese Frauen tatsächlich in Gefangenschaft waren. Kurz nach diesem Besuch wurde Sawtschenko aus der Vaterlands-Fraktion ausgeschlossen. Sie verlor auch ihren Platz in der ukrainischen Delegation der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, allerdings aus formellem Grund. Nun baut Sawtschenko ihre eigene gesellschaftliche Kraft auf. Sie heißt RUNA ("Bewegung des ukrainischen Volkes"). Ob daraus eine politische Parte wird, ließ sie offen.

Bei den Parlamentswahlen 2014 machte die Vaterlands-Partei noch mit Sawtschenko WerbungBild: picture-alliance/dpa/Maxim Nikitin

In Januar unternahm Sawtschenko ihren bisher am meisten umstrittenen Schritt: Sie veröffentlichte Listen Kriegsgefangener. Es folgte Kritik seitens des ukrainischen Sicherheitsdienstes SBU und der parlamentarischen Menschenrechtsbeauftragten Waleria Lutkiwska. Ein Parlamentsausschuss bat die Generalstaatsanwaltschaft, jene Veröffentlichung auf "Landesverrat" hin zu prüfen. Als Abgeordnete ist Sawtschenko jedoch vor Strafverfolgung geschützt.

Musik in den Ohren Moskaus

Fest steht, dass Sawtschenko in der heutigen Ukraine eine sehr umstrittene Politikerin ist. Ihre Reise nach Moskau, ihr Treffen mit den Separatisten und immer wieder ihre Rhetorik geben Gerüchten Nahrung, sie sei "eine Agentin Moskaus".

Die Politikerin weist solche Vorwürfe als "Schwachsinn" zurück. Vor kurzem sagte sie, die Ukraine könnte die Separatistengebiete im Osten erst dann zurück bekommen, wenn sie die Krim vorübergehend aufgeben würde. Solche Sätze dürften Musik in den Ohren Moskaus sein. "Teile der ukrainischen Bevölkerung sind überzeugt, wenn sie keine Agentin des russischen Geheimdienstes FSB ist, dann ist sie zumindest "eine nützliche Idiotin", sagte der ukrainische Publizist Serhij Rudenko der Deutschen Welle. Ob bewusst oder unbewusst spiele Sawtschenko Putin in die Hände.

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