Tsipras in Berlin
14. Januar 2013"Merkelisten", so pflegt der griechische Oppositionsführer Alexis Tsipras Politiker in seiner Heimat zu titulieren, die die strengen Haushaltskürzungen befürworten, die die internationalen Kreditgeber Griechenland auferlegt haben. Es liegt am finanzpolitischen Kurs der deutschen Bundeskanzlerin, glaubt Tsipras, dass Griechenland seiner Wirtschaftsprobleme nicht Herr wird. Außerdem könne dieser Kurs in eine europäische Rezession führen, warnt der Führer des Linksbündnisses SYRIZA.
Angela Merkel und Mitglieder der Bundesregierung wiederum haben im vergangenen Jahr einiges unternommen, um zu verhindern, dass Tsipras die Parlamentswahlen in Griechenland gewinnt. Die internationale Unterstützung für die konservative Nea Dimokratia hatte zu einem knappen Sieg beigetragen. Jetzt stellt sich immer drängender die Frage, ob die von ihr geführte Koalition die nächsten Monate politisch überleben wird. Die Sparmaßnahmen werden erst in diesem Jahr ihre volle Wucht entfalten, allein die Arbeitslosigkeit soll auf über 30 Prozent steigen. Zudem tauchen immer neue Korruptionsfälle auf, die vor allem den Koalitionspartner PASOK betreffen.
Eine SYRIZA-Regierung wird denkbar
Eine vom Linksbündnis SYRIZA geführte Regierung scheint nicht mehr abwegig zu sein. Ihre Politik gilt aber vielen in der EU als extrem. Allerdings müssen in einer eng miteinander verflochtenen EU alle Regierungen miteinander auskommen können. Das hat mittlerweile auch SYRIZA-Chef Tsipras erkannt, und deshalb hat er sich um ein Gespräch mit dem deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble bemüht. Denn es könnte ja sein, dass SYRIZA bald die Regierung in Athen stellt - und darauf will Tsipras vorbereitet sein. "Wir müssen also jetzt sehen, ob es eine grundsätzliche Basis für Verhandlungen gibt", so der Oppositionsführer gegenüber der Deutschen Welle. "Ich werde versuchen, meinen Gesprächspartner und die deutsche Regierung davon zu überzeugen, dass es einen Politikwechsel braucht, um die Eurozone zu erhalten und natürlich Griechenland in ihr."
Um die griechische Regierung nicht vor dem Kopf zu stoßen, hat Wolfgang Schäuble vorher in Athen anfragen lassen, ob sie Einwände gegen ein solches Treffen hätte. Hatte sie nicht. Allerdings wird der Linkssozialist Tsipras auch schon mal mit dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez verglichen. Darum fragten Kritiker, ob Tsipras zu empfangen ihn nicht zu sehr aufwerte. Der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter konterte gelassen, das sei für den deutschen Finanzminister kein Aspekt - er wolle einfach "jeden Versuch unternehmen, das griechische Reformprogramm zu unterstützen. Da spricht man dann manchmal mit Menschen, wo man vielleicht nicht allzu große Hoffnungen hat, aber doch ein bisschen."
Freundliches Gesprächsklima trotz Differenzen
Als "nützlich", "produktiv", "freundschaftlich" und als "einen guten Anfang" bezeichnete Alexis Tsipras danach das Treffen, das eine Stunde gedauert hat und damit doppelt so lange wie vorgesehen. Nichtsdestotrotz bleiben die jeweiligen Sichtweisen unverändert. In den Worten des SYRIZA-Chefs: "Die Austeritätsmaßanhmen sind in ganz Europa gescheitert, besonders in Griechenland. Jetzt müssen wir die Folgen dieser Politik bewältigen, die Verarmung, die Arbeitslosigkeit und das Erstarken des Faschismus."
Aus griechischen Delegationskreisen verlautete, Tsipras habe sich für tiefgreifende Strukturreformen in Griechenland ausgesprochen. Die seien aber nicht möglich, solange sich Gesellschaft, Wirtschaft und Staat im Niedergang befänden. Er geißelte die Verflechtung von Partei- und Wirtschaftsinteressen in seinem Land. Ausdruck dafür sei die lange geheim gehaltene Liste Lagarde mit den Namen von über 2.000 Griechen, die in der Schweiz Geldkonten unterhalten. In diesem Zusammenhang bat er Wolfgang Schäuble, dabei zu helfen, dass die griechischen Behörden Zugang zu Unterlagen über den Siemens-Skandal bekommen, die Griechenland betreffen. Darin sollen die Namen von korrupten griechischen Politikern enthalten sein, die Siemens geschmiert haben soll, um Aufträge von Staatsfirmen zu bekommen.
Aus dem Bundesfinanzministerium hieß es, Wolfgang Schäuble habe beim Gespräch mit Tsipras seine Anerkennung für die "großen" Reformanstrengungen in Griechenland zum Ausdruck gebracht. Er bestand darauf, dass sie nötig seien, damit das Land in der Eurozone bleiben könne. Deshalb müsse das Reformprogramm von allen politischen Kräften getragen werden. Es ist kaum zu erwarten, dass dieser Appell Früchte tragen wird. Aber Alexis Tsipras hat zumindest aus erster Hand erfahren, wie die deutsche Regierung über die griechische Frage denkt. Und Wolfgang Schäuble wird einen künftigen linken griechischen Ministerpräsidenten besser einschätzen können. Insofern war das Treffen nicht nutzlos.