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Umstrittene Schönheitsoperationen

Elisabeth Yorck14. Januar 2014

Ein Gutschein für neue Brüste oder für das Fettabsaugen bei Minderjährigen. Union und SPD wollen das verhindern. Sie planen daher, Schönheits-OPs bei Kindern zu verbieten. Manches kann aber medizinisch sinnvoll sein.

Schönheitsoperation
Bild: MEHR

Jakob* ist 15 Jahre alt und will sich unters Messer legen. Denn er leidet unter seiner Nase. Er sitzt mit seiner Mutter, seinem kleinen Bruder und einem Sozialarbeiter in einer privaten Bonner Klinik und wartet auf sein Beratungsgespräch. "Ich finde meine Nase zu groß. Ich war letztes Jahr in einem Krankenhaus, aber dort wollten die Ärzte mich nicht operieren, weil ich zu jung war", erzählt er. "Ich bin auch jetzt noch nicht volljährig, aber ich leide unter meiner Nase und deswegen bin ich sicher, dass sie mir hier helfen werden."

Was ist medizinisch notwendig?

Jakobs Wunsch - seine Nase operativ verkleinern zu lassen - ist ein Grenzfall. Seine Nase funktioniert einwandfrei, daher bedarf es eigentlich keiner Korrektur aus medizinischen Gründen. Trotzdem leidet er - psychisch. Er fühlt sich nicht wohl, so sehr stört ihn seine Nase. In solchen Fällen müssen die Plastischen Chirurgen genau abwägen, ob sie die gewünschte Operation durchführen. "Die Grenze ist oft fließend, aber es liegt natürlich an uns, mit dem Betroffenen und seiner Familie herauszufinden, wie hoch der Leidensdruck ist", sagt der plastische Chirurg Peter Siepe. Außerdem müsse eine erkennbare Abweichung von der Norm vorhanden sein. Jemanden, der zwar leide, aber zum Beispiel eine völlig normale Nase habe, würde er nicht operieren, sagt der Arzt - erst recht nicht minderjährige Patienten, die tatsächlich nur aus rein ästhetischen Gründen eine Korrektur wollen. "Mir ist auch kein plastischer Chirurg bekannt, der solch einen Eingriff bei Minderjährigen macht", bekräftigt Siepe. Das Problem, dass sich Minderjährige zum Geburtstag oder zu Weihnachten einen Gutschein für eine Schönheits-OP wünschen, gibt es seiner Meinung nach in Deutschland nicht wirklich.

Chirurg Peter Siepe im BeratungsgesprächBild: DW/E.Yorck von Wartenburg

Politiker wollen einschreiten

Gesundheitsexperten von Union und SPD sehen das anders. Sie wollen reinen Schönheitsoperationen, die medizinisch oder psychologisch nicht sinnvoll sind, einen Riegel vorschieben: Der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn und sein SPD-Kollege Karl Lauterbach waren sich während der Koalitionsverhandlungen Anfang Dezember jedenfalls einig, dass reine Schönheits-OPs bei Kindern und Jugendlichen verboten werden sollen. Allerdings wurde das nicht im Wortlaut des endgültigen Koalitionsvertrages festgeschrieben.

Das Fettabsaugen bei Kindern möchten Gesundheitsexperten verbietenBild: picture-alliance/dpa Themendienst

Bisher genügt selbst für weitreichende Operationen wie Brustvergrößerung oder Fettabsaugen bei Minderjährigen die Zustimmung der Erziehungsberechtigten. Liegt jedoch ein medizinischer Grund vor, soll ein operativer Eingriff weiterhin möglich bleiben. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn Betroffene massive seelische Probleme haben, weil sie wegen ihrer großen Nase oder abstehender Ohren gehänselt werden.

"Die Politik scheint das Problem von reinen Schönheits-OPs stärker zu gewichten als wir", sagt auch Kerstin von Ark von der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC). Die Politik ginge davon aus, dass zehn Prozent der ästhetischen Eingriffe in Deutschland an Minderjährigen durchgeführt werden, so von Ark. "Wir haben allerdings nur etwa einen Prozent ermittelt. Und bei einem Großteil dieser Operationen legen die Chirurgen abstehende Ohren an."

"Ich habe mich nicht getraut, Zöpfe zu tragen."

Stefanie vor der OperationBild: privat

Auch Stefanie* hatte abstehende Ohren - bis sie fünf Jahre alt war. Hier waren es die Eltern, die mit ihrer Tochter über die Möglichkeit einer Operation gesprochen haben. "Unser Hals-Nasen-Ohren-Arzt empfahl uns eine Korrektur vor der Einschulung. Denn in der Grundschulzeit beginnen die Hänseleien der Mitschüler", erklärt Stefanies Mutter ihre damaligen Beweggründe.

Für Siepe ist Ohrenanlegen ein Routine-Eingriff. Fälle wie Stefanie hat auch er in seiner Praxis. "Das ist im Prinzip keine reine Schönheitsoperation, weil die Betroffenen in der Regel einen hohen Leidensdruck haben. Sie werden sehr oft gehänselt, trauen sich nicht mehr in die Schule und ziehen sich sozial zurück. Dann ist eine Operation auch medizinisch sinnvoll." Stefanie ist froh, dass ihr Hänseleien erspart blieben. "Ich selbst wollte auch die Operation machen lassen. Denn ich wollte nicht so aussehen wie auf den Fotos damals, wenn ich älter bin. Ich fand meine Ohren peinlich und habe mich nicht getraut, Zöpfe zu tragen."

Mit ihren angelegten Ohren fühlt sich Stefanie wohlerBild: DW/E.Yorck von Wartenburg

Stefanies Operation verlief ohne Probleme. Nach dem Eingriff hatte sie zwar Schmerzen, konnte aber gleich am nächsten Tag wieder in den Kindergarten gehen. "Ich sollte aufpassen, dass niemand an die Nähte kommt. Und es tat sehr weh." Nach einigen Wochen war allerdings wieder alles in Ordnung. Stefanie fühlt sich seitdem wohler und ist froh, dass sie sich damals für die Operation entschieden hatte. "Ich traue mich jetzt auch, Zöpfe zu tragen. Es ist einfach schöner so. Ich bereue es nicht."

Meist gibt es medizinische Gründe

Das Ohren-Anlegen macht gut 80 Prozent aller Schönheitsoperationen bei Minderjährigen aus. Viel seltener sind Operationen bei einer Krankheit namens Gynäkomastie. Das ist eine weibliche Brust bei Männern. Und auch das Absaugen von Schweißdrüsen bei übermäßigem Schwitzen komme manchmal vor. Andere Operationen, wie zum Beispiel Fettabsaugungen, spielen indes kaum eine Rolle, so von Ark.

Sie vermutet, dass minderjährige Patienten, falls ein entsprechendes Gesetz beschlossen wird, für eine Operation ein psychologisches Gutachten brauchen. "Für die Chirurgen hat das Gesetz kaum Relevanz. Für die Patienten ergibt sich allerdings das Problem, dass sie eine Hürde mehr nehmen müssen", gibt die Pressesprecherin der DGPRÄC zu bedenken. Peter Siepe sieht das ähnlich. "Bei uns würde sich durch das neue Gesetz nichts ändern. Die Fälle, die wir operieren, sind medizinisch begründet und wir haben auch überhaupt keinen Anlass, unser Verhalten zu ändern."

Die Gesellschaft fördert den Schönheitswahn

Im Gegensatz zu dem Medizinern hält Dirk Lanzerath, Philosoph am Deutschen Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften es für sinnvoll, wenn die Politik einschreitet. Die plastische und ästhetische Chirurgie hätte seiner Meinung nach schon längst reguliert werden müssen. Sie sei nach dem ersten Weltkrieg entstanden, um Verletzte und Opfer behandeln zu können, hätte sich aber seitdem sehr verändert. Von der rein medizinischen Vor- und Fürsorge habe sie sich zu einem "gesellschaftlichen Ereignis" entwickelt.

Dirk Lanzerath kritisiert den gesellschaftlichen SchönheitswahnBild: DW/E.Yorck von Wartenburg

"Gerade bei rein ästhetischen Eingriffen halte ich es für wichtig, dass die Rahmenbedingungen neu geklärt werden. Natürlich würde ich mir wünschen, dass Ärzte verantwortungsvoll mithelfen und mitentscheiden." Das setze voraus, so Lanzerath, dass die Ärztekammern und Fachgesellschaften klare Kriterien entwickeln, wie entschieden und gehandelt werden muss - "Und genau diese Kriterien und Maßnahmen vermisse ich," sagt der Ethiker.

Aber nicht nur von Seiten der Ärzte und Politik besteht laut Lanzerath Handlungsbedarf. "Der Druck, der auf den Jugendlichen lastet, kommt hauptsächlich aus der Gesellschaft, weil die den Schönheitswahn toleriert oder sogar fördert." Seiner Ansicht nach sind also alle drei - Ärzteschaft, Politik und Gesellschaft - gefordert, Minderjährigen ein gesundes Verhältnis und eine Distanz zu übertriebenen Schönheitsidealen aus Medien und Werbung mitzugeben.

Auch von Ark sieht dieses Problem: Gerade Jugendliche seien von den Medien beeinflusst. Sie machen eine körperliche Findungsphase durch. "Das Fernsehen hat einen großen Einfluss. Ästhetische Eingriffe erscheinen dort alltäglich und frei von jeglichen Komplikationen. Aber in der Realität ist das nicht immer der Fall."

Jakob geht dieses Risiko ein. Er hat keine Angst vor einer Operation seiner Nase, sondern will sie so bald wie möglich machen lassen. Ein Grund für seine Eile ist auch das geplante Gesetz. Er ist zwar sicher, dass er seine Nase trotzdem verkleinern lassen dürfte, weil er drunter leidet. Vorsichtshalber sitzt er aber lieber jetzt schon in der Bonner Klinik und wartet auf sein zweites Beratungsgespräch. Ein drittes wird folgen, dann erfährt er, ob die Ärzte einen Eingriff für medizinisch notwendig halten oder nicht.

* Name von der Redaktion geändert

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