Bis heute ist unklar, ob der Ankauf des spektakulären Mauerfall-Dokuments vom Haus der Geschichte rechtens war. Ein Gericht hob jetzt die Anonymität des Verkäufers auf.
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Dass sein handgeschriebener Zettel einmal Streitgegenstand vor Gericht werden würde, das hätte Günter Schabowski 1989 wohl nicht gedacht. Es handelt sich dabei um jenes Stück Papier, das die Grenzen zwischen der ehemaligen DDR und der BRD quasi über Nacht aufhob. Dem Haus der Geschichte in Bonn war das zeitgeschichtliche Dokument 25.000 Euro wert - gezahlt 2015 an eine Person, die nicht namentlich genannt werden wollte. Ob der Zettel zu Unrecht in den Besitz des Museums gelangt ist, ist noch nicht abschließend geklärt. Am 15. Februar 2022 hat das Verwaltungsgericht Köln aber entschieden, dass der Name des Verkäufers offengelegt werden muss. Bis jetzt war er vom Museum geheim gehalten worden.
Der Fall der Berliner Mauer
Doch der Reihe nach: Günter Schabowski war bis 1989, dem Jahr des Mauerfalls, Mitglied des SED-Politbüros in der damaligen DDR. Am 9. November verkündete er in einer Pressekonferenz, die in die Geschichte eingehen sollte, überraschend die uneingeschränkte Reisefreiheit für die Bürger der DDR. Kurz vor Mitternacht wurde der Grenzübergang Bornholmer Straße in Berlin freigegeben.
Damit war der Fall der Berliner Mauer besiegelt. Menschenmassen stürmten noch in der gleichen Nacht von beiden Seiten über die Grenzen und lagen sich feiernd in den Armen. Die verdutzten Grenzposten ließen sie größtenteils gewähren. Später war von einem Zufall die Rede, denn ein Reporter hatte wissen wollen, ab wann denn die Öffnung der Grenzen gelte. Schabowski antwortete, der Beschluss trete seines Wissens "sofort, unverzüglich" in Kraft. Auf seinem Redezettel hatte davon nichts gestanden.
Haus der Geschichte: Umstrittener Museumsankauf
Das Haus der Geschichte in Bonn hatte das historische Dokument vom Tag des Mauerfalls im Jahr 2015 erworben. Die Witwe des 2015 verstorbenen Günter Schabowski, Irina Schabowski, hielt den Ankauf schon damals für illegal: "Das ist der kaltblütige Verkauf einer gestohlenen Sache", sagte sie seinerzeit der Deutschen Presseagentur. Die Familie habe Anfang der 1990er-Jahre ein paar Dokumente, darunter auch den Zettel, an Bekannte gegeben, die sie sich näher ansehen wollten. Die Papiere seien trotz wiederholter Bitten nicht zurückgegeben worden. Irina Schabowski und ihr Sohn hatten schon 2015 einen Anwalt eingeschaltet und das historische Schriftstück zurückgefordert, allerdings ohne Erfolg.Diesmal hat allerdings nicht die Witwe Schabowski selbst, sondern das Boulevardblatt "BILD" den Fall vor das Kölner Amtsgericht gebracht.
Die BILD-Zeitung stellte bereits vor drei Jahren eine "presserechtliche Anfrage und einen Antrag auf Akteneinsicht in den Kaufvertrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz". Das Haus der Geschichte, das den Zettel in seiner Ausstellung zeigt, sollte die Hintergründe des Ankaufs aufdecken. Bis heute hatten die Verantwortlichen über die Herkunft des Zettels geschwiegen, denn das Museum, das in seiner Dauerausstellung die Geschichte beider deutschen Staaten behandelt, hatte dem Verkäufer oder der Verkäuferin Vertraulichkeit zugesichert. Die Stiftung Haus der Geschichte gab seinerzeit bekannt, man habe den Zettel rechtmäßig von einem Verkäufer erworben, der "unbelastet von Rechten Dritter" sei.
Krimi um den Schabowski-Zettel
Beim Kölner Gericht war man jetzt der Ansicht, dass das Auskunftsrecht der Presse schwerer wiege als der Schutz auf persönliche Daten. Das Haus der Geschichte sei keine Behörde, die "zwingend auf geheimes Agieren angewiesen" sei, hieß es in der Urteilsbegründung. Vielmehr unterliege das Museum Transparenz- und Rechenschaftspflichten, da es mit öffentlichen Geldern umgehe.
In dem Fall gab es einen sogenannten Erstverkäufer, der den Zettel an einen Zweitverkäufer verkauft hatte, der ihn wiederum dem Haus der Geschichte verkaufte. Der Erstverkäufer bestand nicht auf Anonymität, der Zweitverkäufer schon. Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts muss das Haus der Geschichte der Presse beide Namen nennen. Der Journalist wollte auch über den Wortlaut der Vereinbarung mit dem Zweitverkäufer informiert werden, doch das wies das Gericht ab.
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Nächste Runde im Rechtsstreit?
In Bonn überlegt man jetzt, ob weitere rechtliche Schritte möglich sind. Wenn das Urteil Bestand habe, werde das "ganz große Konsequenzen für die Museumswelt" haben, hieß es seitens des Museums. "Das Haus der Geschichte in Bonn ist der Zeitgeschichte verpflichtet. Wir wollen den Zettel der Öffentlichkeit als herausragendes Dokument des Mauerfalls weiter in unserer Dauerausstellung präsentieren, hier in Bonn."
Irina Schabowski sieht das ganz anders. Laut Bild-Zeitung geht es ihr vor allen Dingen darum, dass der Zettel in Berlin ausgestellt wird. "Hier gehört er hin und nicht nach Bonn."
In der bundesdeutschen Hauptstadt gibt es ebenfalls ein Museum, dass sich mit der deutschen Geschichte beschäftigt: Das Schabowski-Papier wäre demnach also auch im Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin gut aufgehoben.
Es bleibt abzuwarten, ob der Streit um das geschichtsträchtige Dokument in eine weitere Runde geht.
Es war einmal eine Mauer
Eine Sternstunde der deutschen Geschichte: Die missglückte Formulierung Günter Schabowskis am 9. November 1989 euphorisiert ein ganzes Volk. Vorgesehen war nur eine provisorische Ausreiseregelung für DDR-Bürger.
Bild: picture-alliance/dpa
Die Mauer, die niemand mehr fürchtet
Bereits 48 Stunden nach Öffnung der Mauer hat der bisherige Todesstreifen seinen Schrecken verloren. Vor, hinter und auf dem Betonwall mitten durch Berlin wird gefeiert. Ost- und Westdeutsche erleben sich als ein Volk.
Bild: picture-alliance/dpa
Die Vorgeschichte
Am 2. Mai 1989 beginnen ungarische Soldaten damit, den Grenzzaun zwischen Ungarn und Österreich an mehreren Stellen abzubauen. Es sind die ersten Löcher zwischen Ost- und Westeuropa entlang der ideologischen Grenzlinie seit Ende des Zweiten Weltkriegs.
Bild: AP
Der organisierte Wahlbetrug
Am 7. Mai 1989 wählen die DDR-Bürger ihre Kommunalparlamente. Die Ergebnisse sind erwartbar, da manipuliert. Wieder wollen die Machthaber 98 Prozent der Stimmen erhalten haben. Doch diesmal wehrt sich die Opposition. Einen Tag später gehen die Demonstranten in Leipzig auf die Straße.
Bild: picture-alliance/dpa/Roland Holschneider
Gorbi schlachtet die heilige Kuh
Warschauer-Pakt-Treffen im Juli 1989 in Bukarest: Gorbatschow kündigt die Breschnew-Doktrin auf. Damit ist das Interventionsrecht der Sowjetunion gegenüber den sozialistischen Bruderländern außer Kraft gesetzt. Fortan sollen die Moskauer Verbündeten eigenständige Lösungen bei nationalen Problemen finden. Ein Tabubruch.
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Flucht mit Sack und Pack
Der traditionelle Sommerurlaub in Ungarn wird für Tausende DDR-Bürger 1989 zum Wendepunkt ihres Lebens. Der löchrige Zaun entlang der Grenze zu Österreich hat sich zwischen Dresden und Usedom herumgesprochen. Mit Koffer, Kind und Kegel laufen ganze Familien im Schnellschritt über die grüne Linie in die Freiheit. Die Grenzsoldaten schauen einfach weg.
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Flüchtlingslager Botschaftsgarten
Besonders beliebt bei DDR-Bürgern im Sommer 1989: die bundesdeutschen Botschaften in Osteuropa. Schnell sind die Gebäude überfüllt, die hygienischen Zustände unhaltbar. In Prag halten sich auf dem Höhepunkt der Fluchtwelle fast 5000 Ausreisewillige im Garten des Palais Lobkowitz auf.
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Auftritt Genschman
Im Nachhinein nennt es Hans-Dietrich Genscher das bewegendste Erlebnis seines Lebens. Der bundesdeutsche Außenminister verkündet am 30. September 1989 vom Botschaftsbalkon Tausenden DDR-Bürgern ihre sofortige Ausreise in den Westen. Es ist der emotionale Höhepunkt vor dem eigentlichen Mauerfall.
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"Wir sind das Volk!"
Im 40. Jahr des Bestehens der DDR traut sich das Volk. Leipzig wird zur Proteststadt der Republik. Die sogenannten Montagsdemonstrationen werden zum Ritual der Opposition und lehren die Machthaber in Ost-Berlin das Fürchten. Ende September ziehen 8000 Menschen durch die Straßen, Mitte Oktober sind es schon 70.000, Ende des Monats protestieren 300.000 gegen Honecker & Co.
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Sonderzug gen Westen
Anfang Oktober ist die Prager Botschaft erneut überfüllt. Auch in der Warschauer Vertretung der Bundesrepublik drängeln sich ausreisewillige Ostdeutsche. Es ist die Zeit der hektischen und stillen Diplomatie zwischen Bonn und Ost-Berlin. Am Ende verlassen mehr als 6000 DDR-Bürger die Botschaften Richtung Westdeutschland.
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40 Jahre und kein bisschen weise
Die innere Erosion der DDR steigert sich massiv zu ihrem 40. Gründungstag. Wurden zu Beginn der Protestwelle noch Reformen von den verschiedenen Oppositionsbewegungen angemahnt, sind die Ziele im Oktober schon weitreichender: Freie Wahlen, offene Grenzen, Wohlstand. Doch Honecker bleibt stur. Gorbatschow hingegen versteht die Zeichen der Zeit.
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Egon kommt zu spät
Erich Honecker, Staats- und Parteichef, zeigt sich bis zu seinem politischen Ende komplett uneinsichtig. An ihm geht die politische Wende ungehört vorbei. Am 18. Oktober wird der bis dahin unangefochtene Honecker von Partei und Staatsrat fallen gelassen. Egon Krenz übernimmt. Er versucht, die DDR durch Reformversprechen am Leben zu erhalten. Vergeblich.
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Ein Volk hat genug
Anfang November erreicht die Protestbewegung die Hauptstadt des Arbeiter- und Bauernstaates. Mehrere hunderttausend Menschen demonstrieren für Reformen und gegen ihre eigene Regierung. Ihr Motto: Keine Gewalt! Es ist und bleibt die größte Demonstration in der 40-jährigen DDR-Geschichte.
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Die Opposition wird konkret
Die Demonstration auf dem Ost-Berliner Alexanderplatz wird live übertragen. Eine Sensation, die die Hilflosigkeit der Krenz-Regierung schon vorweg nimmt. Die Forderungen der Opposition gehen an die Substanz des sozialistischen Selbstverständnisses: Reise-, Presse- und Versammlungsfreiheit werden gefordert. Und: Stasi-Übergriffe sollen geahndet werden.
Bild: picture-alliance/dpa/Martti Kainulainen
Der Versprecher der Geschichte
Wenige Worte, die die Welt veränderten: Ein übermüdeter und schlecht vorbereiteter Günter Schabowski verhaspelt sich beim Vortragen einer vorübergehenden Ausreiseregelung für DDR-Bürger. Die Öffnung der Grenzen erklärt er auf ausdrückliche Nachfrage als "unverzüglich" gültig. Um 19.03 Uhr am 9. November 1989 berichtet die Nachrichtenagentur Reuters erstmals über die historische Sensation.
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Mit dem Trabi in den Westen
Die Nacht vom 9. zum 10. November 1989 gehört zu den Erlebnissen, die Menschen mit den Worten "wenn Träume wahr werden" umschreiben. Innerhalb von nur 48 Stunden kamen Hunderttausende DDR-Bürger zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit ihren Trabants nach West-Berlin und in die Bundesrepublik. Am Check-Point-Charlie ging es zu wie beim Kölner Karneval.
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Sie liebten ihn gar nicht
Wie aus Tigern Bettvorleger werden, konnte die deutsche Fernseh-Gemeinde in Ost und West vier Tage nach dem Mauerfall mit Erstaunen und Häme beobachten: Erich Mielke, Stasi-Chef und Hardliner im Politbüro winselte geradezu um Verständnis vor den Volkskammerabgeordneten. Ein jämmerlicher letzter Auftritt eines Unbelehrbaren, der Blut an den Händen hatte.