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Schach: Deutschland hat EM im Blick und träumt vom WM-Titel

Holger Hank
2. Oktober 2025

Mit viel Rückenwind fahren die deutschen Schachspieler zur Mannschafts-Europameisterschaft nach Georgien. Denn plötzlich hat Deutschland nicht nur einen Star in Team, sondern gleich zwei.

2024: Matthias Blübaum in der Schach-Bundesliga
Auf einmal im Fokus: Schach-Großmeister Matthias Blübaum hat sich für das WM-Kandidatenturnier qualifiziert.Bild: Robin Rudel/Sportfoto Rudel/IMAGO

"Insgesamt habe ich sehr gut gespielt." So nüchtern beschreibt Matthias Blübaum den größten Erfolg seiner Schachkarriere. Der 28-jährige Schach-Großmeister kommt aus Ostwestfalen, einer Region des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. Dort sind die Menschen eher nicht für große Gefühlsausbrüche bekannt.

Dabei hat Blübaum im September etwas geschafft, dass seit 35 Jahren keinem anderen Deutschen mehr gelungen ist: Blübaum qualifizierte sich beim "Grand Swiss"-Turnier in Usbekistan für das WM-Kandidatenturnier.

Im kommenden Jahr tritt er gegen sieben andere Top-Spieler an. Der Sieger wird dann gegen den indischen Weltmeister Gukesh Dommaraju um den Titel des Schach-Weltmeisters spielen. Zwar ist Blübaum nur Außenseiter, aber: "Wenn man beim Kandidatenturnier mitspielt, dann will man gewinnen", sagt er. "Ich freue mich darauf."

Vincent Keymer hat vorerst das Nachsehen

Bei seinem Siegeszug in Usbekistan ließ Blübaum viele der großen Namen im Schachsport hinter sich. Weder Weltmeister Gukesh noch seine hochgehandelten Landsmänner Rameshbabu Praggnanandhaa und Erigaisi Arjun konnten am Ende mit dem Deutschen mithalten - nur der niederländische Topspieler Anish Giri landete am Ende noch knapp vor Blübaum.

Das Nachsehen hatte auch Deutschlands Nummer eins. Der 20-jährige Vincent Keymer ist in der Weltrangliste unter den besten zehn Spielern angekommen und gilt schon seit längerem als möglicher Kandidat für einen WM-Kampf. Doch in der vorletzten Runde beim "Grand Swiss" machte ihm ausgerechnet Nationalmannschaftskollege Blübaum einen Strich durch die Rechnung. 

Gukesh Dommaraju: Gegen wen muss er 2026 seinen Weltmeister-Titel verteidigen?Bild: Gregor Fischer/dpa/picture alliance

"Ich hatte die Niederlage gegen Vincent schon im Kopf durchgespielt. Da war ich schon frustriert", erinnert sich Blübaum im Gespräch mit der Deutschen Welle an die entscheidende Partie. Doch es kam anders. Im 54. Zug übersah Keymer in klar besserer Stellung einen Springerzug und musste bald darauf in ein Remis einwilligen. Am Ende reichte es für Keymer nur zu Platz vier.

WM-Kandidatenturnier in Deutschland?

"Wir sind sehr stolz auf Matthias Blübaum", freut sich Ingrid Lauterbach, die Präsidentin des Deutschen Schachbunds. "International ist der deutsche Schachbund so erfolgreich wie schon lange nicht mehr." Denn auch Jungstar Keymer hat in den nächsten Wochen noch die Chance, auf den WM-Zug aufzuspringen.

Da es mit Blübaum und Keymer möglicherweise sogar zwei Teilnehmer gibt, wünschen sich jetzt viele in der deutschen Schach-Szene, dass das Kandidatenturnier im kommenden Jahr in Deutschland ausgerichtet wird.

Vincent Keymer: Die deutsche Nummer eins ist inzwischen einer der besten Schachspieler der Welt.Bild: Dipayan Bose/ZUMA Press Wire/imago images

Doch die Präsidentin winkt eher ab: "Wir haben uns das natürlich angeschaut. Aber das ist wahnsinnig teuer", so Lauterbach: "Dazu bräuchten wir kurzfristig einen sehr zahlungskräftigen Geldgeber." 

Suche nach Sponsoren

Auf jeden Fall habe sich der Schachbund vorgenommen, ihren WM-Kandidaten Matthias Blübaum so gut wie möglich zu unterstützen, berichtet Lauterbach der Deutschen Welle. Denn der studierte Mathematiker hatte in den letzten Jahren noch nicht einmal einen professionellen Trainer an seiner Seite. "Wir haben jetzt gute Argumente, um zu versuchen, einen neuen Sponsor zu gewinnen", findet Lauterbach.

Apropos Geld. Auch wenn die - männlichen - deutschen Schachsportler gerade von Erfolg zu Erfolg eilen und Schach derzeit weltweit vor allem im Internet boomt: Die Finanzen und die Förderung der Spitzenspieler sorgen im Schachbund immer wieder für Diskussionen. 

So sind die deutschen Frauen derzeit von den Weltbesten aus China und Indien weit entfernt. "Der Deutsche Schachbund hat weder ein Konzept noch aktive Mittel, das Frauenschach in Deutschland voranzubringen", kritisierte etwa die langjährige Spitzenspielerin Elisabeth Pähtz die Schach-Funktionäre kürzlich auf der Schach-Webseite "Chessbase".

Auf Sponsoren-Suche: Schachbund-Präsidentin Ingrid LauterbachBild: Frank Hoppe

Auch für die Schachbund-Präsidentin Lauterbach ist klar, dass die deutschen Frauen derzeit nicht "auf dem selben Level" wie die Männer spielen. Immerhin: Zur Europameisterschaft fahre man jetzt mit einem neuen Bundestrainer für das Frauenteam: "Ich hoffe, dass mit dem neuen Bundestrainer mehr Stabilität in die Mannschaft kommt."

Turniere und Trainer

"Sehr gute Schachspielerinnen und -spieler zu produzieren, ist eigentlich ganz einfach", findet Jacob Aargaard. Der dänische Großmeister ist international einer der bekanntesten Trainer und hat auch viele indische Talente gecoacht. Sein Credo: "Man organisiert starke Turniere und gibt den Talenten die Mittel, um gute Trainer zu bezahlen."

Den Aufschwung im deutschen Schach verfolgt Aagaard gespannt. Denn neben Keymer und Blübaum gebe es noch weitere sehr starke Spieler wie den jungen Großmeister Frederik Svane aus Lübeck. Doch Aagaard glaubt nicht, dass die Deutschen in der Breite derzeit mit den Indern mithalten könnten.

In Europa würden die Schach-Funktionäre ihre Mittel leider oft in die Verbände und weniger in die Spielerinnen und Spieler investieren, moniert der Experte im Gespräch mit der Deutschen Welle. "In Indien gibt es viel mehr Talente, die systematisch gefördert werden", so Aargaard.

Matthias Blübaum, der als Jugendlicher vom Deutschen Schachbund mehrere Jahre lang intensiv unterstützt worden ist, schätzt die Situation so ein: "Klar gibt es mehr Support in Indien, aber das heißt nicht, dass man, wenn man in Deutschland aufwächst, es nicht genauso weit schaffen kann."

Hat keinen Trainer, ist aber einer der WM-Kandidaten: Matthias BlübaumBild: Malte Ossowski/Sven Simon/IMAGO

Aktuell muss sich der deutsche Shooting-Star zumindest weniger Sorgen um seine Finanzierung machen. Immerhin 75.000 US-Dollar Preisgeld gab es für seinen Erfolg beim "Grand Swiss". 

Mit Blick auf das WM-Kandidatenturnier in einem halben Jahr kümmert sich Blübaum jetzt erst einmal um sein Team: "Ich muss jetzt Leute fragen, von denen ich glaube, dass ich gut mit Ihnen zusammenarbeiten kann."

Als Favorit zur Team-EM

Die Europameisterschaft im georgischen Batumi (5. bis 14. Oktober) dürfte ein guter Ort sein, um sich nach kompetenten Helfern umzuschauen. Dort geht es für die favorisierten Keymer, Blübaum & Co nicht gegen Indien, sondern gegen Titelverteidiger Serbien, Frankreich oder zum Beispiel die starken Niederländer.

Die einstige Schach-Supermacht Russland ist nicht dabei. Nach den Sanktionen in Folge des Ukraine-Kriegs hat sich Russland kurioserweise dem asiatischen Verband angeschlossen.

"Wir sind auf jeden Fall ein Top-Team", schätzt Blübaum die Ausgangslage in Batumi ein, "es hängt an ein, zwei kritischen Matches. Wenn dann eine Partie mal kippt, dann kann es halt auch schief gehen".

Ostwestfälisch tiefzustapeln ist bei Matthias Blübaum Programm. Doch der deutsche WM-Kandidat kann auch selbstbewussten Klartext: "Unser Ziel muss sein, Gold zu holen."

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