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Asiens Jungstars erobern die Schachwelt

Holger Hank
Veröffentlicht 9. September 2024Zuletzt aktualisiert 10. September 2024

In Budapest startet die "Schach-Olympiade", die Mannschafts-WM. Die Top-Teams kommen nicht mehr aus Europa, sondern zumeist aus Asien. Denn Schach boomt in China, Usbekistan - und vor allem in Indien.

Schachspieler Gukesh Dommaraju aus Indien im Porträt
Erst 17 Jahre alt, aber schon ein Schach-Superstar: Dommaraju Gukesh aus Indien Bild: Andrzej Iwanczuk/NurPhoto/picture alliance

Ding Liren, Gukesh, Praggnanandhaa, Abdusattorov: Die Zeiten, in denen vor allem russische Namen ganz oben in den Abschlusstabellen der internationalen Schach-Turniere auftauchten, sind bis auf Weiteres vorbei. Bei der Schach-Olympiade in der ungarischen Hauptstadt Budapest (10. bis 22.09.2024) kommen die Favoriten aus Indien, China oder Usbekistan.

Nur die USA dürften in den nächsten Wochen mit den asiatischen Denksportlern bei der Mannschafts-WM mithalten können. Ex-Weltmeister Magnus Carlsen spielt zwar auch mit, ist mit seinen Norwegern aber eher Außenseiter. Russische Teams sind in Budapest gar nicht erst dabei - wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine ist die einstige Schach-Supermacht derzeit von den Brettern verbannt.

Indiens Goldene Generation

Als das neue Russland im Schachsport gilt Indien - das Land, in dem das Schachspiel vor rund 1500 Jahren entstanden ist. Im Frühjahr gewann der gerade einmal 17-jährige Dommaraju Gukesh das Kandidaten-Turnier und spielt damit Ende 2024 gegen den amtierenden Weltmeister Ding Liren aus China um den WM-Titel.

Ding Liren (China) gegen Dommaraju Gukesh (Indien): Ende 2024 spielen die beiden um den WM-TitelBild: Sylvia Lederer/Xinhua/picture alliance

Gukesh ist nicht der einzige junge Inder im elitären Kreis der Super-Großmeister. Spieler wie Rameshbabu Praggnanandhaa (Spitzname: "Pragg") und Arjun Erigaisi finden sich inzwischen ebenfalls ganz oben in der Weltrangliste. Und auch bei den Frauen sind die indischen Spielerinnen auf dem Vormarsch.

Das Schachwunder in Indien ist vor allem mit einem Namen verbunden: Viswanathan Anand, der frühere Weltmeister (2007 bis 2013). "In Indien ist man heute fast schon ein Star, wenn man Anand nur kennt" erzählt Ingrid Lauterbach, die Präsidentin des Deutschen Schachbunds (DSB), und spielt damit auf die Strahlkraft des Ex-Weltmeisters an. "Inzwischen sorgt in Indien der Nachwuchs für die Schlagzeilen - vor allem auf dem Schachbrett", freut sich Anand, der mit 54 Jahren zwar immer noch zu den besten Spielern der Welt gehört, aber sich mehr und mehr aus dem Profisport zurückzieht. 

Als Schach im Zuge seiner Erfolge immer populärer wurde, seien in Indien die ersten Schachschulen gegründet worden, erinnert sich Anand.  Ausgehend von Anands Heimatregion Tamil Nadu an der Südspitze des indischen Subkontinents entstanden im ganzen Land private Trainingsakademien. "Einige dieser sehr erfolgreichen Akademien betreuen inzwischen nicht nur Talente in Indien, sondern auch Spieler in der indischen Diaspora - etwa in den USA, Großbritannien oder dem Nahen Osten", berichtet Anand der Deutschen Welle. 

Schach-Star Rameshbabu Praggnanandhaa: Ist er noch besser als Dommaraju Gukesh?Bild: Carina Johansen/NTB/picture alliance

Schon die Kinder trainieren in den Schachakademien manchmal wie Vollprofis. WM-Kandidat Gukesh etwa wurde sogar schon als Neunjähriger aus der Schule genommen, um sich auf Schach zu konzentrieren und weltweit an hochklassigen Turnieren teilnehmen zu können. Finanziert wird die Schach-Infrastruktur nicht nur durch ehrgeizige Eltern aus der indischen Mittelschicht, sondern auch durch Sponsoren aus der Wirtschaft und durch Staatsunternehmen, die Schachspieler beschäftigen und für den Sport freistellen.

Die rasante Entwicklung des Schachsports ist so auch ein Spiegelbild des wirtschaftlichen Aufstiegs des Landes. "Wenn ein Land von der Größe Indiens sich entscheidet, etwas ernsthaft anzugehen, dann schaffen wir auch Bedeutsames", formulierte Superstar Anand in einem Interview nicht ohne Stolz.

Nicht mehr Geheimfavorit: Usbekistan

Indien ist jedoch nicht das einzige Land in Asien, in dem das traditionsreiche Brettspiel immer populärer wird. China stellt aktuell mit Ding Liren den Weltmeister und mit Ju Wenjun die Weltmeisterin. Und mit Usbekistan mischt inzwischen ein weiteres asiatisches Land ganz oben in der Männer-Weltrangliste mit.

"Wir sind keine Geheimfavoriten mehr, sondern der Titelverteidiger", sagt Großmeister Rustam Kasimjanov, der die usbekischen Spitzenspieler seit einigen Jahren trainiert. Bei der Schach-Olympiade 2022 gewann das Team um Nachwuchsstar Nodirbek Abdusattorov sogar vor den Indern die Goldmedaille.

Duell der aufstrebenden Schach-Nationen: Indien gegen Usbekistan mit Nodirbek Abdusattorov (r.) bei den Asienspielen 2023Bild: Han Chuanhao/Xinhua/picture alliance

"In Usbekistan unterstützt der Staat seit einigen Jahren den Schachsport mit substanziellen Mitteln", berichtet Kasimjanov, der in Deutschland in der Nähe von Bonn lebt. Die Hilfe für die Denksportler kommt in Usbekistan von ganz oben: Shavkat Mirziyoyev, der Präsident des Landes, erließ eigens ein Dekret mit dem Titel "Maßnahmen zur weiteren Entwicklung und Popularisierung des Schachs sowie zur Verbesserung des Systems der Ausbildung von Schachspielern". Das Ziel: Schach soll in dem zentralasiatischen Land Volkssport werden.

Medaille für Keymer & Co?

Über so viel staatlichen Rückenwind kann sich Schachbund-Präsidentin Ingrid Lauterbach zwar nicht freuen, aber die deutschen Mannschaften fahren durchaus mit Chancen nach Budapest. "Als Vize-Europameister gehören wir bei den Männern zum erweiterten Favoritenkreis und auch die Frauen sind in den Top Ten", fasst die DSB-Chefin die Ausgangslage zusammen. "Wenn es optimal läuft, ist eine Medaille möglich", so Lauterbach. Mit dem 19-jährigen Vincent Keymer habe das junge deutsche Team am Spitzenbrett einen Spieler, der mit den asiatischen Nachwuchsstars mithalten könne.

Deutschlands bester Schachspieler: Vincent KeymerBild: Thorsteinn Magnusson/Reykjavik Open 2021

Doch trotz der jüngsten Erfolge von Keymer und seiner Nationalmannschaftskollegen sieht Spitzentrainer Rustam Kasimjanov bei der Förderung von Top-Junioren in seiner Wahlheimat Deutschland noch Luft nach oben: "Das macht manchmal einen sporadischen Eindruck." Auch Ingrid Lauterbach, seit 2023 im Amt, hat Verbesserungsmöglichkeiten identifiziert. Das Zusammenspiel zwischen Schulen, Vereinen, den Landesverbänden und den Trainern für die Talente sei ein Thema. Es gebe aktuell auf jeden Fall erfreulich viele aussichtsreiche junge Spieler in Deutschland. 

Mit etwas Sorge schaut die ehemalige Nationalspielerin Lauterbach aber auf den weiblichen Nachwuchs: "Hier tut sich gerade eine Lücke auf". Dass relativ wenig Mädchen und Frauen im Verein Schach spielen, möchte sie ändern. Dazu blickt Lauterbach auch nach Asien: "Dort gibt es nicht nur viele starke Schachspielerinnen", hat die die ehemalige IT-Managerin beobachtet, "sondern in vielen Ländern auch mehr Frauen in Führungspositionen als hierzulande".