Schafft Deutschland die Integration?
13. April 2016Seit der Schließung der sogenannten Balkanroute sind die Zahlen der nach Deutschland kommenden Asylbewerber stark zurückgegangen. Das heißt nicht, dass sich die Erstaufnahmeeinrichtungen jetzt schnell leeren werden. Noch immer hinkt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit der Annahme und Bearbeitung von Asylanträgen deutlich hinterher. 400.000 Migranten warten derzeit darauf, dass ihre Anträge bearbeitet werden. Dazu kommen rund 300.000 Flüchtlinge, die überhaupt noch keinen Antrag gestellt haben, weil sie bislang keine Möglichkeit dazu hatten.
Zahlen, die BAMF-Chef Frank-Jürgen Weise nicht glücklich machen. "Die lange Dauer der Bearbeitung ist ein ganz großes Übel", sagte er auf einer Konferenz der Stiftung Marktwirtschaft in Berlin. Acht bis neun Monate dauert es derzeit noch im Schnitt, bis ein Asylbewerber weiß, ob er in Deutschland bleiben darf oder nicht. In dieser Zeit darf er nicht arbeiten, bekommt keinen Sprachkurs und lebt in beengten Massenunterkünften. "Er bekommt Geld und erlebt, dass er dafür nichts leistet", so Weise. Das tue niemandem gut.
Ein Job, so schnell wie möglich
Insgesamt sind von 2013 bis Ende 2015 rund 1,2 Millionen Asylbewerber nach Deutschland gekommen. Die Anerkennungsquote liegt bei 55 Prozent. Es ist also davon auszugehen, dass rund 660.000 Menschen als Flüchtlinge anerkannt werden. Im Idealfall müssten sie so schnell wie möglich Deutsch lernen und so qualifiziert werden, dass sie eine Arbeit finden können. Aber ist das realistisch?
Wohl kaum, wenn man die Forschungsergebnisse von Herbert Brücker zugrunde legt. Der Arbeitsmarktökonom hat die freiwilligen Selbstangaben der Asylbewerber analysiert. Danach haben zwar 46 Prozent der absehbar Bleibeberechtigten ein Gymnasium oder sogar eine Hochschule besucht. Doch die wenigsten haben einen Abschluss. Etwa drei von vier Flüchtlingen aus Afghanistan, Irak und Syrien haben keine abgeschlossene Berufsausbildung.
Ausbildung und Sprachkompetenz
Was nicht heißt, dass diese Menschen nichts können. Brücker fordert unkonventionelle Maßnahmen, um die Berufserfahrung von Flüchtlingen zu erfassen und zu zertifizieren. Probearbeiten sei ein erfolgversprechendes Mittel. Für drei oder sechs Monate könnten Flüchtlinge in Betrieben ihr Können unter Beweis stellen. Dieser Meinung ist auch Frank-Jürgen Weise, der nicht nur das BAMF leitet, sondern auch Vorstand der Bundesagentur für Arbeit ist. Auch er legt Wert auf eine schnelle Vermittlung. "Was wir heute machen, lange Sprachkurse und dann erst in Arbeit, das ist schlecht."
Der Spracherwerb soll allerdings nicht zu kurz kommen. Im Gegenteil. Arbeitsökonom Herbert Brücker hat errechnet, dass gute Deutschkenntnisse die Chance auf eine Beschäftigung um 16 Prozent erhöhen und auch bei der Entlohnung eine Rolle spielen. Noch wichtiger ist nur die berufliche Qualifikation. Ein Berufsabschluss steigert die Chancen auf einen Arbeitsplatz um 20 Prozent.
Eine Tatsache, die angesichts der vielen jungen Migranten besonders wichtig ist. Denn sie könnten über eine Ausbildung in den Arbeitsmarkt gelangen. "Aber da darf man sich keine Illusionen machen, denn viele der Flüchtlinge wollen sehr schnell Geld verdienen und nicht in Bildung oder Ausbildung investieren", prognostiziert Brücker.
Sozialsysteme vor dem Ruin?
Dabei wird es am Ende nicht nur für die Flüchtlinge, sondern auch für die deutsche Gesellschaft entscheidend sein, in welchen Berufen die Migranten Fuß fassen und was sie verdienen werden. Davon hänge die Zukunft der deutschen Sozialsysteme ab, erklärt Brücker: "Wie hoch ist die Erwerbsquote, wie hoch sind die Löhne, was wird an Transferleistungen bezogen, was zahlen sie an Rente ein?" In den letzten Jahrzehnten sei bei der Bildung und Ausbildung von Migranten viel falsch gemacht worden.
Der Ökonom und Demographie-Forscher Bernd Raffelhüschen bezweifelt, dass es diesmal besser laufen wird. Er geht nicht nur davon aus, dass die meisten Zuwanderer unter Altersarmut leiden werden, weil "die gar keine Chance haben, so lange zu arbeiten, wie sie müssten". Viele würden auf Sozialleistungen angewiesen sein. "Die werden auch nicht so viel in die Gesundheitsvorsorge einzahlen, wie sie brauchen werden." Für die Stiftung Marktwirtschaft hat Raffelhüschen errechnet, dass jährlich 17 Milliarden Euro nötig sein werden, um die Flüchtlinge zu versorgen. "Das ist in etwa der Preis."
Humanitärer Imperativ
Die ungesteuerte Zuwanderung der letzten Monate wertet der Freiburger Ökonom als große Hypothek für Deutschland. "Wir haben schon vier Millionen Unqualifizierte, die hier auf Arbeitslosengeld rumsitzen - wir brauchen das Gegenteil, also Leute, die etwas können." Deutschland brauche qualifizierte Fachkräfte, um der Überalterung der Gesellschaft entgegenzuwirken. "Wir in der Wissenschaft sagen seit 30 Jahren, dass wir eine gesteuerte Zuwanderung brauchen."
Eine Argumentation, die Peter Altmaier, Chef des Bundeskanzleramts und Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung, durchaus nachvollziehen kann. Deutschland habe die Menschen aber nicht abweisen können. Angesichts von Krieg und Verfolgung gelte ein humanitärer Imperativ: "Wir fragen dann nicht, was verträgt der Arbeitsmarkt, was können wir sozialpolitisch leisten?"
Integration einfordern
Trotzdem müsse natürlich überlegt werden, wie sich die humanitäre Herausforderung mit den Erfordernissen des Arbeitsmarktes vertrage. "Aber es ist für ein Land wie Deutschland einfach entscheidend, dass wir mit einem Anspruch auf Problemlösung an die Fragen heran gehen und nicht mit einem defätistischen Ansatz, der von vorne herein die Flinte ins Korn wirft."
Die Bundesregierung werde selbstverständlich alles dafür tun, um sicherzustellen, dass die Menschen nicht auf Dauer von Sozialleistungen leben müssten. Es dürften nicht wieder Parallelgesellschaften entstehen. "Wir werden bei der Integration helfen und wir werden sie auch einfordern."