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Piraten gefährden Seewege

2. Juli 2011

Fast der gesamte Welthandel wird über den Seeweg abgewickelt. Piraten gefährden diese Lebenslinie der Globalisierung, vor allem vor Somalia. Die Reeder rüsten auf - mit Hilfe der Industrie.

Piraten mit erhobenen Händen, die von Soldaten festgenommen wurden. (Foto: dpa)
Bild: dpa

Der Schrecken der Handelsschiffahrt sieht erstaunlich harmlos aus: Ein offenes weißes Boot, nicht einmal sechs Meter lang und keine zwei Meter breit. Am Heck zwei starke Yamaha-Aussenbordmotoren. An Bord Benzinkanister, Leitern und ein Enterhaken. Im März 2010 hatte die deutsche Fregatte "Emden" dieses "Skiff" - das Angriffsboot somalischer Piraten - im Rahmen der EU-Operation "Atalanta" als Beweismittel beschlagnahmt. Mitte Juni dient es in der Ausstellungshalle A 4 auf dem Hamburger Messegelände als Anschauungsmaterial für die Bedrohung der Handelsschifffahrt durch Piraterie.

Auf den ersten Blick schwer vorstellbar, dass mit so einer Nussschale Containerschiffe oder Supertanker angegriffen werden. "Aber Sie müssen sich das Schiff im Einsatz vorstellen. Mit einer sehr, sehr hohen Geschwindigkeit und voll von Piraten, die mit Schnellfeuergewehren, mit Maschinengewehren, mit Panzerfäusten bewaffnet brutal auf die Schiffe zurasen und die Schiffe eben beschießen", erläutert Jan-Thiess Heitmann, Syndikus beim Verband deutscher Reeder im Exkusivinterview mit der Deutschen Welle. Der smarte Anwalt mit der schwarzen Brille und dem Anzug aus feinem Tuch kennt sich aus mit den Taktiken der Piraten. Immerhin sind seit 2008 dem Verband Deutscher Reeder zufolge 15 Schiffe von deutschen Unternehmen in die Hand von Piraten gelangt. Insgesamt sind allein in diesem Jahr am Horn von Afrika bereits 154 Schiffe gekapert worden.

Waffen an Bord von Handelsschiffen

Nußschale gegen Containerschiff - "Skiff" somalischer PiratenBild: DW

In einer Mischung aus Wut und Resignation sind die Reeder inzwischen zu drastischen Maßnahmen bereit. Heitmann zu Folge werden "mangels Alternativen" inzwischen auch private bewaffnete Sicherheitskräfte an Bord von Handelsschiffen eingesetzt. Mit bewaffneten Begleitern begeben sich die Reeder allerdings in eine rechtliche Grauzone: Wie ist die Rechtslage in dem Land, wo die Waffen an Bord gelangen? Wie in den Häfen, in denen die Schiffe anlegen? Immerhin waren Handelsschiffe seit knapp 100 Jahren nicht mehr bewaffnet. Auch deshalb setzen viele Reeder auf technische Lösungen.

Einiges davon konnte man kürzlich auf dem Hamburger Messegelände auf der zweiten MS&D besichtigen, der im Zweijahres-Rhythmus stattfindenden Maritime Security and Defense. Da bei frühzeitiger Ortung eines Angriffes das Schiff durch Vollgasfahrt oder durch geschickte Wendemanöver den Piraten ausweichen kann, dürften sich einige Reeder für das neue Infrarot-Ortungssystem eines französischen Herstellers interessieren. Das liefert Aufnahmen auch von Booten, die für herkömmliches Radar unsichtbar sind. Verkaufsingenieur Edouard Campana erklärt, damit ließen sich bis in eine Entfernung von sechs Kilometern auch kleine Boote oder Schlauchboote erkennen, wie sie von Piraten benutzt werden.

Dabei erzeugt das Ortungssystem auch ein Bild des entdeckten Objektes. Und zwar bei jedem Wetter, bei Tag und bei Nacht. In vier französischen Kriegsschiffen ist das gut 60 Zentimeter hohe zylinderförmige High-tech-Gerät bereits im Einsatz beim Kampf gegen die Piraterie. Jetzt will der Hersteller Kunden auch unter den Reedern gewinnen. Allerdings ist der Infrarot-Scanner rund 10 mal so teuer wie ein traditionelles Radarsystem.

Verletzungen durch Schallkanonen

Mit Wärmebildern Piraten entdeckenBild: DW

Deutlich billiger ist da der Rat der deutschen Bundespolizei: Die rät, alle Zugänge mit Stacheldraht zu verbauen. Am besten in Kombination mit Wasserkanonen. Dann wird das Ganze auch noch glitschig. Wer zu aktiver Gegenwehr willens ist, könnte über die Anschaffung einer neu entwickelten US-amerikanischen Schallkanone nachdenken. Der norddeutsche Schiffsausrüster Wolfgang Lehmann hat sie im Angebot. "Damit kann man einen Warnton abgeben, der von dem Frequenzbereich so unangenehm ist, dass die Leute möglichst von alleine das Weite suchen", so Lehmann gegenüber der DW.

Immerhin erzeugt das rund 10 Kilogramm schwere würfelförmige Aggregat eine Lautstärke von bis zu 150 Dezibel in einem Meter Entfernung. Bedenkt man, dass ein startender Düsenjet zwischen 100 und 110 Dezibel erzeugt, wird klar: Man bewegt sich hier im Bereich einer Waffe, die auch körperliche Schäden verursachen kann. Lehmann betont allerdings, die wichtigste Aufgabe des Aggregats sei das Übermitteln von Sprachnachrichten

Nicht den Helden spielen

Mit 150 Dezibel gegen Seeräuber: Schiffsausrüster LehmannBild: DW

Die Firma Leon-Training wiederum setzt da an, wo alle Prävention aufhört. Wenn nämlich trotz Infrarot-Ortungssystem, Stacheldraht, Wasser- oder Schallkanonen Piraten an Bord gelangt sind. Das Angebot der Berliner Firma: Verhaltenstraining bei Geiselnahme durch Piraten. Seit rund einem Jahr bietet Leontraining diese Trainings an, durchgeführt von ehemaligen Angehörigen deutscher Spezialkräfte aus Polizei und Militär.

Wenn Geschäftsführer Jascha Wozniak von den Erfordernissen in diesen Extremsituationen spricht, kommen immer wieder die gleichen Vokabeln vor:: Handlungskompetent bleiben und Panik vermeiden. Der Rat des durchtrainiert wirkenden Mittvierzigers: Wenn Piraten an Bord sind, nicht den Helden spielen. Damit könne nicht nur sich selbst schaden, sondern auch den anderen Seeleuten.

Am Ende aber, da sind sich die Experten einig, lässt sich das Problem der Piraterie vor Somalia nur an Land lösen.

Autor: Matthias von Hein
Redaktion:Henrik Böhme