Scharfschützen feuern auf Demonstranten
19. September 2011Scharfschützen des jemenitischen Langzeit-Präsidenten Ali Abdullah Salih haben am Montag (19.09.2011) in der Hauptstadt Sanaa mindestens 20 Menschen erschossen. Damit stieg die Zahl der getöteten Demonstranten seit Sonntagnacht auf fast fünfzig. Unter den Todesopfern vom Montag sind nach Angaben von Ärzten und Angehörigen auch zwei Kinder sowie drei desertierte Soldaten.
Proteste und Blutvergießen
Am Wochenende hatten sich die Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Polizei erheblich zugespitzt. Zum Beginn des Studienjahres stürmten am Samstag Tausende Menschen die größte Universität des Landes. Sie verbarrikadierten Verwaltungsgebäude und rissen Präsidenten-Bilder von den Wänden. "Kein Studieren und kein Unterrichten, bis der Präsident weg ist", riefen die Demonstranten, als sie auf den Campus der Universität von Sanaa marschierten. Am Sonntag weiteten sich die Proteste aus: Zehntausende Menschen forderten in den Straßen von Sanaa den Rücktritt Salihs. Dieser setzte seine Garde gegen die Protestbewegung ein: 26 Demonstranten wurden erschossen. Es war die blutigste Unterdrückung einer Protestkundgebung seit Monaten.
Ungeachtet der brutalen Gewalt der Präsidentengarde vergrößerten Salihs Gegner nach Angaben von Augenzeugen in der Nacht zum Montag ihre Zeltstadt auf dem "Platz des Wandels" (Taghier-Platz). Mehrere Tausend Menschen seien von dort aus protestierend durch die Straßen gezogen. Sicherheitskräfte hätten dann am Vormittag die Demonstranten mit Waffengewalt auseinandergetrieben und dabei mehrere Menschen erschossen. "Die Lage ist sehr angespannt", sagte ein Bewohner der Hauptstadt. Die meisten Geschäfte blieben geschlossen, ebenso die Schulen und Universitäten.
Reaktionen aus EU und USA – Oxfam warnt
Vor dem UN-Menschenrechtsrat riefen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und die USA die Regierung in Sanaa zu einem Ende der Gewalt und einer friedlichen Lösung des seit Monaten andauernden Konflikts auf. Die US-Gesandte beim Menschenrechtsrat, Eileen Chamberlain Donahoe, sagte, die US-Regierung sei besorgt über "die beunruhigenden Berichte über Gewalt" im Jemen. Es sei Zeit für einen politischen Wandel. Die Verantwortlichen für die blutige Niederschlagung der Proteste müssten zur Rechenschaft gezogen werden.
Die Hilfsorganisation Oxfam warnte unterdessen vor einer Hungerkatastrophe im Jemen. Die Wirtschaft des Landes sei durch die politische Krise gelähmt, erklärte Oxfam in einem am Montag veröffentlichten Bericht. Die Lebenshaltungskosten seien rasant gestiegen. Immer mehr Menschen litten dadurch unter Hunger und Mangelernährung. Frauen und Kinder seien dabei die ersten Opfer. Inzwischen sei ein Drittel der Bevölkerung von der wirtschaftlichen Not betroffen. Bei der Hälfte der Kinder wirke sich der Nahrungsmittelmangel bereits auf das Wachstum aus. Ein Viertel der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren leide unter schwerer Unterernährung.
Autokratischer Präsident eines "Armenhauses"
Die Republik Jemen gilt als "Armenhaus" Arabiens und hat ein gewaltiges Terrorproblem. Die Terror-Organisation Al-Kaida nutzt das von Bergen und Wüsten geprägte Land im Südwesten der Arabischen Halbinsel nach Medien- und Geheimdienstberichten als Rückzugsgebiet mit Ausbildungslagern. Das auch nach der Vereinigung von Nord- und Südjemen politisch gespaltene Land mit seinen zahlreichen Stämmen ist in weiten Teilen unregierbar. Viele Männer sind auch im Alltag mit Krummdolch und Gewehr bewaffnet. Die Regierung kämpft seit etwa zehn Jahren gegen Terroristen der Al-Kaida, die sich in einigen Stammesgebieten verschanzt haben. Luftangriffe der jemenitischen Armee auf Stellungen der Terroristen konnten jedoch die Extremisten nicht von dort vertreiben.
Der seit 1978 regierende Salih weigert sich seit Mai beharrlich, einen Plan der Golfstaaten für eine geordnete Übergabe der Macht zu akzeptieren. Die Protestbewegung, die ihre Demonstrationen im Februar begonnen hatte, fordert kategorisch seinen Rücktritt. Außerdem will sie Salih und mehrere hochrangige Funktionäre vor Gericht stellen. Salih hält sich seit einem Bombenanschlag im Juni, bei dem er schwer verletzt wurde, in Saudi-Arabien auf.
Autor: Martin Schrader (afp, dapd, dpa, rtr)
Redaktion: Ursula Kissel