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Dr. Caligari und mehr

Jochen Kürten9. Februar 2014

Die Filmfestspiele sind nicht nur ein Schaufenster des aktuellen Filmgeschehens. Jedes Jahr pilgern tausende Kinoexperten und Fans aus aller Welt nach Berlin, um restaurierte Schätze der Filmgeschichte zu sehen.

Filmszene aus Das Cabinet des Dr. Caligari (Foto: Berlinale)
Bild: Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden

Für manchen Berlinale-Besucher dürfte es der Höhepunkt des ganzen Festivals sein - die Wiederaufführung des Klassikers "Das Cabinet des Dr. Caligari" mit neu eingespielter Musik in der Berliner Philharmonie. Schon seit einigen Jahren hat die Berlinale es sich zur Aufgabe gemacht, Klassiker der Kinohistorie in einem besonderen Rahmen zu zeigen.

Diese Filme werden zuvor monatelang in mühevoller und aufwendiger Kleinarbeit restauriert. In diesem Jahr also wurde Robert Wienes expressionistischer Stummfilm "Das Cabinet des Dr. Caligari" gezeigt. Der US-amerikanische Komponist John Zorn hatte dafür eigens eine Musik für Orgel komponiert.

Film als Teil des nationalen Kulturerbes

Warum überhaupt richten Festivals wie die Berlinale ihr Augenmerk auch auf alte Filmschätze? "Filme sind Teil unseres Kulturgedächtnisses, unseres audiovisuellen Gedächtnisses", sagt die Filmhistorikerin Anna Bohn. "Filme geben uns Auskunft über die Geschichte, über die Wissenschaft und die Kunst der Zeit." Sie seien Teil des nationalen Kulturerbes. Diese Erkenntnis habe sich allerdings noch nicht allzu lange durchgesetzt: "Das Kino ist lange Zeit nicht anerkannt worden als Teil dieses Kulturerbes."

Berlinale

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"Das Cabinet des Dr. Caligari" gilt vielen Experten als einer der einflussreichsten Filme aller Zeiten. Mit seinen auch heute noch aufregend anzuschauenden Schwarz-Weiß-Szenerien und dem expressiven Spiel aus Licht und Schatten beeinflusste Wienes Drama Regisseure aus aller Welt. Federführend bei der Rekonstruktion und Restaurierung des Films war die Friedrich Wilhelm Murnau-Stiftung in Wiesbaden, zu deren Hauptaufgaben es gehört, große Werke der Filmgeschichte am Leben zu erhalten.

Moderne digitale Technik für altes Filmmaterial

"Das Cabinet des Dr. Caligari" zählt zweifellos zu den bedeutendsten Filmen im
umfangreichen Bestand der Murnau-Stiftung", sagt Stiftungs-Präsident Ernst Szebedits im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Umso unbefriedigender war es, trotz mehrerer Restaurierungsversuche in den '80er und '90er Jahren, keine qualitativ angemessene Fassung dieses expressionistischen Meisterwerkes zu haben." Das sei nun Dank der Entdeckung des Kameranegativs, also des Originalfilms, und modernster digitaler Technik gelungen.

Berühmte expressionistische Szenerie in "Das Cabinet des Dr. Caligari"Bild: Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden

Doch eine solche aufwendige Restaurierung ist selten, weil sie mit hohen Kosten verbunden ist. "Es erfordert sehr große Anstrengungen, einen Film fachgerecht zu restaurieren, da es eine besondere Sach- und Fachkenntnis der Restauratoren erfordert," sagt Anna Bohn der DW. "Auch die Tatsache, dass man die dazu notwendigen Filmmaterialien aus der ganzen Welt zusammenbringen muss, um genau zu analysieren, welche Filmkopien am besten erhalten sind". Dafür seien internationale Kooperationen von Nöten. Nicht nur die überlieferten Kopien, auch andere Dokumente aus der Entstehungszeit des Films, müssten gesichtet werden.

Geld aus der Wirtschaft für die Filmkunst

In Deutschland ist kaum Geld für solch teure Restaurierungen vorgesehen. Die Berlinale-Aufführung kam durch die Unterstützung der Bertelsmann-Stiftung zustande. "Aus eigener Kraft können Archive und Stiftungen die Kosten nicht bestreiten", sagt Szebedits: "Hier ist zwingend die öffentliche Hand gefordert." Das sei in vielen anderen Ländern wie zum Beispiel in Frankreich oder in Holland völlig selbstverständlich.

Auf diesen Missstand wies vor kurzem auch die "Petition zur Rettung des Filmerbes" hin: "Frankreich stellt für die Digitalisierung und Umkopierung seines Film-Erbes in einem Zeitraum von sechs Jahren 400 Millionen Euro bereit", heißt es da. In Deutschland hingegen stünden gerade einmal mal zwei Millionen jährlich für ein paar prominente Filmtitel zur Verfügung. Die Unterzeichner der Petition, Film- und Kulturwissenschaftler, fordern: "Wenn die Politik den fortschreitenden chemischen Zerfall unseres Filmbestandes weiter ignoriert, müssen wir in den kommenden Jahren mit dem Verlust der meisten Filme aus den letzten hundert Jahren rechnen."

Volker SchlöndorffBild: picture-alliance/dpa

Rarität von Volker Schlöndorff

Nicht nur der Caligari-Film lässt in diesen Tagen die Herzen der an Filmhistorie interessierten Besucher in Berlin höher schlagen. In der Reihe "Berlinale Classics" wird ein aus rechtlichen Gründen lange in den Archiven verschlossener Film von Volker Schlöndorff aufgeführt, die Bertold Brecht-Verfilmung "Baal".

In der großen filmhistorischen Retrospektive geht es 2014 um den Umgang der Regisseure und Kameraleute mit dem Licht. "Aesthetics of Shadow. Lighting Styles 1915-1950" heißt die Reihe, die vor allem japanische, US-amerikanische und deutsche Titeln vereint. Kuratiert wurde die Filmschau von japanischen und amerikanischen Filmwissenschaftlern und Rainer Rother, Leiter der Stiftung Deutsche Kinemathek.

Läuft in der Retrospektive 2014: "The Flesh and the Devil" von Clarence Brown"Bild: Deutsche Kinemathek, Berlin, © 1982 Photoplay Productions

Rother und seine Kollegen stellten sich folgende Frage: "Was passiert in dem Moment, in dem die Beleuchtung nicht mehr als gegeben hingenommen wird, sondern technische Möglichkeiten es den Filmkünstlern erlauben, das Set und die Charaktere bewusst zu modellieren?" Die Antwort geben Filmklassiker von Friedrich Wilhelm Murnau, Josef von Sternberg oder des japanischen Regisseurs Yasujiro Ozu.

Globalisierung der Filmhistorie

Auch hier kommt man als Betrachter zu dem Ergebnis: Nichts entwickelte sich von ganz allein in den nationalen Kinematografien. Die Akteure vor und hinter den Kameras verfolgten auch schon in der Frühzeit des Kinos sehr genau, was in anderen Ländern geschah. "Wir wollten die komplexen, wechselseitigen Einflüsse auf transnationaler Ebene aufzeigen", sagt Rother. Die Globalisierung hielt in der Filmgeschichte früh Einzug. Und so finden sich auch heute noch im modernen Kino immer mal wieder Spuren des deutschen Filmklassikers "Das Cabinet des Dr. Caligari".

Zum weiterlesen: Anna Bohn: "Denkmal Film", 2 Bände, "Der Film als Kulturerbe" und "Kulturlexikon Filmerbe", Böhlau Verlag, Köln 2013, 840 Seiten, ISBN: 978-3412209902, das Buch wurde vor kurzem zum "Filmbuch des Jahres" gewählt.

Rainer Rother hat gemeinsam mit Connie Betz und Julia Pattis das Buch zur Berlinale-Retrospektive herausgegeben: "Ästhetik der Schatten, Filmisches Licht 1915-1950", Schüren Verlag 2014, 160 Seiten, 978 89472 872 4.

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