Scheidt: "Rio 2016 kann Träume erwecken"
3. Januar 2016DW: Robert Scheidt, seit zwanzig Jahren segeln Sie an der internationalen Spitze, wurden zweimal zum "Weltsegler des Jahres" gewählt und sind zudem noch der erfolgreichste Olympiateilnehmer in Brasiliens Geschichte. Was ist ihr Erfolgsrezept?
Robert Scheidt: Sich so lange an der Spitze zu halten ist nicht leicht! Wenn du das erste Mal gewinnst erwarten alle, dass du immer gewinnst. Und man selbst verlangt sich auch viel ab. Man muss die Art des Trainings verbessern, neue Sachen ausprobieren, sich ständig weiterentwickeln. Man darf nie stillstehen und denken, man sei der Beste, denn in diesem Moment überholt dich die Konkurrenz! Am Anfang meiner Karriere hätte ich nie gedacht, dass ich es mal zu so vielen Titeln bringen würde. Jetzt werde ich bei meinen sechsten Olympischen Spielen starten, das ist eine große Erfüllung!
Sie werden diesmal in Ihrer Heimat bei den Olympischen Spielen antreten. Was ist dabei anders als sonst?
Alles ist anders. Es ist ein ganz vielschichtiges Gefühl: Es gibt eine große Erwartungshaltung vor allem gegenüber den Athleten, die die Chance auf eine Medaille haben bzw. die Brasilien bereits als Medaillenträger repräsentieren. Wir müssen diese Erwartungshaltung, diesen Druck als Ansporn nutzen, als etwas Positives und das in zusätzliche Energie umwandeln! Wenn ich die brasilianische Flagge sehe, die Christusstatue und den Zuckerhut, dann treibt mich das an!
Mit 43 Jahren werden Sie der Älteste im brasilianischen Segelteam sein und vielleicht sogar der Älteste der gesamten brasilianischen Delegation. Fühlen Sie sich noch fit für Olympia?
Es ist auf jeden Fall eine große Herausforderung! Mit der Zeit braucht man länger, um sich zu erholen. Heutzutage muss ich intelligenter trainieren, mit mehr Qualität und weniger Quantität. Ich muss mir die Kraft besser einteilen. Andererseits ist Segeln ein Sport, bei dem es viel auf Erfahrung ankommt: bestimmte Situationen zu kennen, schon an fünf Olympiaden teilgenommen zu haben, diese Stressmomente erlebt zu haben. Das kann sich für mich positiv auswirken. Natürlich werde ich gegen Jungs segeln, die zwanzig Jahre jünger sind als ich. Aber das sehe ich als Privileg, dass ich diesen Sport immer noch auf so einem hohen Niveau machen kann. Ich weiß, dass ich heute nicht mehr auf meinem körperlichen Höhepunkt bin, aber ich bin immer noch wettbewerbsfähig!
Diesmal kein Favorit
Ihr erstes Olympiagold haben Sie 1996 in Atlanta geholt, das ist dann genau 20 Jahre her. Wie schätzen Sie Ihre Chancen diesmal ein?
Das sind die ersten Olympischen Spiele, wo ich nicht als Favorit ins Rennen gehe - unglaublich! Seit meiner ersten Olympiateilnahme 1996 bin ich jedes Mal als Favorit auf die Goldmedaille gestartet. Außer vielleicht 2008, wo man bei mir eher auf Silber getippt hat. Das ist diesmal also anders. Aber das Segeln hängt von vielen Faktoren ab: von der Strömung, vom Wind, manchmal segelt man in, manchmal außerhalb der Bucht. Es ist ein sehr komplexer Sport. Deshalb gewinnt nicht immer der Favorit. Das ist nicht wie im Schwimmen oder bei der Leichtathletik, wo man genau weiß, wer in den Testläufen welche Zeit geschafft hat. Ich kann noch einiges verbessern bis Olympia, aber ich bin auf dem Weg. Jetzt ist das Wichtigste eine Verletzung zu vermeiden, auf meinen Körper zu achten, um gut bis dahin zu kommen. Und dann will ich die Chance zu kämpfen auch nutzen!
Was unterscheidet Rio de Janeiro von den vorherigen Austragungsorten?
Was hier in Rio anders sein wird ist, dass man den ganzen Sport direkt in der Stadt machen kann. Das ist toll, weil das Volk so alles gut mitverfolgen kann! Das gilt nicht nur für die bekanntesten Sportarten wie Schwimmen und Leichtathletik, sondern auch für die Segelregatten, Beach-Volleyball oder Tennis. Das sind Disziplinen, die manchmal abgelegen vom Zentrum stattfanden. Das ist also ein großer Vorteil diesmal. Ganz zu schweigen vom wundervollen Anblick dieser Stadt zwischen Bergen und Meer. Diese Spiele werden der ganzen Welt im Gedächtnis bleiben. Sie werden vielleicht nicht so luxuriös und ausschweifend wie in China, aber bestimmt sehr besonders, durch die Energie des Volkes und die Schönheit der Stadt!
Das olympische Segelrevier, die Guanabara-Bucht, steht wegen der starken Verschmutzung durch Abwässer und Müll international heftig in der Kritik. Was halten Sie von den sportlichen inklusive gesundheitlichen Bedingungen hier?
Ich glaube, ganz so schlimm, wie in den Medien teilweise dargestellt, ist es nicht. Während der Spiele soll der treibende Müll ja rausgefischt werden, der könnte sonst die Regatten behindern durch Plastiktüten und andere Gegenstände. Wenn das gemacht wird, haben wir, denke ich, ausreichende Bedingungen, um die Wettbewerbe durchzuführen. Und was die Wasserqualität anbelangt: Es ist nicht so, dass sich jeder, der hier segelt, mit einer Krankheit ansteckt. In Sydney hatten wir Angst, dass die Haie uns anfallen, hier gibt es jetzt vielleicht das multiresistente Superbakterium… (lacht) Bis jetzt ist noch nichts direkt Nachweisliches passiert, glaube ich, und ich denke, die Verantwortlichen kontrollieren das.
Botschaft für das Volk
Was erwarten Sie von den Spielen in ihrem Heimatland?
Die Olympischen Spiele haben die Macht, dem brasilianischen Volk eine Botschaft zu hinterlassen: Das ist nicht nur das Land des Fußballs. Das ist ein Land, in dem es viele wichtige Sportarten gibt. Und ich hoffe, dass Brasilien ein gutes Ergebnis erzielt und viele Medaillen holt! Das wirkt sich auch auf die Jugend aus. Olympia kann eine neue Generation von Sportlern inspirieren und ihnen zeigen, welche Kraft der Sport hat. Es kann in ihnen einen Traum erwecken und Idole schaffen, die sie inspirieren. So war das auch bei mir.
Ihr Name verrät es ja schon: Ihre Vorfahren kamen aus Deutschland...
Mein Opa kam wie viele Deutsche nach dem ersten Weltkrieg nach Brasilien. In Sao Paulo hat er dann meine Oma kennengelernt, geheiratet und sechs Kinder bekommen. Mein Vater, der Fritz, war eines davon und ist schon in Brasilien zur Welt gekommen. Ich bin also die dritte Generation. Zu Deutschland habe ich auf jeden Fall ein besonderes Verhältnis. Ich war zum Beispiel schon mehr als 15 Mal bei der Kieler Woche und möchte da auch immer wieder hin! Es gefällt mir sehr gut in Deutschland, ich habe dort auch viele Freunde.
Wie geht ihr Leben nach Olympia weiter?
Das sind vermutlich meine letzten olympischen Wettkämpfe. Danach werde ich wahrscheinlich nochmal andere Bootsklassen ausprobieren und sehen, was ich professionell noch für Möglichkeiten im Segeln habe. Und ich werde mich anderen Dingen widmen - zum Beispiel meiner Familie. Ich habe eine tolle Ehefrau und mittlerweile zwei Kinder. Olympische Medaillen sind wichtig, jede von ihnen hat ihre Geschichte, sie werden aufbewahrt. Aber eine Familie zu haben ist die wichtigste Sache der Welt.
Robert Scheidt wurde 1973 in Sao Paulo geboren. Mittlerweile lebt der Brasilianer mit seiner Familie am Gardasee. Der 14-fache Segelweltmeister wird im Sommer bei den Olympischen Spielen in Rio in seiner Paradedisziplin der Einhandklasse "Laser" starten.
Das Interview führte Bianca Kopsch