Scheidung auf italienisch
27. Juni 2008Dort, wo bei geschiedenen italienischen Frauen einst der zeitlos goldene Ehering steckte und die Haut ein bisschen heller ist, prangt jetzt ein modisch breiter Silberring mit Glitzerstein. Das Glitzern sagt: Hallo, es gibt mich trotzdem noch. Mutig. "Geschieden sein" – das ist für eine italienische Frau über 40 nämlich gleichbedeutend mit "gescheitert sein". Und zwar vollständig.
Selbst wenn sie eine Firma leitet, geschäftlich erfolgreich um den Erdball düst, sechs Sprachen spricht und ehrenamtlich ein halbes Dorf in Afrika unterstützt: sie ist eine Geschiedene, eine "divorziata" und das klingt wahrscheinlich nicht zufällig so wie vom Wolf gefressen werden.
Scheidung ist immer ein Drama
Es gibt zwei Kategorien von Geschiedenen: die mit Kindern, das sind die Sitzen gelassenen, die gesenkten Hauptes ins Haus der Eltern zurückkehren und den Rest ihres Lebens über die treulosen Tomaten alias italienische Ehemänner schimpfen. Und die ohne Kinder, das sind die eiskalten Karrierefrauen, die Heim und Herd vernachlässigen, um ihr Ego zu befriedigen während ihr Angetrauter einsame Abende vor dem Fernseher verbringt bis sich eine Arbeitskollegin oder die Nachbarin seiner erbarmt.
Klischés? Nein, knapp zusammengefasste Wahrheiten sind das, über die antiquierten Vorstellungen, die in vielen italienischen Köpfen auch im Jahr 2008 noch herumspuken. Dabei steigen auch in Italien die Scheidungsraten rapide. Trotzdem: eine Scheidung ist immer ein Drama. Heute zum Glück keines mehr mit tödlichem Ausgang.
Scheidung: Ja, geschieden sein: Nein
"Scheidung auf italienisch", ein berühmter Filmtitel aus dem Jahr 1961, wird nämlich auch heute noch hin und wieder als nettes Synonym für den Meuchelmord am Ehepartner gebraucht. Mord statt Scheidung, Mord, weil Scheidung gesetzlich nicht vorgesehen war. Erst 1974 haben die Italiener in einem Volksentscheid die Aufnahme der Scheidung ins Familienrecht erzwungen. "Sich Scheiden lassen" ist also gesellschaftlich noch in Ordnung, bloß geschieden sein, das will dann doch niemand sein. Das soll einer begreifen.