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Politik

Scheitert das US-Taliban-Abkommen?

Masood Saifullah
9. April 2020

Die Umsetzung des Friedensabkommens zwischen den USA und den Taliban kommt kaum voran. Experten warnen vor vorzeitigem Abzug der US-Truppen, wenn Kabul und die Taliban keine Fortschritte machen.

Afghanistan Haftentlassung von 100 Taliban
Bild: ONSC

Am 29. Februar schlossen die USA und die radikal-islamischen Taliban in einem feierlichen Rahmen ein Friedensabkommen. Aber die meisten Vereinbarungen sind bisher nicht in die Tat umgesetzt worden. Am Montag (06.04.2020) wurden Verhandlungen zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban über einen im Abkommen vereinbarten Gefangenenaustausch abgebrochen.

5.000 Taliban sollten freikommen, sowie im Gegenzug 1.000 verschleppte Soldaten. Geplant war, dass die Gefangenen spätestens bis zum 10. März auf freien Fuß kommen sollten, und zwar als Vorbedingung für die Aufnahme offizieller Gespräche zwischen der afghanischen Regierung und der militanten Gruppe.

Quadratur des Kreises

"Nichts ist bisher geschehen", sagte Suhail Shaheen, Sprecher der Taliban in Katar, gegenüber der DW. "Die Regierung in Kabul findet immer wieder neue Ausreden, um die Freilassung unserer Gefangenen zu verschieben. Wenn nicht alle unsere Gefangenen auf der Grundlage des US-Taliban-Abkommens freigelassen werden, werden die innerafghanischen Gespräche nicht beginnen."

Afghanische Regierungsvertreter stellen gegenüber den Taliban klar: Die Gefangenen würden erst dann freikommen, wenn die Taliban zusagten, die Sicherheitskräfte nicht mehr anzugreifen. Die Taliban sagen wiederum, die Gewalt werde erst dann reduziert, wenn die Friedensgespräche zwischen Kabul und den Taliban offiziell beginnen, also nach der Freilassung der 5.000 Taliban-Anhänger.

Am Mittwoch (08.04.) wurden 100 Taliban-Anhänger freigelassenBild: ONSC

Kommandeure bleiben in Haft

Am Mittwoch (08.04.2020) hat die Regierung 100 inhaftierte Taliban aus der Haftanstalt Parwan in Bagram entlassen. Aber 15 hochrangige Taliban, deren Freilassung die militante Gruppe gefordert hatte, sind nicht unter den Freigelassenen. Kabul argumentiert, dass die Freiheit dieser Kommandeure eine Sicherheitsbedrohung darstelle.

"Wir können die Mörder unseres Volkes nicht freilassen", sagt Matin Bek, Mitglied des Verhandlungsteams der Regierung. "Wir wollen nicht, dass sie zurück auf das Schlachtfeld gehen und eine ganze Provinz erobern."

USA und Taliban unterzeichneten Friedensabkommen ohne die Regierung in Kabul Bild: picture-alliance/AP Photo/H. Sayed

Unausgereifter Deal

Die Regierung Afghanistans war nicht an den Verhandlungen über das Abkommen zwischen den USA und den Taliban beteiligt, da die Taliban direkte Gespräche mit Kabul abgelehnt haben. Insofern sieht sie sich auch nicht an die Vorbedingungen für innerafghanische Verhandlungen gebunden. Beide Parteien geben sich nun gegenseitig die Schuld. Das größte Problem, so Michael Kugelman, Südasien-Experte am Internationalen Woodrow Wilson Center in Washington, sei der US-Taliban-Deal selbst. "Das Abkommen zwischen den USA und den Taliban wollte den Mond vom Himmel holen. Tatsächlich ist das alles unausgereift", sagte Kugelman im Interview mit der DW. Auch die Freilassung der Taliban-Kämpfer sieht er kritisch. Die Folge: "Keiner ist derzeit zu Kompromissen bereit."

Die Taliban beschuldigen außerdem auch Washington, das Abkommen nicht zu achten. Militante Kämpfer seien trotz des Waffenstillstandsabkommens ins Visier genommen worden. "Die US-Truppen dürfen sich nach dem Abkommen nur in bestimmten Fällen und Zeiten selbst verteidigen, unsere Mudschaheddin nicht angreifen oder nächtliche Razzien durchführen", sagte Taliban-Sprecher Shaheen und behauptete, diese Bedingungen seien mehrfach verletzt worden. "Solche Aktionen könnten dem Abkommen schaden."

Ghani (l.) möchte Präsident bleiben, Abdullah möchte Präsident werdenBild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Ein Land, zwei Präsidenten

Erschwerend kommt außerdem hinzu: Die Regierung in Afghanistan ist derzeit vor allem mit sich selbst beschäftigt. Die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen vom Oktober 2019 wurden erst im Februar 2020 bekanntgegeben. Zwar wurde der bisherige Amtsinhaber Ashraf Ghani nach amtlichen Ergebnissen mit 50,64 Prozent der Stimmen bestätigt, aber sein Herausforderer Abdullah Abdullah beansprucht das Präsidentenamt ebenfalls für sich.

Die Vermittlungsbemühungen Washingtons, Ghani und Abdullah zusammenzubringen, sind gescheitert. Trotz Drohungen von US-Außenminister Mike Pompeo, die Entwicklungshilfe für Afghanistan um bis zu eine Milliarde US-Dollar zu kürzen, wenn es zu keiner Einigung zwischen beiden Präsidenten kommt, gab es keine Anzeichen für Annäherungen. Praktisch bedeutet das, dass es momentan zwei Präsidenten in Kabul gibt.

Taliban-Sprecher Shaheen Bild: picture-alliance/AP Photo/A. Zemlianichenko

Ghani geht nicht auf Abdullah zu, da er seine Macht in Gefahr sieht, wenn der formale Friedensprozess mit den innerafghanischen Gesprächen beginnt. Entweder weil dann eine Interimsregierung den Prozess organisieren würde oder es ein Neuaufteilung der Macht geben könnte, bei der Ghani womöglich nicht mehr an der Spitze des Staates steht. "Aus diesen Gründen wird Ghani alles in seiner Macht Stehende tun, um seine Position als Präsident in dieser unsicheren Zeit zu sichern. Das bedeutet, gegenüber Abdullah keinen Millimeter nachzugeben", sagte Kugelman.

Naseer Weyar, unabhängiger Beobachter in Kabul, ist überzeugt, dass Ashraf Ghani den Schlüssel für einen Fortschritt im Friedensprozess in der Hand hält. "Wenn Ghani einen Weg findet, eine Einigung mit Abdullah zu erzielen und die USA an seiner Seite zu halten, könnte der Friedensprozess vorankommen", sagte er der DW.

US-Soldaten in AfghanistanBild: picture-alliance/AP Photo/Operation Resolute Support Headquarters/Sgt. Justin T. Updegraff

US-Alleingang möglich

Angesichts der verfahrenen Lage könnte US-Präsident Donald Trump, dessen Unberechenbarkeit berüchtigt ist, die US-Truppen aber auch einfach nach Hause beordern. Das hat er immer wieder angekündigt.

Das wiederum würde bedeuten, dass die USA ihre Vermittlungsbemühungen endgültig aufgeben, sagte Kugelman. Die grassierende Corona-Pandemie bietet Trump einen Idealen Vorwand: "Trump könnte erklären, dass die US-Truppen nicht nur der Gefahr durch Angriffe der extremistischen Taliban, sondern auch einer tödlichen Pandemie ausgesetzt sind." In Afghanistan sind nach Statistik der Johns Hopkins University vom Mittwoch (08.04.2020) 444 positive Corona-Fälle registriert, mit 14 Toten. Die Dunkelziffern dürften deutlich höher liegen.