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PolitikKroatien

Kroatien bejubelt Schengen-Beitritt

Sabina Fati Bukarest | Alexandar Detev Sofia | Dalibor Dobric Zagreb
9. Dezember 2022

Kroatinnen und Kroaten feiern die Aufnahme ihres Landes in die Schengen-Zone zu Beginn des Jahres 2023. In Bulgarien und Rumänien ist man hingegen enttäuscht. Kritik an Regierungen in Sofia und Bukarest.

Warteschlange am Grenzübergang Macelj zwischen Kroatien und Slowenien
Ab 1.01.2023 ein Bild von gestern: Stau an einem Grenzübergang zwischen Kroatien und SlowenienBild: Stipe Majic/AA/picture alliance

"Endlich!" - das war unisono die Reaktion von Politik, Medien, Wirtschaft, aber auch ganz normaler Bürgerinnen und Bürger in Kroatien, nachdem am 8.12.2022 bekannt geworden war, dass das jüngste EU-Land ab dem 1.01.2023 Mitglied der Schengen-Zone sein wird.

Was Wunder: Kroatiens Weg nach Schengen war langwierig und alles andere als einfach. Nachdem das Land 2013 in die EU aufgenommen worden war, begann die Regierung in der Hauptstadt Zagreb 2016 den Schengen-Prozess. Doch obwohl die dort angeführten 281 Bedingungen seit einem Jahr erfüllt sind, gab es bis zum letzten Moment Befürchtungen, dass Österreich oder Ungarn den Beitritt Kroatiens wegen migrationspolitischer Bedenken doch noch blockieren könnten.

Zum 1.01.2023 werden nun die Schlagbäume an den 73 Grenzübergängen Kroatiens zu den benachbarten Schengen-Staaten entfernt. Für Kroatinnen und Kroaten, die ihr Land nicht häufig verlassen, ist das schön - wirklich zum Jubeln aber ist denjenigen Landsleuten zu Mute, die die Grenze jeden Tag überqueren müssen, um zur Arbeit zu kommen.

Ana aus Zagreb zum Beispiel arbeitet für ein Unternehmen in Slowenien. Sie ist überglücklich über die Perspektive, in Zukunft nicht mehr jeden Morgen an der Grenze warten und dabei befürchten zu müssen, zu spät zur Arbeit zu kommen. Und Petar, der an der kroatischen Adria lebt und ebenfalls in Slowenien arbeitet, feiert regelrecht, dass er während der anstehenden Tourismus-Saison 2023 nicht mehr jeden Freitag frei nehmen muss, um kilometerlangen Staus an der Grenze zu entgehen.

Ab 1.01.2023: Freie Fahrt für alle Bürgerinnen und Bürger der Schengen-Staaten an Kroatiens Adria-Küste Bild: Lenz G./imageBROKER/picture alliance

In Feierlaune sind auch Kroatiens Unternehmer und ihre Angestellten, besonders in der Transportbranche und im Tourismus. "Die Wartezeiten an den Grenzübergängen haben den Warentransport enorm verteuert", erklärt Wirtschaftsanalyst Luka Brkic im Gespräch mit der DW. Zudem prognostizierten Studien, dass Schengen ein wichtiges Signal an Wochenend- und Kurzurlauber sende: "Kroatien ist ein Auto-Ziel, von Österreich oder Ungarn aus ist man in ein paar Stunden am Mittelmeer. Aber die Befürchtung, wegen der Grenze viel länger unterwegs sein zu müssen, schreckte bisher viele Besucher ab."

Enttäuschung in Bulgarien

"Ich bin sehr enttäuscht", kommentiert Stanislav Savov das Scheitern der Schengen-Aspirationen Bulgariens am Widerstand der Niederlande und Österreichs. Der 29-jährige Bulgare hat in Österreich studiert und kennt sich mit der politischen Situation dort gut aus. Er ist überzeugt, dass die Haltung der Regierung in Wien innenpolitische Gründe hat.

Hat den Schengen-Beitritt Bulgariens mit verhindert: Österreichs Bundeskanzler Karl NehammerBild: Maxim Shemetov/REUTERS

"Die abnehmende Unterstützung für seine Partei zwingt Bundeskanzler Karl Nehammer zu einer härteren Gangart angesichts des tatsächlich bestehenden Migrationsdrucks", erklärt Savow der DW. Aber gerade angesichts dieser Situation bräuchten Staaten mit einer langen EU-Außengrenze wie Bulgarien "Hilfe, nicht Verweigerung".

Es geht nicht nur um Migration

Vessela Tscherneva, die Leiterin des European Council on Foreign Relations in der bulgarischen Hauptstadt Sofia meint, dass die Migration nicht der einzige Grund für die Ablehnung sei: "Nur fünf bis sechs Prozent der Asylbewerber reisen über Bulgarien in die EU ein. Tatsächlich geht es um Bulgariens Probleme mit Rechtsstaatlichkeit und der Bekämpfung der Korruption."

Vessela Tscherneva leitet den European Council on Foreign Relations in der bulgarischen Hauptstadt SofiaBild: BGNES

Tscherneva meint, die bulgarische Politik müsse entschiedene Schritte unternehmen, um endlich das Vertrauen der westlichen EU-Partner zu gewinnen: "Rumänien hat auch große Probleme mit der Korruption - aber das Land hat viel größere Erfolge im Bereich der Rechtsstaatlichkeit erzielt als wir hier in Bulgarien".

Stanislav Savov besorgt etwas anderes: "Angesichts der abnehmenden Unterstützung der bulgarischen Bevölkerung für die EU und des Erfolgs der russischen Propaganda in unserem Land ist die Blockade des Schengen-Beitritts Bulgariens nicht gut für die Europäische Union."

Braucht Rumänien Schengen nicht?

"Rumänien braucht Schengen nicht", sagt der 51-jährige Nicolae Dan. Das Nein zum Beitritt könnte seiner Meinung nach sogar positive Folgen für sein Land haben. "Jetzt könnte unser Land auch den europäischen Energiemarkt verlassen", erklärt der Beamte aus der Hauptstadt Bukarest, "denn der bringt unseren Unternehmen vor allem Nachteile". Europa erwarte offenbar, "dass wir auf die Knie fallen und um Schengen betteln", fügt Dan verärgert hinzu.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser beim EU-Innenministertreffen am 8.12.2022Bild: KENZO TRIBOUILLARD/AFP

Auch die 29-jährige Anwältin Florina Enciulescu empfindet die Ablehnung der Schengen-Aufnahme als "Ungerechtigkeit". Sie glaubt, Europa habe Angst vor Auswirkungen von Russlands Krieg in der Ukraine auf sich und versuche deswegen, "seine Grenzen zu isolieren". Trotzdem bewertet sie die Aufrufe einiger rumänischer Politiker, nun österreichische Banken und den ebenfalls österreichischen Öl-, Gas- und Chemiekonzern OMV zu boykottieren, als übertrieben: "Österreich hat als Schengen-Mitglied das Recht, unseren Beitritt abzulehnen."

Boykott-Aufrufe gegen österreichische Firmen

Auch der 57-jährige Ingenieur Ovidiu Vasile ist gegen einen Österreich-Boykott. Er ist weniger von den Politikern in Wien enttäuscht als von denen in Bukarest: "Unsere Politik hat es in 30 Jahren nicht geschafft, die strukturellen Reformen umzusetzen, die für den echten Fortschritt unseres Landes in Richtung Europa nötig gewesen wären."

Der Politikwissenschaftler Cristian Preda war 2009-2019 Abgeordneter der EVP im EuropaparlamentBild: EU Audiovisusal Service

Cristian Preda, Dekan der Fakultät für Politikwissenschaften an der Universität Bukarest und 2009-2019 Abgeordneter der EVP-Fraktion im Europaparlament, wirft der rumänischen Politik vor, "nicht rechtzeitig Antworten auf Fragen vorbereitet zu haben, die längst von diversen Schengen-Staaten gestellt worden waren." Rumäniens Politiker seien erst aufgewacht, als klar wurde, dass nur Kroatien aufgenommen werden würde - und hätten dann versucht, "die russische Aggression in der Ukraine als Vorwand zu nutzen, um den Schengen-Zug doch noch zu kriegen, obwohl der längst Richtung Zagreb abgefahren war".

Anti-österreichische Aktionen empfindet der Politikwissenschaftler und Ex-Politiker als unangebracht: "Man ist zu weit gegangen, sogar rumänische Parlamentarier, inklusive Europa-Abgeordnete sowie Minister drohten mit Boykotts oder sogar der Festnahme von Direktoren österreichischer Firmen in Rumänien. Das zeigt, dass die Vertreter Rumäniens auch 15 Jahre nach dem EU-Beitritt die Entscheidungsmechanismen der europäischen Institutionen im Grunde genommen nicht begriffen haben."

 

Da im Artikel an einer Stelle betroffene Schengen-Staaten mit direkten Nachbarländern vermischt wurden, wurde die entsprechende Stelle am 9.12.2022 geändert. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.