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Politik

Schiebt Griechenland illegal Flüchtlinge ab?

Florian Schmitz | Efthymis Angeloudis
20. Januar 2020

Flüchtlinge in Griechenland berichten von massiver Gewalt und illegalen Abschiebungen in die Türkei. Die griechische Regierung hüllt sich darüber in Schweigen.

Griechenland Illegale Rückführungen
Gräber von Menschen in Griechenland, die die Flucht nicht überlebt haben. Bild: DW/F. Schmitz

Nur wenige Grad über Null ist das Wasser des Evros im Januar. Der Fluss bildet die natürliche Grenze zwischen Griechenland und der Türkei. In der Nacht und am Morgen hängen dicke Nebelschwaden über dem Wasser, die Uferböschungen sind vereist.

Getrübt wird die Winteridylle derzeit vom nicht aufhörenden Strom der Flüchtenden, die die gefährliche Route über den Fluss wählen, um nicht in einem der berüchtigten Hot-Spots auf den Inseln Lebos, Samos oder Chios zu landen. Das bezahlen einige mit ihrem Leben. "Ich habe schon Dutzende Tote aus dem Fluss gezogen," berichtet ein Fischer am Evros-Delta und zeigt auf seinem Handy Fotos von Wasserleichen. Einige, die die Überfahrt bei Nacht und Nebel überleben, erfrieren bei den eisigen Temperaturen am Ufer auf griechischer Seite, wenn sie sich erschöpft und hungrig vor der Grenzpolizei verstecken.

Leben an der EU-Außengrenze

Das Gebiet um den Fluss herum ist militärische Sperrzone. Nur die Bauern der Region, die ihre Felder am Evros-Ufer bewirtschaften, haben Zugang. "Zum Fluss kommst du nicht runter, wenn du kein Auto mit hiesigem Kennzeichen hast" , erzählt ein Bauer im kleinen Dorf Nea Vissa. "Meine Tochter hatte mal einen Mietwagen, ist runter zu unserem Feld gefahren und hatte sofort die Polizei und die Armee hinter sich."

Die Grenzregion zwischen Griechenland und der Türkei ist weiträumig abgesperrt. Bild: Efthymis Angeloudis

Die Menschen am Evros kennen das Leben an der Grenze. Der Dauerkonflikt mit der Türkei ist allgegenwärtig: "Wir werden regelmäßig von türkischen Grenzsoldaten bedroht, die behaupten, dass wir in ihre Gewässer eindringen, doch das stimmt nicht" , klagt der Fischer. Das Leben an der EU-Außengrenze aber bringt nicht nur politische Spannungen mit sich. Derzeit droht vor allem die Situation mit den Flüchtlingen zu eskalieren.

Spannungen auf der Flucht

Die Menschen am Evros leben seit dem ersten Golfkrieg in den 1990er Jahren mit den Flüchtlingen und wissen, dass hier regelmäßig Menschen am und im Evros sterben. Doch die Situation habe sich verschlimmert, berichtet Marianthi Tasouli aus dem Dorf Mikro Dereio. Immer habe man den Menschen mit Essen und Kleidung geholfen, auch heute noch. Inzwischen aber hätten viele Einheimische Angst.

"Meinen Sohn haben vier Männer mit dem Messer bedroht und ihm gesagt, er solle sie ins nächste, größere Dorf bringen", berichtet Tasouli. Im Nachbardorf Roussa erzählt ein Hausbesitzer, dass Flüchtlinge regelmäßig in seinem Haus übernachtet hätten, als er nicht vor Ort war: "Sie haben Feuer gemacht, um sich aufzuwärmen und dabei Schäden angerichtet." Andere erinnern sich an Diebstähle und Übergriffe. Aber gibt es auch positive Berichte. Cafébesitzer Dimitris Kazantzis aus Nea Vissa war eines morgens überrascht, als er einen Zettel und 10 Euro vor seinem Laden fand: "Flüchtlinge haben Holz für ein Feuer von mir genommen und dafür bezahlt."

Illegale Abschiebungen aus Griechenland?

Warum aber stellen sich Menschen auf der Flucht nicht den Behörden, die laut Gesetz dazu verpflichtet sind, jeden Asylfall zu prüfen? Unabhängige Nichtregierungsorganisationen berichten von mitunter ausufernder Gewalt und illegalen Abschiebungen - sogenannte Push Backs - zurück in die Türkei durch die griechische Polizei. Demnach werden Flüchtende daran gehindert, griechische Hoheitsgebiete zu erreichen. Oder sie drängen Asylsuchende, die bereits von der griechischen Polizei in Gewahrsam genommen wurden, in Nacht- und Nebelaktionen zurück über den Fluss ins Nachbarland.

Entlang des Grenzflusses Evros finden sich immer wieder persönliche Gegenstände von Flüchtlingen. Bild: DW/F. Schmitz

Die Anwohner fühlen sich allein gelassen - und schweigen zum aggressiven Verhalten der Behörden: "Jeder hier kennt die Lieferwagen ohne Kennzeichen der Polizei und jeder weiß, dass Flüchtende illegal abgeschoben werden", erzählt eine Cafébesitzerin im Dorf Praggi, in unmittelbarer Nähe zum Fluss. "Ich habe es erst beim vierten Versuch geschafft," , berichtet ein 19-jähriger Afghane in Thessaloniki. "Die ersten beiden Male hat die türkische Polizei mich erwischt. Beim dritten Mal die Griechen. Sie haben mich geschlagen, mein Handy zerstört und dann zurück in die Türkei geschickt."

Erst im Dezember veröffentlichte das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" Aufnahmen von Sicherheitskameras, die die sogenannten illegalen Push-Backs durch maskierte Männer am Grenzfluss Evros dokumentieren. Ein Frontex-Beamter, der an der griechisch-türkischen Grenze patrouilliert, hält das vom Spiegel geprüfte Material für glaubwürdig, wie er in einem informellen Gespräch mit der DW mitteilt.

Unabhängige Oranisationen fordern Aufklärung

 "Oft werden die Menschen nach ihrer Ankunft in Griechenland von der Polizei in einem Lieferwagen an einen Ort gebracht, wo teilweise 60 bis 100 Menschen auf einmal festgehalten werden," erklärt Selma Mesic vom "Mobile Info Team" in Thessaloniki. Die Organisation interviewt Flüchtlinge mit Hilfe von Freiwilligen und dokumentiert die illegalen Abschiebungen. "Am Abend werden sie zum Fluss gefahren. Flüchtende haben uns erzählt, dass sie dort von maskierten Männern erwartet wurden, die sie in Boote verfrachteten und dann auf den Fluss hinausgestoßen haben." 

Im Dezember-Bericht des "Border Violence Monitoring Networks", einer weiteren Organisation, die sich mit illegalen Push-Backs entlang der Balkan-Route beschäftigt, ist ein Vorfall vom November 2019 dokumentiert. Zwei Marokkaner im Alter von 25 und 26 Jahren berichteten demnach, dass sie zu dritt den Fluss überquerten. Griechische Beamte hätten dann einen der Männer aufgriffen, ihn mit Plastikkabeln an Händen und Füßen gefesselt und dann in den Evros-Fluss geworfen. "Ich weiß nicht, ob er lebt oder gestorben ist," berichtete einer der Männer dem Netzwerk. Er und sein Begleiter wurden nach dem Vorfall zurück in die Türkei gedrängt. Die DW hat die griechische Polizei um ein Interview gebeten und sie schriftlich mit dem Fall konfrontiert. Diese aber will sich zu den Vorfällen nicht äußern.

Ein 19-jähriger Afghane, der von Griechenland in die Türkei abgeschoben wurde. Bild: DW/F. Schmitz

Selma Mesic fordert eine unabhängige Aufklärung der Vorfälle. Kritik, dass Flüchtende sich solcherlei Geschichten einfach ausdenken, hält sie für unwahrscheinlich: "Viele unabhängige Organisationen und auch EU-Institutionen haben große Mengen an Daten zum Thema illegale Abschiebungen gesammelt. Alle kommen zu dem Schluss, dass es sich um glaubhafte Berichte von Betroffenen handelt. Menschen aus unterschiedlichen Ländern haben zu ganz unterschiedlichen Zeiten von sehr ähnlichen Vorgängen berichtet." Die Systematik der Aktionen sei in allen Erzählungen kohärent. Menschen beschreiben ähnliche Orte und Verhaltensweisen. "Es ist sehr unwahrscheinlich, dass so viele unterschiedliche Personen in dieser Häufung von Vorkommnissen berichten, die in dieses Muster passen und sich das einfach ausdenken."

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