Schillers "Räuber" in der Bankenwelt
19. März 2015 Eine junge Kölnerin hatte vor Kurzem eine Lawine losgetreten: Die Abiturientin Naina hatte in einem Tweet geschrieben, dass sie mit ihrem in der Schule erworbenen Wissen zwar Gedichte interpretieren könne, aber kaum etwas über Dinge wie Steuern oder Miete wisse. Der Tweet der 17-Jährigen machte Furore. Plötzlich wurde überall über sinnvolle Bildung diskutiert.
Was bringt es jungen Menschen, Goethe und Thomas Mann zu lesen? Wäre es nicht viel zielgerichteter fürs Erwachsenenleben, praktische Dinge des Alltags mitzubekommen? Ist das heutige Schulwissen überhaupt noch zeitgemäß? Was Kultusministerkonferenzen und Professorenbeiträge nicht schafften, das gelang der jungen Abiturientin aus Köln im Handumdrehen: eine breite Bildungs-Debatte anstoßen.
Passen "Die Räuber" noch in den Schulalltag?
Da sich Naina in ihrem Tweet ganz konkret über Gedichte geäußert hatte, fokussierte sich die Diskussion auch auf das Fach Deutsch. Wer selbst Kinder hat, der kann die Debatte um Lerninhalte gut verstehen. Jedes Elternteil, das sich mit Stirnrunzeln über hunderte Jahre alte Klassiker-Texte gebeugt und versucht hat, diese dem eigenen Nachwuchs zu vermitteln, weiß warum es geht. So fragt man sich immer wieder: Wie passt die Beschäftigung mit Goethes "Faust" oder Schillers "Die Räuber" noch in die heutige Zeit?
Die Auseinandersetzung mit Klassikern der deutschen Literatur ist für die Entwicklung des Leseverständnisses ungemein wichtig, sagen Bildungsexperten. Nur so könne ein Überblick in den Geisteswissenschaften erreicht werden. Doch Kritiker halten dagegen: Der Deutschunterricht sei verstaubt, gerade alte Texte nutzten heute kaum noch. Die Lehrer würden oft nicht zu zeitgemäßen Büchern greifen.
Schiller im Kino
Es gibt die Versuche, alte Stoffe anders zu präsentieren - ja durchaus. Nicht neu ist es beispielsweise, das Medium Film im Deutschunterricht zu integrieren. Schiller im Kino ist für viele eher sexy als Schiller zwischen zwei Buchdeckeln. Geradezu ideal für den Einsatz in den Schulen ist die Verfilmung von Schillers Drama "Die Räuber", die an diesem Donnerstag in den deutschen Kinos startet.
"Um einen Klassiker zu adaptieren, muss man ihn verraten. Je mehr man ihn verrät, desto größer ist die Chance, ihm gerecht zu werden", sagt Regisseur Pol Cruchten über seine Kinoadaption des berühmten Schiller-Stücks, das er gemeinsam mit Frank Hoffmann in eine Filmfassung umgeformt hat. "Mit dem Übergang von Schillers 18. Jahrhundert zu unserem 21. Jahrhundert hat sich natürlich auch der Begriff des 'Räubers' neu definiert", ist der Regisseur überzeugt.
Ewigwährende Themen
Die Grundzüge des Dramas sind im Film von Cruchten und Hoffmann durchaus deutlich herauszulesen. Friedrich Schiller stellte 1781 die konkurrierenden Brüder Karl und Franz in den Mittelpunkt seiner Handlung. Sie kämpfen um die Anerkennung des Vaters, um eine Frau, ringen um Macht und Einfluss. Schiller ging es um das Verhältnis zwischen Moral und Geschäft, um Verstand und Gefühl. Diese Themen scheinen auch im Film auf.
Doch die Regisseure haben das Thema ins 21. Jahrhundert verlegt. Nicht Adel und Standesdünkel beherrschen die Szenerie, sondern die Finanz- und Bankenwelt unserer Tage. Die menschlichen Auseinandersetzungen, die Leidenschaften der Protagonisten aber, sie sind im Grunde genommen die gleichen geblieben.
"Ein eigenständiges Kinowerk"
"Ich war überzeugt, dass man Schillers Figuren in die Gegenwart übertragen kann", sagt Hoffmann. Man habe das Stück völlig neu erfinden müssen, damit es in die heutige Zeit passt. "Natürlich ist Schiller noch da in einigen sehr spezifischen Dialogen, die wir originalgetreu aus dem Stück übernommen haben, aber unsere Absicht war, ein eigenständiges Kino-Werk zu schaffen", betont Hoffmann.
Cruchten und Hoffmann kommen aus Luxemburg, ihr Film ist eine deutsch-belgisch-luxemburgische Co-Produktion. Die Besetzung ist international, neben bekannten Franzosen und Deutschen ist unter anderem auch der vor kurzem verstorbene Maximilian Schell in der Rolle des Vaters der rivalisierenden Brüder zu sehen. Es sollte der letzte Auftritt des im Februar vergangenen Jahres verstorbenen Oscar-Preisträgers vor den Kameras sein.
Finanzzentrum als Schauplatz
Luxemburg als europäischer Finanzplatz bildet den Hintergrund des Films. Auch in Sachen Filmmusik haben die Regisseure ganz bewusst auf Aktualität gesetzt: Die rhythmischen Synthesizer-Klänge des Komponisten Michael Rother dürften ein jüngeres Publikum ebenso ansprechen wie Songs von "The Cure" und "Siouxsie and the Banshees".
So erlebt der Zuschauer zweierlei auf der Leinwand: Einen Stoff, der sich über Jahrhunderte gehalten hat, Konflikte, die im 18. Jahrhundert ebenso wie heute eine Rolle spielen. "Familiengeschichten im Film haben mich schon immer beeindruckt", meint Hoffmann. "Diese schmutzigen Stammbäume sind ein wunderbares und in der Regel sehr formbares Material."
Zum anderen sieht man einen "echten" Film, keine spartanische Theaterverfilmung. Zahlreiche Referenzen an die Geschichte des Kinos sind eingeflochten. Für die Vorbereitung zum Film habe er sich rund 40 "Film Noir"-Genrewerke angeschaut, erzählt Pol Cruchten: Werke von Hollywood-Regisseuren wie Joseph L. Mankiewicz und Jacques Tourneur, aber auch Filme großer europäischer Regisseure wie Jean-Pierre Melville. "Melville verstand es, Situationen zu etablieren. Er nahm sich die Zeit, seine Figuren in ihren alltäglichen Handlungen zu zeigen, wenn sie eine Zigarette rauchen oder ein Glas trinken. Ich wollte um jeden Preis, dass der Film den richtigen Ton trifft."
Schiller für die Schule
Von Friedrich Schiller zu Jean-Pierre Melville - das ist ein kühner Sprung. Man kann Cruchten und Hoffmanns "Räuber" aber auch ohne dieses cineastische Vorwissen anschauen: als Kriminalfall und menschliches Drama moderner Prägung. Man kann ihn aber ebenso als Adaption eines literarischen Klassikers genießen. Für den Einsatz in Schulen und speziell im Deutschunterricht eignen sich diese "Räuber" geradezu ideal. Im Januar eröffnete der Film das Festival Max-Ophüls-Preis, jetzt kommen "Die Räuber" in die deutschen Kinos.