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Politik

Verhaftete Belarussinnen klagen an

Tatyana Nevedomskaya mo
18. August 2020

Immer noch sind in Belarus Demonstranten in Untersuchungshaft. Einige Frauen, die inzwischen freigelassen wurden, erzählten der DW von beispielloser Brutalität der Sicherheitskräfte.

Belarus Protest Opfer der Polizeigewalt
Menschen in Minsk halten Fotos von Demonstranten, die von der Polizei geschlagen wurdenBild: Reuters/V. Fedosenko

Rund 7000 Menschen landeten in den ersten Tagen der Proteste gegen die mutmaßliche Fälschung der Präsidentschaftswahlen vom 9. August hinter Gittern. Die belarussischen Behörden erklärten inzwischen, fast alle seien wieder auf freiem Fuß. Mit Stand vom 17. August seien noch 122 Personen vorübergehend in U-Haft.

Diese Angaben lassen sich schwer überprüfen, denn nach wie vor werden zahlreiche Menschen vermisst. Das unabhängige belarussische Nachrichtenportal TUT.BY startete am 14. August einen Suchdienst. Seitdem konnten mehr als ein Dutzend Personen ausfindig gemacht werden. Doch das Schicksal von 76 Personen ist weiter unklar.

Diejenigen, die inzwischen wieder frei sind, berichten von beispielloser Brutalität durch die Sicherheitskräfte. Die Behörden bestreiten dies, doch viele Opfer liegen in Krankenhäusern. Nach ihrer Freilassung haben mehrere verhaftete Demonstrantinnen der DW gegenüber geschildert, was sie in der Haft erlebt haben. 

"Du Tier, wie ist dein Name?" 

Elena Budejko ist eine von ihnen. Die Anästhesistin an einem Minsker Kinderkrankenhaus verbrachte weniger als einen Tag in Haft. Doch diese Stunden waren die schrecklichsten ihres Lebens. Am 11. August war sie während der Proteste mit mehreren anderen Ärztinnen als Freiwillige unterwegs. Sie alle trugen weiße Kittel mit einem roten Kreuz und hatten spezielle Taschen mit Medikamenten bei sich. "Wir wollten neutral bleiben und sowohl der einen, als auch der anderen Seite helfen", sagt Elena.

Als sich die Gruppe in Richtung Stadtzentrum bewegte, fuhren bewaffnete Männer in Uniform vor. Sie befahlen den Frauen, in Kleinbusse zu steigen. Später wurden die Ärztinnen in einen Transporter für Gefangene gesteckt. Ein junger Mann, der ihnen geholfen hatte, die Medikamente zu tragen, wurde von ihnen getrennt.

Die Ärztin Elena Budejko sagte aus, sie habe Schreie gehört und vermutet, dass er geschlagen wurde. "Er heißt Pawel. Seitdem wissen wir nichts mehr über ihn", so Elena gegenüber der DW.

Angehörige von festgenommenen Demonstranten warten vor einem Polizeigebäude in MinskBild: DW/P. Bykouski

Die Ärztinnen wurden zu einer Polizeidienststelle in der Minsker Innenstadt gebracht. "Wir mussten den Kopf gesenkt halten und die Hände hinter dem Rücken. Man ließ uns mit der Stirn gegen die Wand stehen. Aber geschlagen wurden wir nicht. Sie stocherten mit Gummiknüppeln an den roten Kreuzen auf den Kitteln herum und sagten, wir würden militante Oppositionelle unterstützen. 'Du Tier, dreh dich um zu mir! Wie ist dein Name?', das waren noch die freundlichsten Worte", erinnert sich die Ärztin.

Elena sah Männer mit ausgestreckten Armen und Beinen im Hof liegen, mit dem Gesicht zu Boden. Von dort seien Schreie zu hören gewesen, erinnert sie sich.

Schläge für schlechtes Singen 

Allen festgenommenen Demonstranten wurden vorgefertigte Protokolle zur Unterschrift vorgelegt. Wer sich weigerte, wurde geschlagen. Man habe damit gedroht, ihr die Beine zu brechen, berichtet Elena Budejko. Nachdem die Frauen unterschrieben hatten, mussten sie wieder im Flur mit dem Gesicht zur Wand stehen.

Die Männer, die bäuchlings im Hof lagen, mussten die Hymne von Belarus singen. Wer sie nach Ansicht der Wachen schlecht sang, wurde geschlagen. "Die, die ins Gebäude gebracht wurden, waren bis zur Unkenntlichkeit verprügelt worden", erzählt Elena. Sie habe auch gehört, wie eine junge Frau gesagt habe: "Fass mich nicht an!" Darauf habe man ihr gesagt: "Was kannst Du schon gegen mich machen?"

Den Ärztinnen wurde vorgeworfen, das Verbandsmaterial und der Alkohol in den Taschen seien für Molotow-Cocktails bestimmt gewesen. "Uns wurde mit einer ganzen Reihe von Strafverfahren gedroht", erinnert sich Elena, die nach ihrer Freilassung tagelang Tränen vergoß. Dennoch will sie sich auch in Zukunft wieder freiwillig melden, um bei den Protesten mitzuhelfen.

36 Insassen in einer Zelle

Wahlkämpferin Olga Pawlowa, die dem Team der oppositionellen der Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskajaangehörte, war fünf Tage in Haft. Sie wurde in der Nacht zum 10. August in Minsk auf der Straße festgenommen. Auch Pawlowa ist Medizinerin und befand sich in der Pufferzone zwischen den Sondereinsatzkräften und friedlichen Demonstranten.

Sie trug einen Erste-Hilfe-Rucksack bei sich. Als die Einsatzkräfte begannen vorzurücken, fingen die Demonstranten an zu fliehen. Doch Olga blieb mit erhobenen Händen stehen. "Ein Polizist stieß mich um", berichtet sie. Schließlich sei sie in einem überfüllten Gefangenentransporter in das Gefängnis in der Okrestina Straße gebracht worden.

"Die Männer wurden sofort geschlagen. Bei uns war noch eine Russin. Sie verlangte nach dem russischen Botschafter, doch sie wurde in die Nachbarzelle gebracht und geschlagen. Man sagte ihr, sie werde nicht mehr nach Hause zurückkehren", erzählt Olga. Zwei Wachleute seien besonders grausam gewesen: ein Mann mit blauen Augen und eine kleine blonde Frau namens Kristina. Auch andere Häftlinge hatten schon von ihnen berichtet.

Ein Mann, der aus der U-Haft in Minsk entlassen wurde, zeigt Spuren von FolterBild: picture-alliance/AP Photo/D. Lovetsky

Endlose Prügel, kein Essen

Olga Pawlowa landete in einer Zelle für vier Personen, in der 36 Menschen eingesperrt waren. Als die Insassen darum baten, das Fenster zu öffnen zu dürfen, wurden zwei Eimer Wasser über ihnen ausgekippt. Sie erstickten daraufhin fast an der verdunstenden Feuchtigkeit. Nur nachts durften die Frauen raus an die frische Luft. Eine von ihnen litt an Epilepsie, eine andere an Diabetes. Olga selbst war durch Gummigeschosse und Blendgranaten verletzt worden.

Erst am nächsten Morgen wurden schließlich die Personalien aufgenommen. Olga gab nur ihren Vor- und Nachnamen an. Einen Tag lang wurde sie gequält. Sie musste stundenlang knien, wurde bedroht, und ihre Arme verdreht. 

"Dass sie uns gegen die Wand schlugen, war noch die mildeste Strafe. Die Männer wurden permanent brutal verprügelt. Sie wurden einer nach dem anderen in den Flur gebracht, halb totgeschlagen und weggebracht. Dann kam der nächste dran. Vor dem Gefängnis stand eine ganze Reihe von Krankenwagen."

Geschlagen wurde auch, wer sich weigerte, die vorgefertigten Protokolle zu unterschrieben. "Ich habe nichts unterschrieben, und sie wussten nicht, was sie mit mir tun sollten. Ein Polizei-Vertreter kam zum Gericht. Sogar er war entsetzt über das, was er sah. Er brachte uns Lebensmittel, denn wir hatten zwei Tage lang nichts gegessen. Wasser tranken wir aus der Leitung", erzählt sie.

Vor Gericht beklagte Olga, dass Häftlinge gefoltert würden und keine medizinische Hilfe erhielten, worauf der Richter sagte, er sei dafür nicht zuständig. Die Aussagen in Olgas Protokoll entsprachen nicht den Tatsachen, und die persönlichen Angaben in der Akte - Geburtsdatum, Wohnort und sogar ein Foto - waren die einer Namensvetterin. Doch dies hinderte das Gericht nicht, Olga zu 15 Tagen Haft zu verurteilen, von denen sie fünf absaß, bevor sie am 14. August freigelassen wurde.

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