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Schlöndorff: "Jede Generation braucht eigene Geschichten"

Hans Christoph von Bock
5. Mai 2017

Vor der Präsidentschaftswahl in Frankreich gibt sich Volker Schlöndorff optimistisch. Im DW-Gespräch spricht der Regisseur über seinen neuen Film, seine Karriere als Regisseur und seine filmischen Anfänge in Frankreich.

Deutschland München Filmpremiere "Rückkehr nach Montauk"
Bild: picture-alliance/AAPimages/Marx

Deutsche Welle: Sie haben lange in Frankreich gelebt und gearbeitet. Können Sie sich vorstellen, in einem Frankreich zu leben, in dem Marine Le Pen Präsidentin ist?

Volker Schlöndorff: Es wird nicht passieren. Gott sei Dank. Herr Macron hat die Situation gerettet. Der gesunde Menschenverstand hat sich in Frankreich dann doch gegen die Ideologien durchgesetzt. Ich finde, das ist ein Jahrhundertereignis. Seit ich in Frankreich war, Mitte der 1950er Jahre, war das Land einfach von der Ideologie beherrscht: auf der einen Seite die Arbeiterklasse und auf der anderen Seite die reichen Unternehmer. Die Welt hat sich inzwischen vollkommen verändert, diese Kategorien mit links und rechts und Klassenkampf haben sich aber hartnäckig gehalten. Daran ist auch Hollande gescheitert. Jetzt endlich, hab' ich das Gefühl, kommt der Befreiungsschlag. Ich hoffe, das ist erst der Anfang einer wirklichen Entwicklung.

Ist das Europa, wie Sie es kennen und wofür Sie sich als Künstler eingesetzt haben, ein Auslaufmodell?

Nein. In Frankreich ist Europa nie so populär gewesen wie in Deutschland. Wir Deutschen haben uns ja geradezu Europa an den Hals geworfen, um nicht mehr Deutsch sein zu müssen und um bei der Gelegenheit doch viel Schuld hinter uns zu lassen. In Frankreich war immer Frankreich zuerst und dann kam Europa. Ich habe gerade zwei Filme hintereinander in Frankreich gedreht, "Das Meer am Morgen" und "Diplomatie", und im Team und überall gesehen, wie europäisch die junge Generation denkt und wie sehr sie Europäer sein wollen und wie sie nach Berlin schauen als Ort, wo man sein müsste und bloß nicht in Paris. Da ist ein großer Umschwung im Gange.

Susanne Wolff und Stellan Skarsgård in "Rückkehr nach Montauk"Bild: Wild Bunch Germany 2017/Franziska Strauss

Lassen Sie uns über Ihre Filme sprechen. Ihr aktueller "Rückkehr nach Montauk" lehnt sich zwar an eine Erzählung von Max Frisch an, es sind aber sehr viele Ihrer eigenen Lebenserfahrungen mit eingeflossen. Was erfahren wir von Volker Schlöndorff in der Figur von Max Zorn?

Ja, die Geschichte selbst ist fast eins zu eins nacherzählt. Vor 30 Jahren habe ich fünf Jahre in New York gelebt und da eine tolle Frau kennengelernt, in die ich mich so verliebt habe, dass mir das bis heute noch nachgeht. Dann habe ich sie 13 oder 15 Jahre später wieder getroffen und ich - oder wir beide - stellte mir die Frage: "Können wir's nochmal versuchen?". Und dann genügt ein sehr, sehr spannendes Wochenende, um das alles auf die Zerreißprobe zu stellen.

Die Filme, die Sie in den letzten 50 Jahren gemacht haben, haben Ihr Leben beeinflusst und Ihr Leben hat sich auch auf die Filme ausgewirkt. Gab es den einen Film, mit dem alles anfing?

Ich hatte die Chance, dass ich im Alter zwischen 20 und 25 in Frankreich zur Zeit der "Nouvelle Vague" als Regieassistent mit wunderbaren Regisseuren wie Jean-Pierre Melville und Louis Malle gearbeitet habe und dann meinen ersten Film "Der junge Törless" machte - mit einer unglaublichen Angst, aber auch nie wieder mit so viel Selbstvertrauen. Als ich dann das Glück hatte, in Cannes internationalen Applaus zu bekommen, da wusste ich: "Das ist es!". Wenn es daneben gegangen wäre, wäre ich auf einen anderen Beruf, zum Beispiel Architekt, umgestiegen.

Schlöndorff im DW-Interview mit Hans Christoph von Bock und Scott RoxboroughBild: Hans-Jürgen Kassube

Nazizeit, Nachkriegszeit, Studentenunruhen, RAF-Terrorismus, gesellschaftliche Umbrüche ziehen sich wie ein Faden durch Ihr ganzes Werk. Sie waren damals mittendrin. Haben Sie zum Beispiel mit der Verfilmung von "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" etwas bewirken können?

Das war das Aufregende, Heinrich Böll schrieb dieses Pamphlet "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" damals ein bisschen aus Selbstverteidigung. Eigentlich ging es um seine verlorene Ehre, weil man ihm unterstellt hatte, er sei der geistige Vater der Gewalt der Baader-Meinhof-Gruppe und der RAF. Er war empört und schilderte, wie ein Mensch durch die Presse und das Zusammenspiel von Presse und Polizeiapparat fertig gemacht wird. Ich habe mich immer insofern als politischer Filmemacher gesehen, dass man eigentlich keinen Film machen kann, ohne politisches Bewusstsein. Man muss sich bewusst sein, ein Film hat eine Wirkung - und versuchen, eben im Sinne der Aufklärung, die Welt richtig darzustellen.

Das ist ein ganz großes Bedauern, dass man die Anfänge von Baader und Meinhof, als es noch nicht die RAF war, nicht irgendwie so beeinflussen konnte, dass es nicht zu dieser Gewalteskalation gekommen wäre. Es war eigentlich in Deutschland nicht notwendig, dass es zu dieser Bombenwerferei kam.

Beim Dreh mit Nina Hoss und Stellan SkarsgårdBild: Wild Bunch Germany 2017 / Ann Ray

Wie schauen Sie heute auf Regisseure, die ja oft politisches Engagement vermissen lassen?

Man kann niemandem vorschreiben, sich politisch zu engagieren. Ich bin 1939 geboren und nach dem Krieg, als ich heranwuchs, stellten man mir im Ausland und Inland immer die eine Frage: "Wie war das möglich, dass die Nazis an die Macht gekommen sind? Wie war das möglich, dass ihr den Holocaust geduldet habt?"

Aber ich kann sie sehr gut verstehen, ich beneide sogar auch Schriftsteller und Filmemacher, die sich ganz auf ihre unmittelbare Umgebung konzentrieren.

Nehmen wir Maren Ade mit ihren Filmen, zuletzt mit "Toni Erdmann". Für mich ein hochpolitischer Film - aber das würde sie wahrscheinlich abstreiten.

Was kann man denn heute dem erstarkenden Populismus entgegensetzen?

Man kann vor allen Dingen durch Dokumentarfilme sehr viel bewirken. Im Moment, als die Million Syrer nach Deutschland kam, wollte ich eigentlich alles stehen und liegen lassen und sofort darüber einen gemeinsamen Dokumentarfilm machen, mit Alexander Kluge und Stefan Aust. Aber just in dem Moment waren dann Stellan Skarsgård und Nina Hoss frei und ich musste die Gelegenheit nutzen, meinen Film "Rückkehr nach Montauk" zu drehen.

Nach der Premiere in München am 3. Mai, Susanne Wolff, Schlöndorff, Produzentin Regina Ziegler und Nina HossBild: Imago/APress

"Die Blechtrommel" ist der wichtigste Roman von Günter Grass und die Vorlage für Ihren größten Erfolg. 1979 gab es in Cannes die Goldene Palme, 1980 den Oscar. Haben Ihnen die Hollywood Produzenten die Tür eingerannt?

Am Tag nach dem Oscar bekam ich ein Angebot von Steven Spielberg. Er arbeitete beim Fernsehen und machte "Twilight Zone". Er war beeindruckt von meinem Film und sagte:"Du könntest doch eine Episode machen". Ich habe kurz nachgedacht und ' mir gesagt: "Nein, ich hab' ja jetzt Carte Blanche und kann in Europa machen, was ich will. Warum soll ich nach Hollywood auswandern?" Mir brannte ein politisches Problem, der Libanonkrieg, auf den Fingern. Also bin ich nach Beirut gefahren und habe dort mit Bruno Ganz und Hanna Schygulla "Die Fälschung" gedreht, weil ich fand, 'Das kann doch nicht sein, dass vor unserer Haustür ein Krieg stattfindet, wo eine ganze Stadt in Schutt und Asche gelegt wird.' Wie naiv von mir. Seitdem gab es Sarajewo, Bagdad, Grosny, Aleppo und es nimmt kein Ende. Ich bin dann durch einen Zufall drei Jahre später doch nach Amerika gekommen, als Dustin Hoffman und Arthur Miller mir angeboten haben, ihren "Tod des Handlungsreisenden" zu verfilmen.

Dustin Hoffman ist ja bekannt als furchtbarer Perfektionist. Wie war es, wenn zwei Perfektionisten zusammen arbeiten?

Alle großen Schauspieler sind Perfektionisten. Hoffmann ist nur dann schwierig, wenn er plötzlich merkt, dass an der Rolle, oder an dem Stück, oder an dem Drehbuch etwas nicht perfekt ist. Da aber das Stück von Arthur Miller für ihn die Perfektion überhaupt war und er nicht ein einziges Mal an einem Satz oder an einer Situation gezweifelt hat, ging die Arbeit ganz wunderbar.

Verflossene Liebe: Rückkehr nach MontaukBild: Wild Bunch Germany 2017/Ann Ray

Man hat heute manchmal den Eindruck, dass im Kino alle Geschichten schon erzählt sind. Wo verorte Sie Ihre Form des filmischen Erzählens zwischen all den Superhelden-Filmen und Serien-Produktionen bei Netflix und Amazon?

Ich berufe mich da auf Arthur Miller, was die Geschichten betrifft. Der sagte mir mal: 'Man hat auch gedacht, als das alte Testament geschrieben war: Jetzt sind alle Geschichten erzählt.' Doch dann kam das neue Testament und das war noch mal eine ganz andere Erzählung. Wir leben davon, uns gegenseitig Geschichten zu erzählen. Nur die Mittel ändern sich. Seitdem es die Filmkunst gibt, hat sich das ununterbrochen verändert. 1911 fing es an mit ganz simplen Stummfilmen in einem Glashaus Berlin-Babelsberg. Dann wurde der Ton erfunden, das erste Tonstudio gebaut. Später kam die Farbe dazu und heute gibt es das digitale Kino.

Das Schwierigste ist und bleibt, die guten Geschichten zu finden, mit den richtigen Personen, und das ist für alle immer wieder eine Herausforderung. Jede Generation braucht ihre eigenen Geschichten.

In "Rückkehr nach Montauk" sagt der Schriftsteller einmal sinngemäß: 'Es gibt zwei Arten des Bedauerns'. In der einen bedauert man, was man getan hat, in der anderen bereut man, was man nicht getan hat. Welchen Film hätten Sie lieber nicht gedreht und bei welchem Film bereuen Sie, dass Sie es abgelehnt haben?

Einige, die sind dann Gott sei Dank, weil sie Flops waren, auch schnell vergessen. Ein Film mit Senta Berger "Die Moral der Ruth Halbfass" zum Beispiel und auch mein "Michael Kohlhaas", der mir vollkommen misslungen ist. Welchen Film ich hätte machen sollen? Vielleicht hätte ich das Angebot von Steven Spielberg annehmen sollen und damals gleich nach der "Blechtrommel" mal in Amerika einen Fernsehfilm machen, denn die Bekanntschaft und die Arbeit mit Spielberg wäre sicher spannend gewesen.

Wir freuen uns auf Ihren nächsten Film. Vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Hans Christoph von Bock. Mehr zu Volker Schlöndorff und seinen neuen Film "Rückkehr nach Montauk" in der aktuellen Ausgabe von KINO.

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