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Politik

Schlappe für die Volksparteien

26. Mai 2019

Die Europawahl als Denkzettel für die großen deutschen Parteien: Das Votum zeigt, wie radikal sich die Parteienlandschaft verändert hat. Gewinner sind die Grünen, Verlierer die Parteien der GroKo: CDU und SPD.

Annegret Kramp-Karrenbauer und Andrea Nahles
Parteichefinnen Kramp-Karrenbauer und Nahles: Historisch schlechtestes ErgebnisBild: Imago Images/IPON/S. Boness

Sie hatten es wohl schon kommen sehen, die beiden neuen Frontfrauen der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), dass ihre erste echte Bewährungsprobe nicht gut ausgehen würde. Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Andrea Nahles (SPD) haben eine bittere Niederlage einstecken müssen - und damit auch die gemeinsame große Koalition. Beide Volksparteien fahren ihre historisch schlechtesten Ergebnisse bei bundesweiten Wahlen ein; verlieren zusammen fast 20 Prozentpunkte im Vergleich zu den EU-Wahlen vor fünf Jahren.

Koalition abgestraft - Grüne im Höhenflug

Gewinner sind die Grünen. Sie haben ihr Ergebnis von 2014 verdoppeln können. Noch nie hat die Partei bei einer bundesweiten Wahl einen so hohen Stimmenanteil erzielt.

Vor allem für die einst stolze, älteste Partei Deutschlands, die SPD, ist die Wahl zum Desaster geworden. Zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkriegs ist sie bei einer bundesweiten Wahl nicht mehr auf Rang eins oder zwei gelandet, sondern auf dem dritten Platz. Das kommt einem Erdbeben gleich. "Die Ergebnisse sind extrem enttäuschend", sagt Andrea Nahles. Den Niedergang der einstigen Volkspartei SPD hat Nahles, seit etwas mehr als einem Jahr Parteivorsitzende, nicht stoppen können. Viele in ihrer Partei sagen sogar, sie habe ihn beschleunigt.

Hinzu kommt der Verlust der einstigen SPD-Bastion Bremen im Norden Deutschlands, wo am Sonntag ein neuer Landtag gewählt wurde. Seit 1946 regierte immer die SPD im kleinsten deutschen Bundesland. Bremen war so etwas wie der sichere Hafen für die Sozialdemokraten: aus und vorbei, Untergang! Der CDU-Kandidat holte das bessere Ergebnis. SPD im Krisenmodus.

Schwer angeschlagen - die SPD-Parteivorsitzende Andrea NahlesBild: picture-alliance/dpa/C. Koall

Doppelte Niederlage für die SPD - wie weiter?

Die große Frage nun: Bleibt Andrea Nahles weiterhin Partei- und Fraktionschefin? Sie trägt die volle Verantwortung für das schlechte Ergebnis ihrer Partei. Aber zurücktreten von ihren Ämtern - oder auch nur von einem - will sie wohl nicht. Dafür gibt es gleich mehrere Gründe. Nahles ist es immerhin gelungen, ein wenig Ruhe in die Partei zu bringen. Ein geeigneter Nachfolger, eine Nachfolgerin, ist nicht in Sicht. Und im Herbst stehen gleich drei wichtige Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen an. Ein Führungswechsel kurz vor diesen Urnengängen wäre zu riskant. Allerdings: Erst kürzlich wurden Putschgerüchte gegen Nahles bekannt. Das doppelt schlechte Ergebnis für die Sozialdemokraten könnte schnell eine ganz eigene Dynamik entwickeln. "Das Ergebnis kann nicht ohne Folgen bleiben", erklärt SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil.

Hält die Koalition?

Die SPD koaliert seit März des vergangenen Jahres mit der Union - also der konservativen CDU und ihrer bayerischen Schwesterpartei CSU. Diese Koalition jetzt aufzukündigen, dazu ist die SPD und ihre Vorsitzende Nahles zu schwach. Außerdem: Bei Neuwahlen auf Bundesebene würde sie ähnlich schlecht abschneiden wie jetzt bei der EU-Wahl. Heißt wohl: In der Koalition bleiben und weitermachen!

Abgestrafte neue CDU-Parteichefin und entspannte Kanzlerin

Auch die Union ist als Volkspartei abgestraft worden. Diese historische Niederlage hat aber vor allem die neue Parteichefin der CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer, zu verantworten und nicht Kanzlerin Merkel. "Dieses Wahlergebnis ist kein Ergebnis, was uns als Volkspartei gerecht wird", räumt Kramp-Karrenbauer ein. Aber gleichzeitig kann sie an diesem Abend zumindest einen Wahlsieg verkünden: In Bremen liegt die CDU erstmals seit Kriegsende vor der SPD.

Vor diesem Wochenende hatten alle noch gut lachen: Annegret Kramp-Karrenbauer, Manfred Weber und Angela MerkelBild: picture-alliance/dpa/S. Schuldt

Kramp-Karrenbauer ist seit rund einem halben Jahr Parteivorsitzende und möchte gerne Kanzlerkandidatin werden. Ihre Bewährungsprobe hat sie nicht bestanden. Es fällt ihr schwer, aus dem Schatten der immer noch mächtigen Angela Merkel zu treten, solange die noch regiert. Die Kanzlerin hatte sich aus dem EU-Wahlkampf fast völlig herausgehalten. Dass die Kanzlerin frühzeitig geht, nicht die volle Legislaturperiode bis 2021 über Regierungschefin bleibt, gilt als höchst unwahrscheinlich. Und somit auch ein frühzeitiger Wechsel in eine andere Koalition (zum Beispiel zusammen mit den Grünen oder der liberalen FDP) oder gar Neuwahlen. Die gebeutelten Volksparteien SPD und CDU/CSU können dabei nur verlieren: an Macht und an Wählerstimmen.

Grüne mit Rekordergebnis

Die Gewinner dieser Wahl sind die Grünen. EU-Spitzenkandidatin Ska Keller spricht von einem "sensationellen Ergebnis" und einem "Signal für mehr Klimaschutz". Mit ihrer EU-Spitzenfrau und dem neuen, dynamischen Führungsduo in Berlin, Annalena Baerbock und Robert Habeck, hat die Ökopartei auch bei der EU-Wahl gezeigt, dass sie den Zeitgeist getroffen hat mit einer radikal ökologischen Ausrichtung und der Nähe zur Jugend-Klimaschutzbewegung "Fridays for Future".

Zum Ende des Wochenendes jubeln vor allem die Grünen: Sven Giegold, Annalena Baerbock und Katrin Göring-EckartBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Schon vorab hatten Umfragen gezeigt, dass die Grünen damit das für die Deutschen wichtigste Wahlkampfthema getroffen hatten: den Klimaschutz. Die Grünen zeigen sich koalitionsfähig in alle Richtungen, bereit für Bündnisse mit den Konservativen, den Liberalen oder den Sozialdemokraten. Sollten frühzeitige Neuwahlen kommen, wären sie die größten Profiteure. Sie würden möglicherweise zur zweitgrößten Fraktion im Bundestag anwachsen. Derzeit sind sie die kleinste im Parlament vertretene Partei.

Keine Überraschungen bei den "Kleinparteien"

Die rechtspopulistische AfD hatte mit einem besseren Wahlergebnis gerechnet. Geworden sind es etwas über zehn Prozent. Das liegt daran, dass die AfD in mehrere Parteispendenaffären verwickelt ist, ihr Hauptthema Flüchtlingspolitik an Wichtigkeit verloren hat und sie in der "Ibiza-Affäre" um den die österreichische Partnerpartei FPÖ mitgerissen wurde, weil sie sich nicht distanzierte.

Die FDP hat ihr Ziel, das schlechte Ergebnis von vor fünf Jahren zu verdreifachen, klar nicht erreicht. Die Partei blieb mit etwa fünfeinhalb Prozent weit hinter den Prognosen zurück und wird damit als möglicher Koalitionspartner in Berlin nicht unbedingt attraktiver. Die Linke ging als eher europaskeptische Partei ins Rennen. Das hat ihr offenbar geschadet.

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