1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

EU-Parlament stoppt französische Kandidatin

Catherine Martens
10. Oktober 2019

Der französische Präsident ist blamiert, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen muss ihre erste echte Niederlage einstecken. Das EU-Parlament lehnt Sylvie Goulard überraschend ab. Catherine Martens aus Brüssel.

Brüssel EU-Parlament | Sylvie Goulard, Binnenmarktkommissarin
In der Anhörung zwei Mal durchgefallen: Sylvie Goulard, ehemalige französische MinisterinBild: Reuters/F. Walschaerts

Durchgefallen, und zwar mit Pauken und Trompeten. Sylvie Goulard, die Wunsch-Kandidatin von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron konnte auch in einer zweiten Anhörung die EU-Abgeordneten nicht überzeugen. Sie ist für den mächtigen Job der EU-Binnenmarktkommissarin nicht geeignet, meinen die Parlamentarier. Am Ende stolperte Sylvie Goulard über ihre mächtigen Freunde – ihrem starken Rückhalt aus dem Elysée-Palast in Paris zum Trotz. Und das überrascht.

Denn im politischen Brüssel war zwar die Personalie Goulard von Beginn an umstritten, aber die Französin hatte einflussreiche Befürworter. Neben Emmanuel Macron auch die neue EU-Kommissionschefin in spe, Ursula von der Leyen. Anders als bei ihren offensichtlichen Problemfällen wie etwa dem ungarischen Kandidaten oder der rumänischen Kandidatin stand von der Leyen voll und ganz hinter der ehemaligen französischen Ministerin Goulard. Mehr noch: Mit einem Jumbo-Portfolio wollte von der Leyen der Französin und ehemaligen EU-Parlamentarierin Goulard nicht nur die europäische Industrie anvertrauen, sondern auch gleich noch das Ressort Verteidigung. Dass sie nun durchfällt, ist eine erste Schlappe für die neue Europa-Politikerin von der Leyen.

Von Beginn an sorgte die Personalie Sylvie Goulard für Gesprächsstoff. Die Südfranzösin machte mit ihrem Hals-über-Kopf Rücktritt in ihrer Heimat Schlagzeilen. Ganze zwei Monate hielt sich die ehemalige Verteidigungsministerin 2017 im Amt bevor sie aufgrund Ermittlungen der französischen Behörden zurücktreten musste.  
Kritik am Zuschnitt der Aufgaben 

Macron distanziert sich nach der Niederlage von der eigenen KandidatinBild: Getty Images/AFP/Y. Valat

Der Zuschnitt des Industrie-Portfolios stieß bereits im Vorfeld auf heftige Kritik. Für die Europäischen Grünen, sagte Terry Reintke, stellvertretende Fraktionsvorsitzende, sei es unhaltbar, dass ein solch sensibles Ressort wie Verteidigung an Industrie geknüpft werde.  Die künftige EU-Kommissionschefin von der Leyen müsse deshalb mindestens für eine "Entkoppelung" dieser beiden Ressorts sorgen, so die Forderung der Grünen. Die zugedachte Macht für das französische Portfolio eckte auch bei kleineren Mitgliedsstaaten an. Aber durchgefallen ist Goulard am Schluss wohl nicht nur deshalb.

Berater-Honorare wecken Zweifel

Neben der Kritik an der überdimensionalen Macht für ein einziges Portfolio wurde Goulard ihre Vergangenheit als EU-Abgeordnete zum Verhängnis. Allen voran ihre zweijährige nebenberufliche Tätigkeit für einen amerikanischen Think Tank. Dessen Vorsitzender, der deutsch-amerikanische Investor Nicolas Berggruen, sie für "beratende Tätigkeiten auf internationalem Niveau"  monatlich mit einem Honorar in Höhe von 10.000 Euros entlohnte. Goulard fand in ihrer Anhörung nichts dabei. "Astronomische Summen für ein paar Telefonanrufe" konterte etwa die rechtskonservative Abgeordnete Virginie Joron die vermeintlich "undurchsichtige" Beraterfunktion Goulards.  Auf die Fragen, welche konkrete Tätigkeit sie für den Think Tank ausübte, und ob sie als damalige EU-Abgeordnete, betraut mit Wirtschaft und Finanzen, vertrauliche Daten an den amerikanischen Investor durchstach, bekamen die EU-Parlamentarier auch in der zweiten und letzten Anhörung keine Antwort der Französin. "Die Europäische Volkspartie (EVP) nimmt die Integrität ihrer Institutionen sehr ernst und konnte deshalb Goulard nicht unterstützen", erklärte die Vize-Fraktionsvorsitzende Esther de Lange daraufhin.

Komplizierte Gebilde: Ursula von der Leyen und ihr Schaubild von der neuen Kommission mit 27 MitgliedernBild: DW/B. Riegert

Ermittlungen wegen Veruntreuung

Obendrein schwächt Goulard das gegenwärtig gegen sie laufende Ermittlungsverfahren der französischen Justiz. Die Kanidatin soll als Abgeordnete des Europaparlaments EU-Gelder veruntreut haben. Bislang ist nicht abschließend geklärt, inwiefern die Französin als EU-Abgeordnete ihre Assistenten nur zum Schein beschäftigt hat. Kein Vertrauen für Macrons Kandidatin. Auch die europäischen Sozialdemokraten lassen Goulard durchfallen. Evelyn Gebhardt (S&D), Mitglied im Ausschuss für Verbraucherschutz und Binnenmarkt bemerkt: "Sylvie Goulard war nicht überzeugend , weder inhaltlich noch zur Frage ihrer Integrität. Dabei geht es nicht in erster Linie um Regeln, sondern um die Vorbildfunktion einer Politikerin oder eines Politikers".

Nur Liberale hielten zu Goulard

Allein die Liberalen, zu deren Fraktion die Partei des französischen Staatspräsidenten gehört, bedauern Goulards Scheitern. Bis zum Schluss hatte man es für politisch unmöglich gehalten, dass Macrons Kandidatin, die Vertreterin eines großen Nettozahlers, einfach abserviert wird. Dahinter vermuten Beobachter noch eine ganz andere Motivation, wonach das EU Parlament mit dem französischen Präsidenten Macron noch eine Rechnung offen habe. Ärgster Feind: die größte und damit einflussreichste Fraktion, die Europäischen Konservativen.

Nur zwei Monate im Amt: Als Verteidigungsministerin musste Sylvie Goulard zurücktreten.Bild: Getty Images/AFP/C. Tesson

Dass Emmanuel Macron den konservativen Spitzenkandidaten Manfred Weber (CSU) im als künftigen Chef der EU-Kommission verhinderte, verzeiht ihm das Haus nicht. Nicht weil alle Parlamentarier den deutschen Ex-Spitzenkandidaten lieben, sondern weil das Europäische Parlament letztlich zusehen musste, wie die Staatschefs ganz alleine über die Vergabe der Top-Jobs entschieden. Dass auf Drängen von Macron schlussendlich die in Brüssel unbekannte Ursula von der Leyen jenseits des Spitzenkandidaten-Systems triumphierte, half Sylvie Goulard kein Stück weiter. Es scheint, als habe Macron die Macht des EU-Parlaments unterschätzt. Auch für von der Leyen dürfte die Lernkurve hoch sein.

Macron will von der Leyen gewarnt haben

Die designierte Kommissionspräsidentin von der Leyen reagierte mit einigen allgemeinen Floskeln auf die Niederlage. Man müsse das Große und Ganze und globale Herausforderungen im Blick haben. Die Ablehnung der Kandidatin war Teil eines demokratischen und transparenten Verfahrens, so von der Leyen. Der französische Präsident Macron schob die Schuld der deutschen Chefin der Kommission zu. Er habe von der Leyen gewarnt, dass Ermittlungen gegen Goulard in Frankreich liefen. Sie habe sich dennoch für die Goulard entschieden. Jetzt muss Macron eine neue Kandidatin oder einen neuen Kandidaten nominieren. Die gesamte neue EU-Kommission soll am 23. Oktober vom EU-Parlament gebilligt werden. 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen