1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ukrainische Flüchtlinge: schlechte Job-Chancen

Caleb Larson
28. Juli 2022

Hunderttausende Ukrainer sind seit dem russischen Einmarsch im Februar nach Deutschland geflohen. Sie sollten leichteren Zugang zu Wohnraum und zum Arbeitsmarkt bekommen. Doch so einfach war das bisher nicht.

Berlin | Jobmesse für ukrainische Geflüchtete
Mitte des Monats gab es eine Jobmesse in Berlin speziell für ukrainische FlüchtlingeBild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

Schätzungsweise 900.000 Ukrainer sind seit Ende Februar nach Deutschland gekommen, um dem Krieg in ihrer Heimat zu entfliehen. Doch während sie Sicherheit gefunden haben, sind ihre Jobaussichten ungewiss.

Im Rahmen einer Richtlinie der Europäischen Union wurde Flüchtlingen aus der Ukraine ein Schutzstatus in der EU für bis zu drei Jahre gewährt - sowie der Zugang zu Krankenversicherung und zum Arbeitsmarkt.

350.000 Ukrainer sind derzeit als arbeitssuchend in Deutschland registriert, viele von ihnen haben zu kämpfen. Das Münchner Wirtschaftsforschungsinstitut ifo führte im Juni eine Umfrage unter fast 1000 ukrainischen Geflüchteten durch und stellte fest, dass zwar 90 Prozent der Befragten gerne eine Beschäftigung in Deutschland finden würden, aber nur die Hälfte von ihnen dies bereits geschafft hat.

Andrij Chekanov, ein 34-jähriger Produktmanager eines IT-Unternehmens, kam bereits vor dem Krieg nach Deutschland und erlebte eine relativ reibungslose Einwanderung. Aber seine Familie hat eine viel schwierigere Zeit hinter sich, seit sie im März zu ihm gestoßen ist.

Andrij Chekanov kam vor dem Krieg nach Deutschland. Er ist gut integriertBild: privat

Andrijs Schwester kämpfe darum, in Deutschland Arbeit zu finden, und sei "sehr frustriert". Obwohl sie fließend Englisch spricht, konnte sie in ihrem Fachgebiet, der Suchmaschinenoptimierung, keine Stelle finden, da es an offenen Stellen für Englischsprachige mangelt.

Fachkräftemangel in Deutschland

In Deutschland herrscht in vielen Branchen ein akuter Fachkräftemangel. Die Bundesagentur für Arbeit meldete im Juni fast 900.000 offene Stellen, vor allem in den Bereichen Verkehr und Logistik, Verkauf und im Gesundheitswesen.

Bei einer Umfrage des ifo-Instituts unter 1000 Personalverantwortlichen in deutschen Unternehmen verschiedener Branchen gaben 83 Prozent fehlende Deutschkenntnisse als Haupteinstellungshindernis an.

Deutschland: Exil für russische Journalisten

03:00

This browser does not support the video element.

Viele Ukrainer sprechen mehrere Sprachen, aber Deutschkenntnisse sind nicht weit verbreitet. "Sprachkenntnisse sind die wichtigste Herausforderung", sagt ifo-Forscherin Tetyana Panchenko der DW und fügt hinzu, dass "es nicht nur um Deutschkenntnisse geht, sondern auch um Englisch".

Viele Ukrainer und Ukrainerinnen aus dem Osten des Landes haben eher Russisch als Englisch gelernt. Unzureichende Sprachkenntnisse haben dazu geführt, dass ein Drittel der vom ifo-Institut Befragten bereit ist, eine Arbeit unterhalb ihres Qualifikationsniveaus anzunehmen.

Keine Nachweise von Abschlüssen

Mehr als 85 Prozent der vom ifo-Institut befragten Personen hatten entweder einen Hochschulabschluss oder eine Berufsausbildung. Doch um in Deutschland in einer regulierten Branche zu arbeiten, zum Beispiel als Lkw-Fahrer oder Apotheker, müssen die Bewerber ihre beruflichen Qualifikationen anerkennen lassen. Ohne die offizielle Anerkennung ihrer ukrainischen Zeugnisse dürfen sie in Deutschland nicht arbeiten - eine weitere Hürde für die Integration.

In Deutschland herrscht akuter Fachkräftemangel, zum Beispiel im Handwerk und in GesundheitsberufenBild: Monika Skolimowska/dpa/picture alliance

Doch auch ohne Qualifikationen oder Sprachkenntnisse können die Menschen Arbeit in Branchen wie der Altenpflege finden. Die alternde Bevölkerung in Deutschland hat einen besonderen Bedarf an Pflegekräften. Der Verband für häusliche Betreuung und Pflege (VHBP) warnt vor der möglichen Ausbeutung von ungelernten ukrainischen Flüchtlingen. Diese könnten bereit sein, für einen Bruchteil des regulären Lohns zu arbeiten, sagte der Geschäftsführer des Verbands, Daniel Schlör, der ARD.

Unternehmen wollen langfristige Perspektive

Es gibt aber noch ein weiteres großes Hindernis für eine erfolgreiche Arbeitssuche. Deutsche Personalverantwortliche befürchten, dass Flüchtlinge aus der Ukraine bald in ihr Heimatland zurückkehren wollen, ein Problem für die Unternehmen, die eine starke Fluktuation, insbesondere bei qualifiziertem Personal, vermeiden wollen. Sie sind oft nicht an Übergangslösungen interessiert, sondern bevorzugen stabile Arbeitsverhältnisse mit langfristiger Perspektive.

Olga Savitska, eine 21-jährige Übersetzerin und Grafikerin, kam im Februar nach Deutschland. Der DW sagt sie, dass ihre Arbeitssuche hier "schwierig" gewesen sei. "Ich bin wirklich besorgt und frustriert ", sagt Olga. "Es ist wirklich schwer, Kontakte zu knüpfen und etwas Passendes zu finden."

Olga Savitska findet die Arbeitssuche in Deutschland schwierig und frustrierendBild: privat

Verglichen mit dem Bewerbungsprozess in der Ukraine "sind die Rückmeldungen auf E-Mails und Telefonanrufe in Deutschland wirklich langsam", sagt sie. Weil sie bisher keine Vollzeitstelle finden konnte, überlegt Olga nun, sich stattdessen an Universitäten zu bewerben.

Privilegierte Flüchtlinge

Dabei profitieren die geflüchteten Ukrainer im Vergleich zu früheren Migrationswellen von einem strafferen Verwaltungsverfahren in Deutschland, das es ihnen ermöglicht, Arbeit und eine Wohnung zu finden, sich frei zu bewegen und Leistungen zu beantragen.

Das ist ein deutlicher Unterschied zu den Erfahrungen der Flüchtlinge, die 2015 aus dem Nahen und Mittleren Osten kamen.

"Die Genehmigungen und Papiere der Ukrainer werden für sie vorbereitet", sagt Abdullah Saleh, der 2015 nach Deutschland kam, der DW, und erklärt, dass er im Gegensatz dazu 18 Monate auf seine Anmelde- und Aufenthaltspapiere habe warten müssen.

"Ukrainer sind weiß. Es ist ziemlich klar, welchen Umgang sie bekommen ", sagt Abdullah. "Ich denke, es gibt einen großen Unterschied, wie Menschen aus dem Nahen Osten und Ukrainer in Deutschland behandelt werden."

Auch wenn das Verwaltungsverfahren für Ukrainer und Ukrainerinnen jetzt schneller ablaufe, sagt Andrij, sei es im Vergleich zu anderen europäischen Ländern immer noch "ein schrecklich langer Prozess", die für die Arbeit in Deutschland erforderlichen Dokumente zu erhalten. Er erzählt, dass seine Eltern seit drei Monaten warten und immer noch nicht die Papiere haben, die sie für den legalen Zugang zum Arbeitsmarkt benötigen.

Das Blatt wendet sich

Die EU-Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, verkündete vergangene Woche, die Zahl der ukrainischen Flüchtlinge, die in die EU kommen, sei auf das Niveau von vor der russischen Invasion zurückgegangen.

Nach EU-Angaben ist die Zahl der Ukraine-Flüchtlinge wieder auf das Vorkriegsniveau zurückgegangenBild: Sergei Grits/AP Photo/picture alliance

"Die Zahl der Grenzübertritte zwischen der EU und der Ukraine ist auf dem Vorkriegsniveau und auch dem Niveau vor der Corona-Pandemie. Das heißt, dass die Zahl der Grenzübertritte wieder im normalen Bereich liegt."

Rund die Hälfte der sechs Millionen ukrainischen Flüchtlinge, die seit Februar geflohen sind, sind nach Angaben der EU-Grenzschutzbehörde Frontex bereits in ihre Heimat zurückgekehrt. Für die vielen ukrainischen Flüchtlinge, die sich in Deutschland aufhalten, könnte die Wiederaufnahme des Schulbetriebs am 1. September ein entscheidender Faktor für die Rückkehr sein.