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Gesellschaft

Gesundheitssysteme in Afrika an ihren Grenzen

Martina Schwikowski
23. April 2020

Der Mangel an Intensivbetten und Testkapazitäten in afrikanischen Ländern sorgt Experten. Im Kampf gegen das Coronavirus braucht Afrika deshalb andere Strategien.

Kenia Corona-Pandemie
Bild: Getty Images/AFP/T. Karumba

Nur ein halbes Bett - das wäre für 1000 Nigerianer in den Krankenhäusern des riesigen westafrikanischen Landes im Notfall vorhanden. Das zumindest sind die offiziellen Zahlen der WHO. Im Osten des Kontinents, in Kenia, ist die Lage mit 1,4 verfügbaren Betten pro 1000 Einwohner demnach nur unwesentlich besser.

Bei den Intensiv-Betten sieht es noch düsterer aus: In 43 afrikanischen Ländern gebe es insgesamt weniger als 5000 Betten auf Intensivstationen, teilte die WHO vor wenigen Tagen mit. Das seien ungefähr fünf Betten für eine Million Menschen - im Vergleich zu 4000 Betten pro einer Million Einwohner in Europa.

Erschreckende Zahlen angesichts des sich auch in Afrika immer weiter ausbreitenden Coronavirus. Doch ob sie stimmen, weiß keiner so genau. Denn die Zahlen sind veraltet: Für Nigerias Erhebung gilt das Jahr 2005, Kenias Zählung der Krankenhausbetten geht auf das Jahr 2010 zurück, die aktuellsten Angaben für den Kontinent stammen aus dem Jahr 2011.

Wenig Tests - unzuverlässige Daten

Gleichzeitig wird bereits deutlich, dass die Gesundheitssysteme in Afrika an ihre Grenzen stoßen. "In Kenia ist das Gesundheitssystem, das stark strapaziert ist durch Erkrankungen wie Malaria, Cholera, HIV/Aids, schon jetzt mit der Krise überfordert", sagt Kathryn Tätzsch, zuständig für internationale Katastrophen bei der Kinderhilfsorganisation World Vision in Nairobi. Seit Januar steige die Zahl der Patienten mit potentiell tödlich verlaufenden Lungenentzündungen, aktuell liege sie bei knapp 300. "Auf Intensivstationen gibt es viel zu wenig Plätze und die Versorgung für einen Patienten inklusive Schutzanzug für Mitarbeiter kostet 1200 Euro pro Tag. Das ist immens für ein System, das jetzt schon mit vielen Problemen kämpft", sagt Tätzsch im DW-Interview.

Könnte Afrika das nächste Epizentrum der Pandemie werden?Bild: Getty Images/AFP/M. Spatari

Schon seit einiger Zeit warnt die WHO, dass Subsahara-Afrika zum nächsten Epizentrum der SARS-CoV-2-Pandemie werden könnte. Modellrechnungen gehen von mindestens 300.000 Todesopfern aus und mehr als 30 Millionen Menschen, die in der Folge in verschärfte Armut geraten könnten. Und es gibt ein weiteres Problem: "Die Testkapazitäten sind begrenzt, viele Länder haben erst einige Dutzend Tests ausgerollt. Kenia hat vor kurzem damit begonnen. Aber die Dunkelziffer der bestätigten Fälle ist viel höher", so Tätzsch.

In Kano, in Nordnigeria, ist die Lage ähnlich. DW-Korrespondent Nasir Salisu Zango: "Ärzte sagen, die Regierung ist nicht vorbereitet auf den Kampf. Das Pflegepersonal wird nicht sorgfältig arbeiten, weil ihre Sicherheit gefährdet ist. Die Angst ist groß, sich bei den Patienten anzustecken". Und auch hier seien die Informationen über die Zahl der Infizierten unzuverlässig.

Keine verlässlichen Quellen

Zu diesem Schluss kommen auch Forscher der London School of Hygiene and Tropical Medicine (LSHT): "Die Datenlage zur Zahl der mit dem Coronavirus infizierten Menschen und Behandlungskapazitäten in Afrika ist sehr lückenhaft", so Mitarbeiter Francesco Checci. "Das bedeutet, dass die Zahlen der Infizierten keine sehr verlässliche Quelle darüber bieten, wie stark die Übertragung des Virus passiert." Es sei auch schwierig festzustellen, in welchem Maße Kliniken, Ärzte und Pflegepersonal auf die Krise reagieren können, sagt Checci.

Warum fehlen verlässliche Daten zur Beurteilung der Situation? "Der Gesundheitssektor in Sub-Sahara Afrika ist unterbesetzt und mangelhaft ausgestattet. Also ist die Ausgangslage für eine Datenerhebung sehr schlecht", so Checci. Glücklicherweise gebe es aber Wege, den Datenmangel zu umgehen, damit auch die WHO, die Afrikanische Union (AU) und Afrikas Regierungen Entscheidungen treffen können. "Man kann mathematische Modelle nutzen, um Trends vorauszusagen und Strategien als Antwort auf die Krise zu wählen."

Der Gesundheitssektor in Sub-Sahara Afrika ist mangelhaft ausgestattetBild: Getty Images/AFP/Seyllou

Doch auch das berge Probleme: Denn die aktuellen Prognosen, die zur Corona-Pandemie in Afrika vorliegen, basierten auf Auswertungen der Krise in Europa und China, sagt Checci. In Afrika könnte sich die Lage jedoch anders entwickeln: Durch mehr Ansteckungen in städtischen Armutsgebieten beispielsweise und weniger Kranke auf dem Land.

Bei aller Ungewissheit stehe aber fest: "Wenn wir uns Prognosen zu Infektionen in Afrika anschauen, dann ist - bis auf wenige Ausnahmen wie Südafrika - klar: Wir stehen vor einem riesigen Berg, wenn wir die zu erwartenden, kritischen Fälle mit den vorhandenen Intensiv-Betten vergleichen", so Checci im DW-Interview.

Mehr auf Vorbeugung setzen

Checci sieht in dem derzeitigen Fokus der afrikanischen Regierungen auf bessere Versorgung deshalb ein Problem. "Das ist fast nicht machbar angesichts der zu erwartenden Krankenzahlen." Niemand wisse genau, in welchem Umfang Afrika auf die Pandemie vorbereitet ist. Daher bleibe als einzig sinnvolle Strategie die Vorbeugung. Checci sieht darin eine gute Möglichkeit, Ansteckungen zu senken.

Maßnahmen wie eine Selbstisolation der Erkrankten, Abstand einhalten und die Abschirmung von Hochrisiko-Gruppen seien erfolgversprechend. "Wenn alle drei Strategien gut kombiniert und befolgt werden, bieten sie eine Möglichkeit für die Regierungen in Afrika, den Druck auf die Gesundheitssysteme und die Todesraten zu senken, ohne monatelange Ausgangssperren und wirtschaftliche Schäden, die möglicherweise noch schlimmer sein könnten als das Virus selbst", sagt Checci.

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