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Schottland mixt Energie

14. April 2010

Schottland ist für seine raue Landschaft, wilde Küste und "schlechtes" Wetter bekannt. Was sonnenhungrige Urlauber eher abschreckt, könnte Europa in den kommenden Jahrzehnten Energiesicherheit bescheren.

Einfahrt zum Whitelee Wind Park, bei Glasgow, Schottland. Das Besucherzentrum dient als Informationszentrum und Ausbildungsstelle zu Themen rund um die Windenergie (Foto: Irene Quaile)
Der Whitelee Wind ParkBild: Irene Quaile

Knapp 15 Autominuten hinter der Großstadt Glasgow eröffnet sich eine andere Welt. Hinter dem denkmalgeschützten Dorf Eaglesham erstrecken sich weit und breit grüne Hügel. Hier und da weiden ein paar Schafe, man sieht einsame Bauernhäuser, in der Ferne eine Insel im Meer. Schottland wie im Bilderbuch – bis auf die dreiarmigen "Windriesen" - hohe Turbinen verteilt über das Torfmoor so weit das Auge reicht. 140 sind es insgesamt. Whitelee ist der größte am Festland gebaute Windpark Europas.

Der größte Onshore-Windpark Europas steht in Schottland

Minister Mather setzt auf einen EnergiemixBild: Scottish Parliamentary Corporate Body - 2008

Martin Mathers ist "Community relations manager" des erneuerbaren Energiesektors des schottischen Energiekonzerns Scottish Power Renewables. Laut Mathers produziert der Windpark über das Jahr genug Strom, um 180.000 Häuser zu versorgen. Und bald soll es noch mehr werden: In diesen Tagen hat die schottische Regierung einem weiteren Ausbau des Windparks zugestimmt. Das schottische Regionalparlament mit Sitz in Edinburgh unterstützt nach Kräften den Ausbau der erneuerbaren Energien.

Im schottischen Parlament in Edinburgh ist Jim Mather für diese ehrgeizigen Projekte zuständig, Schottlands Minister für Energie, Wirtschaft und Tourismus. Seine Partei, die Scottish National Party, lehnt die von der britischen Regierung in London propagierte Atomenergie ab. Er ist überzeugt, dass sein kleines Land die notwendigen Ressourcen hat, um nicht nur den eigenen Strombedarf mit erneuerbaren Energien zu decken, sondern auch die europäischen Nachbarn zu beliefern.

Die Gesetzgeber möchten ganz Europa mit Energie versorgenBild: Irene Quaile

Für Mather hat Schottland in Bezug auf Energie einen Sechser im Lotto gewonnen: "In der Vergangenheit profitierten wir von Kohle und Wasserkraft sowie von Öl und Gas aus der Nordsee. Jetzt stehen wir wir mit erneuerbaren Quellen sehr gut da. Wir besitzen ein Viertel des Windpotentials in ganz Europa, außerdem ein Viertel der europäischen Gezeiten- und Wellenkapazitäten. Sogar Sonnenenergie ist hier relevant, bei unseren langen Sommertagen. Es gibt viele Möglichkeiten, und wir treiben sie alle voran."

Strom aus auschließlich erneuerbaren Quellen - auch für den Export

Hinter Mathers Worten steckt mehr als nur politische Rhetorik. Neuere Studien geben dem Minister recht. Duncan McLaren, Geschäftsführer der Umweltorganisation Friends of the Earth in Schottland, bestätigt die Einschätzung der Regierung. Der Umweltschützer sieht Schottland in einer einmaligen Position: "Wir haben genug erneuerbare Ressourcen, um den nationalen Energiebedarf mehrfach abzudecken. Und wir haben hier einen realistischen Fahrplan, um Schottland zu einem der ersten Länder zu machen, die ihren Strombedarf ausschließlich aus erneuerbaren Quellen decken."

McLarens Meinung nach wird die schottische Regierung ihre ehrgeizigen Energieziele für 2020 sogar noch übertreffen. Bis dahin sollen circa 55% der Energie aus erneuerbaren Quellen kommen. McLarens Optimismus stützt sich auf neuere Schätzungen. Die beziffern die zukünftige Kapazität von Offshore Windanlagen – also von Windturbinen im Meer – auf 14 Gigawatt.

Whitelee Wind Farm hat 140 TurbinenBild: Irene Quaile

Im März 2010 wurden Lizenzen an Firmen vergeben, die bis zu 1.2 Gigawatt durch Wellen und Gezeitenkraftwerke produzieren sollen. McLaren macht die Größenordnung mit einem Vergleich deutlich: "Ein großes Kohle- oder Kernkraftwerk produziert um die 1.6 Gigawatt."

Mit Investitionen in diese neuen Technologien will das Land nicht nur den Eigenbedarf decken, sondern auch einen Beitrag zur Energiezukunft Europas leisten. Colin Imrie ist bei der schottischen Regierung für die Entwicklung der Energiemärkte zuständig: "In Schottland haben wir einige der wichtigsten Demonstrationsprojekte in Europa", erzählt Imrie nicht ohne Stolz. "Große Energiekonzerne aus mehreren europäischen Ländern engagieren sich jetzt im Pentland Firth, der Meerenge zwischen Nordschottland und den Orkneyinseln. Dort herrscht eine der stärksten Gezeitenströmungen der Welt. Sie wollen zeigen, dass die neuen Technologien kurzfristig einen bedeutenden Anteil am schottischen Strombedarf decken könnten. Längerfristig, also bis 2050, könnten sie sogar bis zu 10% des europäischen Energiebedarfs decken."

Eine der stärksten Gezeitenströmungen der Welt

Schottland hat großes Potential für GezeitenkraftwerkeBild: MCT Ltd

Ein Hauptproblem stellt allerdings die Verbindung mit dem nationalen britischen und dem europaweiten Stromnetz dar. Der Strom muss dahin gebracht werden, wo er gebraucht wird. Das Stromnetz muss verstärkt und modernisiert werden, um einen höheren Anteil an erneuerbarer Energie zu transportieren. "Erneuerbare sind variabler als die herkömmlichen Quellen", erklärt Duncan McLaren von der Umweltorganisation Friends of the Earth. Vor kurzem entschied die Regierung, die Überland-Hochspannungsleitungen durch Zentralschottland zu erneuern. Das Projekt wird kontrovers diskutiert. Gegner befürchten negative Konsequenzen für die Umwelt und die Tourismusindustrie. Friends of the Earth aber unterstützt die Maßnahmen im Interesse einer Versorgung mit klimaschonender, sauberer Energie.

McLaren macht sich für den nordeuropäischen Energieverbund stark, das "Nordseesupernetz". Das würde die schottischen Anlagen mit Großbritannien, aber auch mit Norwegen, Dänemark und den Niederlanden verbinden. "Wahrscheinlich würden die Leitungen auch die schottische Nordküste umrunden, um das Gezeitenkraftwerk der Pentland Firth Meerenge anzubinden und auch Irland mit einzubeziehen," erläutert der Umweltexperte.

Schottland ist nur ein kleines Land. Darin sieht Energieminister Mather allerdings auch Vorteile: Es sei dort wesentlich leichter, die unterschiedlichen Akteure zusammen zu bringen und wie in einem Labor neue Wege auszuprobieren.

Autorin: Irene Quaile
Redaktion: Fabian Schmidt