Ganz Schleswig-Holstein widmet sich wochenlang der Klassik. Weltstars wie Sol Gabetta, Anna Netrebko und Daniel Hope geben im Norden Deutschlands Konzerte. Der Festival-Intendant verspricht Unerwartbares.
Anzeige
202 Konzerte wird es beim 33.Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF) geben, nicht nur im Bundesland selbst, sondern auch im benachbarten Stadtstaat Hamburg, im Süden Dänemarks und im Norden Niedersachsens. Das toppt den Spielplan von 2017, wobei Festivalintendant Christian Kuhnt gegenüber der shz betonte: "Wir wollen keine Rekorde einstellen. Diese Zahl hat sich einfach ergeben."
Im Fokus: Der Romantiker Schumann
86 dieser Konzerte sind Robert Schumann gewidmet: Denn standen beim Festival einst Länderporträts im Fokus, sind es seit einigen Jahren Komponisten. In seinem Werk gebe es unendlich viel zu entdecken, so Kuhnt. "Nie konnten wir uns intensiver mit einem Komponisten auseinandersetzen. Beim Schumann-Schwerpunkt darf das Publikum das Unerwartbare erwarten."Das liegt auch an der ungewöhnlichen Biographie des Romantikers: Er war manisch-depressiv und verstarb 46-jährig in einer Heilanstalt für Geisteskranke. Und doch schuf er ein vielfältiges Werk in fast allen Genres. Teilweise spiegelt Schumanns Musik seine extremen Seelenlagen wider. Darüber hinaus war er ein begnadeter Schreiber und Musikjournalist, seine Schriften geben ein detailliertes Bild der damaligen Musikwelt wieder. So fällt es nicht schwer, Konzertprogramme mit und um Schumann zu erfinden - auch wenn er selbst es nie bis nach Schleswig-Holstein schaffte, sondern nur bis Hamburg kam. Ein Symposium und eine Ausstellung runden den Komponistenschwerpunkt beim SHMF ab.
Robert Schumann - der wohl romantischste aller Komponisten
Robert Schumann war ein genialer Komponist. Ein (gescheiterter) Pianist, Dichter und Musikjournalist. Und ein melancholischer, manisch-depressiver, von Selbstmordgedanken geplagter Mann mit bipolarer Störung.
Bild: picture-alliance/Luisa Ricciar
Das Schumann-Haus in Zwickau
Am 8. Juni 1810 wurde Robert Schumann in der kleinen sächsischen Stadt Zwickau geboren. Sein Vater August Schumann war Buchhändler, Verleger, Autor und Übersetzer und machte die englischen Dichter Lord Byron und Sir Walter Scott in Deutschland bekannt. August war ein Anhänger der Sturm-und-Drang-Bewegung, die die Ideale von Genie, Unschuld sowie der Heiligkeit von Liebe und Natur hochhielten.
Bild: picture-alliance/dpa
Der "lichte Punkt"
Der junge Robert Schumann hatte ein sonniges Gemüt - seine Mutter Johanna Christiane nannte ihn ihren "lichten Punkt". Nachdem er mit neun Jahren den Pianisten Ignaz Moscheles gehört hatte, forderte er von seinen Eltern ein Klavier - und improvisierte wie besessen darauf. Er war in der Poesie und der Musik gleichermaßen begabt. Mit 15 erlitt er erste Depressionen.
Bild: picture-alliance/akg-images
Virtuosen-Fabrik
Nach zwei Jahren Jurastudium in Leipzig und Heidelberg und einer Reise nach Italien entschied sich Robert als 20-Jähriger für die Musik. Er zog ins Haus des strengen Klavierlehrers Friedrich Wieck in Leipzig. Seine Finger schmerzten - mit einer Schlinge hielt er den vierten Finger der rechten Hand hoch, so dass die anderen Finger weiter üben konnten. Das führte zur Lähmung des Fingers.
Bild: picture-alliance/akg-images
Zum Komponieren verdammt
Aus war der Traum, ein Klaviervirtuose zu werden. Während einer tiefen Depression im Herbst 1833 erfolgte sein erster Selbstmordversuch. Robert Schumann konnte seine divergierenden Interessen und Stimmungsschwankungen nur durch kreative Arbeit - durch Komposition - in den Griff bekommen. Bereits erste Werke, etwa die "Abegg-Variationen" oder "Papillons", zeigten Meisterschaft.
Bild: Imago/Leemage
Verbotene Liebe
Auch Friedrich Wiecks Tochter Clara wurde von ihm musikalisch ausgebildet. Die Frühbegabte trat bereits als Kind auf. Zwischen Robert und Clara entwickelte sich eine Liebe, die ihre erste Äußerung 1835 fand, als er 16 Jahre alt war. Der Vater versuchte die Beziehung mit allen Mitteln zu unterbinden. 1837 verlobte sich das Paar heimlich. Erst 1840 durften sie durch Gerichtsbeschluss heiraten.
Bild: Imago stock&people
Über die Musik schreiben
Der junge, gesellige Schumann fand Anschluss an andere Künstler im Leipziger Lokal Kaffeebaum. Sie nannten sich "Davidsbündler" und liefen Sturm gegen künstlerische Kleinkariertheit, Mittelmaß und Spießbürgerlichkeit. 1834 gründete Schumann die Neue Zeitschrift für Musik, blieb darin als Musikjournalist zehn Jahre lang aktiv und prägte die Musikwelt durch seine Kritiken.
Bild: gemeinfrei
Produktive Flut
Anfangs schrieb Schumann hauptsächlich Klaviermusik. Nach der Heirat komponierte er allein im Jahr 1840 mehr als 130 Lieder. In den Jahren danach folgten Kompositionen fast aller Genres: eine Oper, vier Sinfonien, Chor- und Kammermusik. Auch Clara schrieb Musik, als Komponistin durfte sie jedoch nicht in Erscheinung treten. Er wollte zunächst auch nicht, dass sie ihrer Konzerttätigkeit nachging.
Bild: picture-alliance/akg-images
Kindersegen und seelische Plagen
Die Schumanns bekamen acht Kinder - aus Geldmangel musste Clara immer wieder auf Tournee gehen. Schumanns große Produktivität als Komponist in Leipzig und Dresden wechselte sich mit Phasen der Melancholie ab. Heute spricht man von einer "bipolaren Störung". Möglicherweise hatte auch eine frühere Syphilis-Erkrankung Auswirkungen auf seinen Zustand.
Bild: picture-alliance/akg-images
Kurzzeitiger rheinischer Frohsinn
1850 gingen die Schumanns nach Düsseldorf - als neuer städtischer Musikdirektor wurde Robert herzlich empfangen. Er ließ sich von der rheinischen Begeisterungsfähigkeit anstecken und komponierte unter anderem seine 3. Sinfonie, die "Rheinische". Bald bekam er dann aber Schwierigkeiten mit dem städtischen Chor und Orchester. Für die damit verbundenen organisatorischen Aufgaben war er ungeeignet.
Bild: Imago/Imagebroker/K. F. Schöfmann
Die Zukunft der Musik
1853 besuchte der junge Johannes Brahms die Schumanns in Düsseldorf - in einem Aufsatz kündigte Schumann ihn der Musikwelt als größten Komponist der Zukunft an. Durch den Kontakt erfuhr Schumann einen neuen kreativen Aufschwung. Im selben Jahr kam es zum Eklat bei Schumanns Stelle als Chorleiter: Er trat als Dirigent nicht mehr auf und stellte auch das Komponieren ein.
Bild: picture-alliance/akg-images
Letzter Wohnsitz
Schumanns Zustand verschlechterte sich schnell: Töne, die in seinem Kopf rasten, raubten ihm den Schlaf. Am 27. Februar 1854 stürzte er sich in den Rhein, wurde aber gerettet und nach Hause geschickt. Am 4. März wurde er in die "Anstalt für Behandlung und Pflege von Gemütskranken und Irren" in Endenich bei Bonn eingeliefert. Zweieinhalb Jahre später, am 29. Juli 1856, verstarb er dort.
Bild: picture-alliance/dpa
Grande Dame der Musik
Clara Schumann überlebte ihren Ehemann um 40 Jahre - und wurde zum Star der Musikwelt. Johannes Brahms war ihr mehr als freundschaftlich verbunden - die Liebe blieb wohl platonisch. Schumann und Brahms vernichteten Spätwerke Robert Schumanns, die ihnen wegen seiner fortschreitenden Krankheit minderwertig erschienen. Erst neulich haben Musikwissenschaftler Schumanns Schaffen neu bewertet.
Bild: Imago stock&people
Letzte Ruhestätte
Clara und Robert Schumann sind auf dem Alten Friedhof in Bonn begraben. Die Mittel für das schmucke Denkmal kamen bei einem großen Schumann-Fest im Jahr 1873 zusammen. Es wurde vom Bildhauer Adolf von Donndorf konzipiert und 1880 feierlich enthüllt. Clara und ihre Kinder waren zugegen. Heute ist das Grab eine Pilgerstätte für Liebhaber der Musik Robert Schumanns.
Bild: picture-alliance/dpa/S. Sauer
13 Bilder1 | 13
Zu den Künstlern, die Schumann-Werke interpretieren werden, zählen unter anderem die japanische Geigerin Midori, der österreichisch-britische Pianist Sir András Schiff, der junge kanadische Pianist Jan Lisiecki und Elisabeth Leonskaja, eine russische Pianistin von inzwischen legendärem Rang. Hinzu kommen die Dirigenten Christoph Eschenbach, Sir Antonio Pappano, Paavo Järvi, Thomas Hengelbrock und Vladimir Jurowski sowie Ensembles wie das Artemis Quartett, Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen und die Klangkörper des Norddeutschen Rundfunks.
Unvergessen: Leonhard Bernstein
Neben Schumann stehen beim diesjährigen Schleswig-Holstein Musik Festival noch zwei weitere Künstler im Rampenlicht: die Klarinettistin Sabine Meyer und der Komponist und Dirigent Leonard Bernstein.
Im Gründungsjahr 1986 erhielt das junge SHMF durch den Weltstar Leonard Bernstein internationalen Glanz. Ein Jahr später gründete der Dirigent das Schleswig-Holstein Festival Orchestra, das sich seitdem jedes Jahr bei 30 Proben in Asien, Amerika und Europa immer wieder neu zusammensetzt. Diesmal spielen 120 junge Musiker aus 25 Nationen einen Sommer lang im Klangkörper mit und werden unter anderem Gustav Mahlers Erste Sinfonie unter der Leitung von Christoph Eschenbach aufführen.
Bernstein, der 1990 verstarb, wird in diesem Jahr besonders geehrt: Am 25. August, seinem 100. Geburtstag, führt die Sinfonie der Nationen unter dem damaligen Festival-Gründer Justus Frantz Beethovens Neunte Sinfonie auf – an dem Ort, wo Bernstein selbst einst sein Festivaldebüt feierte: in der Ostseehalle in Kiel.
Mit 2.000 Veranstaltungen auf sechs Kontinenten ist die Bernstein-Begeisterung im Jubiläumsjahr weltweit groß – auch in Schleswig-Holstein. Bei der musikalischen Lesung "Nachtgespräche" wird seine Tochter Jamie Bernstein private Erinnerungen an ihren Vater teilen. Auf dem Gelände der NordArt in Rendsburg-Büdelsdorf finden unter dem Titel "The Big Bernstein" drei Konzerte statt: Hier spielen der amerikanische Organist Cameron Carpenter, der österreichische Perkussionist Martin Grubinger – und Sabine Meyer. "Ich freue mich auf die besondere Atmosphäre, die dort herrscht", sagt die deutsche Klarinettistin. Ganze 19 Konzerte steuert Meyer mit eigens entwickelten Programmen zum SHMF bei. Dazu gehört auch ein Workshop für junge Klarinettisten.
Große Namen, großartige Konzerte
Zu den Klassik-Promis, die sich angesagt haben, zählen der deutsche Startenor Jonas Kaufmann und der lettisch-deutsche Violinist Gidon Kremer. Auch "Nichtklassiker" wie der amerikanische Jazzgitarrist Pat Metheny und die deutsche Songschreiberin Judith Holofernes sind mit von der Partie.
Mit 202 Konzerten an 64 Orten, einem Jahresetat von 10,4 Millionen Euro und 190.000 angebotenen Eintrittskarten zählt das Schleswig-Holstein Musik Festival zu den größten Klassikfestivals weltweit. Das Konzept, Weltstars an ungewöhnliche Spielorte auch in ländlichen Gebieten einzuladen, sorgte im Gründungsjahr 1986 sofort für Begeisterung und fand viele Nachahmer.
Zur Eröffnung des diesjährigen SHMF am 30. Juni spielen das NDR Elbphilharmonie Orchester und die Cellistin Sol Gabetta im Lübecker Musik- und Kongresszentrum Werke von Robert Schumann, Hector Berlioz und Edward Elgar. Dort geht das Mammut-Fest dann 37 Tage später am 26. August bei einer Gala mit der russischen Opern-Diva Anna Netrebko zu Ende.