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"Schlimmer als nach dem 11. September"

19. April 2010

Der Ausbruch des isländischen Vulkans könnte zu einer wirtschaftlichen Katastrophe führen. Betroffen sind längst nicht nur die Fluggesellschaften. DW-WORLD.DE sprach mit dem Luftfahrtexperten Andreas Spaeth.

Andreas Spaeth, freier Journalist und Experte für Luftfahrtbranche (Foto: Andreas Spaeth)
Andreas Spaeth, freier Journalist und Experte für LuftfahrtbrancheBild: Andreas Spaeth

DW-WORLD.DE.: Herr Späth, wie hoch ist der wirtschaftliche Schaden durch das Flugverbot?

Andreas Späth: Das kann man im Moment noch nicht genau beziffern. Es gibt eine Menge Zahlen, die kursieren. Die IATA, der Weltlinienluftverkehrsverband, schätzt im Moment etwa 150 Millionen Euro pro Tag. Die KLM sagt, dass sie auch fünf bis zehn Millionen Euro am Tag verliert, allein schon durch die ganzen Dinge, die sie für die Passagiere machen müssen, also Hotelzimmer bereitstellen, Essen und so weiter. Also es kommt eine Menge zusammen.

Viele Airlines schrammen doch kurz an der Pleite vorbei. Geraten die jetzt ernsthaft in Gefahr?

Das ist sicherlich ein Szenario, was in wenigen Tagen sehr ernst werden könnte, ja. Es kann im Moment keiner absehen, ob die Krise noch ein paar Stunden, ein paar Tage oder ein paar Wochen dauert. Es ist wirklich sehr schwer vorauszusagen. Die Tatsache ist aber, dass es gerade in Europa einige Gesellschaften gibt, die wirtschaftlich ohnehin schon sehr schwach auf der Brust sind. Zum Beispiel die SAS ist ein Kandidat, der sicherlich ein großes Problem hat. Die haben auch bereits angekündigt, dass sie ab heute (19.04.2010), wenn also die Flugverbote ab heute weiter gehen, bis zu 2500 Mitarbeiter entlassen werden in Norwegen. Andererseits in Deutschland zum Beispiel die Lufthansa, die Air Berlin sind relativ gut aufgestellt, die könnten das sicher einige Zeit länger verkraften, ohne massive Eingriffe machen zu müssen. Aber selbst die haben einfach in einer Branche wie der Luftfahrt, wo die Gewinnmargen immer sehr gering waren, auch nicht extrem viel zuzusetzen. Also die große Frage ist eben, wie lange dieses Problem überhaupt bestehen bleibt und das kann man im Moment einfach nicht voraussagen.

Jetzt schauen wir mal über den Tellerrand der Luftfahrtbranche hinaus. Welche Branchen sind denn neben den Airlines betroffen?

Also ist habe zum Beispiel gerade gesprochen mit Lufthansa Cargo, die ja der größte deutsche Frachtversender sind, wo sehr viele andere Branchen mit dran hängen. Und die haben mir auch zwei Beispiele genannt, wo es wirklich auch schon dieser Tage für den Verbraucher sehr schnell zu merken sein wird. Schon heute sagen die, wird es in vielen Supermärkten keine exotischen Fische mehr geben, so wie Viktoria-Barsch aus Afrika, ist hier sehr verbreitet. Den wird es heute schon kaum mehr frisch geben, weil der normalerweise eingeflogen wird. Selbes Thema sind frische Blumen, die kommen vor allem aus Ecuador und aus Kenia nach Europa, nach Deutschland.

Leittragende sind ja dort die Produzenten in den entsprechenden Ländern.

Absolut, weil natürlich dort einfach die Sachen auch verrotten. Sie müssen sich überlegen, dass in den Kühlhäusern in Äthiopien, in Kenia, aber auch in Ecuador, hunderttausende, bald Millionen von Rosen liegen, oder auch von Fisch, der bereits in Spezialverpackung mit Trockeneis abgefüllt ist zum Versand nach Europa. Und die müssen alle vernichtet werden, weil man sie nicht mehr wegschicken kann. Und niemand weiß im Moment, wann es weitergeht. Lufthansa Cargo hat gestern mit Sondergenehmigung ein paar Flüge gemacht, aber die sagen eben auch, dass ein Großteil ihres Aufkommens, nämlich 50 Prozent dessen, was normalerweise per Luftfracht transportiert wird, wird auf Passagierflügen transportiert, im Frachtraum der Passagiermaschinen. Und da die eben überhaupt nicht fliegen, geht da eben auch gar nichts. Also das kann eine fatale Kette werden, die unter Umständen eine Menge Branchen betrifft. Gar nicht zu vergessen die Tourismusbranche. Auch eine Menge Reiseveranstalter, auch gerade in ferneren Ländern, die auf Tourismus angewiesen sind, die werden genauso bald das ganz massiv merken, wenn es so weiter geht.

Wie sieht es denn aus für Deutschland als Exportnation? Wird ein wesentlicher Teil des Warenverkehrs durch die Luft abgewickelt?

Also der Luftfrachtanteil am Export betrifft 35 Prozent in Deutschland. Das ist natürlich ein relativ hoher Prozentsatz, wobei da natürlich auch sehr viel "just in time-Sachen" betroffen sind, die überhaupt nur versendet werden können, weil sie eben sehr schnell versendet werden können, normalerweise. Wenn das nicht der Fall ist, wird es sicherlich Branchen geben, das reicht sicherlich von Chipherstellern bis zu Pharmaherstellern, die möglicherweise auch ein Problem kriegen, weil sie eben ihre Waren gar nicht mehr an den Mann bringen können in aller Welt, weil es eben keine Alternativen gibt.

Wer sind denn die Gewinner dieser Krise? Die gibt es doch sicherlich auch.

Interessanterweise Anbieter von Geräten und Leitungen für Videokonferenzen. Da war schon letzt Woche die Rede, dass die 40 Prozent Zuwachs verzeichnen. Andere sind zum Beispiel Busreisen-und Mietwagenfirmen, die Bahn sowieso. Also da gibt es sicherlich einige kurzfristige Gewinner.

Gibt es aus Ihrer Sicht ein Art Deadline, einen Stichtag, nach dem dann wirklich unwiderrufbare Entscheidungen fallen?

Nein, das ist sicherlich total individuell, weil es so was noch nie gegeben hat und es auch wirklich sehr schwer ist im Moment einzuschätzen, was es für Auswirkungen mittel- und langfristig haben wird. Es ist aber Tatsache, dass die Airlines schon heute sagen, jetzt schon, heute, Stand am Montag, dass die Auswirkungen auf jeden Fall viel schlimmer sind als sie am 11 September 2001 und danach waren.

Das Gespräch führte Klaus Ulrich

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