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Politik

"Schmalbart": Besuch bei den Anti-Populisten

Helena Kaschel
16. Januar 2017

Zum ersten Mal haben sich Mitstreiter des "Schmalbart"-Netzwerks getroffen, einer Plattform gegen Populismus und Desinformation. Können Linke und Konservative, Digital-Strategen und Offliner gemeinsam etwas verändern?

Deutschland Schmalbart-Camp
"Schmalbart" tagt im Barcamp-Stil: Wie viel Zeit für die jeweilige Sitzung noch bleibt, wird auf einem Tablet angezeigtBild: DW/H. Kaschel

Am Fenster fliegen dicke Schneeflocken vorbei, drinnen gibt es Kaffee und Softdrinks. Der "Innospace"-Raum im obersten Stockwerk des "Betahauses" in Berlin-Mitte ist rappelvoll: Etwa 100 Menschen mit Namensaufklebern auf der Brust diskutieren in Kleingruppen an weißen Stehtischen - junge Frauen mit Jutebeuteln, Senioren, Mittdreißiger mit Laptop und Kapuzenpulli. Ein Kleinkind fährt mit einem Roller Slalom, es fallen Wörter wie "Postdemokratie" und "Gamification".

Auch die Medien sind vor Ort. Für sie - und alle anderen - gelten klare Regeln: Keine Fotos ohne Absprache, keine Audio- und Videoaufnahmen, keine Verbreitung von sensiblen Informationen über die Veranstaltung auf Twitter. Man ist vorsichtig, denn die Gegner von "Schmalbart" bringen sich in den sozialen Netzwerken schon in Stellung.

80 Prozent IT- und Kommunikationsprofis

Durchlässigkeit als Konzept: Das "Coworking space" Betahaus wird häufig für kreative Veranstaltungen genutztBild: DW/H. Kaschel

10 Uhr: Auftritt Christoph Kappes. Der Hamburger IT-Unternehmer ist der Grund, warum das "Camp" überhaupt stattfindet. Vor kurzem hat er "Schmalbart" als Plattform gegen Populismus und Desinformation und für eine bessere Streitkultur im Netz initiiert - ursprünglich als Reaktion auf die geplante Expansion des rechtspopulistischen US-Mediums "Breitbart News" nach Deutschland. Stolz präsentiert Kappes auf dem Podium die wichtigsten Daten: "Schmalbart" ist zu zwei Dritteln männlich, die Mitstreiter kommen aus ganz Deutschland, auch einige Österreicher sind dabei. Rund 80 Prozent arbeiten in der IT- oder Kommunikationsbranche.

Es gebe aber auch Interessierte, die gar nicht im Internet unterwegs seien, so Kappes. "Wir sind ein bunt zusammengewürfelter Haufen, eine Mini-Gesellschaft. Versucht also nicht ständig Konsens herzustellen." Zu Beginn war nur ein harter Kern von Aktivisten an der Planung beteiligt. Weil aber aus der Vision möglichst schnell Wirklichkeit werden soll, hat Kappes ins Betahaus eingeladen. Bis zum Abend wollen die Mitstreiter Projekte, Strategien und Formate entwickeln.

Gegen Mittag geht es los. Die Veranstaltung ist als Barcamp konzipiert: In verschiedenen Räumen finden zeitgleich "Sessions" statt, in denen Projekte ergebnisoffen vorgestellt und weiterentwickelt werden. Auch lockere Diskussionsrunden stehen auf dem Programm.

Aufklärung per Download

Können Web-Tools wie etwa Browser-Add-ons gegen Populismus helfen? Die Gruppe ist sich noch uneinigBild: DW/H. Kaschel

In Raum D denkt eine Gruppe über ein Browser-Add-on nach. Die Idee: In populistischen Online-Artikeln Argumentationsfehler kenntlich machen, und zwar auf Grundlage der Lehrplans für die 9. Klasse: Aufklärung per Download sozusagen. "Populistische Texte im Netz sind oft intellektuell unredlich, und das macht mich einfach wütend", sagt Thomas Bayer*. Von ihm kommt der Vorschlag für das Add-on.

Die anderen in der fünfköpfigen Gruppe sind noch skeptisch. Wäre die Installation nicht eine zu große Hürde? Wird es eine Redaktion geben? Und wer ist überhaupt die Zielgruppe? Wahrscheinlich erreiche man ohnehin nur die, die an Transparenz interessiert seien, gibt Bayer zu. Ein wenig hofft er "auf ein konservatives Bildungsbürgertum, das sich nicht verarschen lassen will. Vielleicht entdecken ja auch ein paar Lehrer das Add-On und benutzen es im Unterricht".

"Wir müssen genau so gut vorbereitet sein wie die"

Im Nebenraum ist es so voll, dass die Hälfte der Teilnehmer stehen muss. Christoph Giesa beantwortet Fragen im Accord. Der 36-jährige Publizist mit der exzentrischen Brille ist auf dem Camp ein gefragter Mann: Schon vor zwei Jahren hat er ein Buch über rechte Strömungen in der gesellschaftlichen Mitte geschrieben - und seitdem auf ein Projekt wie Schmalbart gehofft. "Ich war irgendwann verzweifelt, weil sich nichts getan hat. Jetzt bin ich einfach nur froh, dass überhaupt irgendwas passiert", sagt Giesa. Bei dem Camp will er unter anderem eine App "zum Umgang mit rechten Multiplikatoren" weiterentwickeln.

"Die Gefahr ist, dass wir uns bestimmte Diskurse aufdrücken lassen", meint Autor Christoph GiesaBild: DW/H. Kaschel

Die "Schmalbart”-Mitstreiter wollen von ihm viel wissen: Welche Ziele haben AfD- und Pegida-Anhänger wirklich? Wie kann man mit ihnen konstruktiv diskutieren? Wann ist es notwendig, eine Debatte abzubrechen? Man müsse wissen, mit wem man es zu tun habe, sagt Giesa. Darum ist er hier. "Wir müssen genau so gut vorbereitet sein wie die."

Wir und die - das hört man an diesem Tag häufig. Aber führt Abgrenzung nicht zu noch härteren Fronten? Verfehlt die Initiative, die sich Sachlichkeit und eine bessere Debattenkultur auf die Fahne geschrieben hat, damit nicht ihr Ziel? "Die vielen Projekte sind ja pluralistisch”, argumentiert Giesa. Für Christoph Kappes ist die Abgrenzung ein Dilemma. "Schmalbart" müsse klarmachen, "dass wir nicht eins sind".

Zwischen "Chaos Computer Club" und Heimatverein

Tatsächlich wird genau das an diesem Tag immer wieder deutlich. Es gibt Projekte zu Psychotargeting, Quellenüberprüfung, Datenvisualisierung und Medienkompetenz in der Schule. Für eine Faktendatenbank und ein satirisches Format werden konkrete Ideen entwickelt. Ein Social-Media-Training steht ebenso auf der Tagesordnung wie die Frage, wie man Filterblasen durchbrechen kann. Eine Gruppe denkt darüber nach, "Schmalbart” nach England, Frankreich, Ägypten zu bringen.

In 24 Sessions und Diskussionsrunden werden unermüdlich Schaubilder gezeichnet, Post-Its beschrieben, Strategien besprochen und Konzepte erarbeitet. Es wird aber auch intensiv über das Selbstverständnis von "Schmalbart" diskutiert. Viele Mitstreiter haben einen ähnlichen Bildungshintergrund, hinsichtlich der Erwartungen und politischen Standpunkte gibt es aber große Unterschiede. Auch bringen längst nicht alle das gleiche technische Wissen mit - ab und zu wirkt das "Schmalbart"-Camp wie eine Mischung aus "Chaos Computer Club” und Heimatverein.

Als heterogene Gruppe an einem Strang ziehen? Bei "Schmalbart" sind nicht nur verschiedene Altersgruppen vertretenBild: DW/H. Kaschel

Ritterschlag: "Breitbart" reagiert

Startet "Schmalbart" eine soziale Bewegung oder wird das Netzwerk zur zerstrittenen Opposition? Am Ende des Tages bleiben viele Fragezeichen. Christoph Kappes ist trotzdem zufrieden. Das Camp habe viele neue Projekte angeschoben. Dass "Schmalbart” mit wachsender Medienaufmerksamkeit zunehmend Gegenwind bekommt und das Hashtag #schmalbart über den Tag hinweg für verbale Angriffe auf das Projekt benutzt wurde, sieht er gelassen: "Es ist mein Job, keine Angst zu haben."

Einen Tag später ist es soweit: Das mächtige Portal "Breitbart News" reagiert zum ersten Mal auf "Schmalbart". Auf der Webseite ist von "klammen Linken” die Rede, die für eine Anti-Breitbart-Seite Geld verlangen würden - ein Lehrstück in der "Methode Breitbart", sagt Kappes. "Es wird nicht gefragt und nicht recherchiert, die Realität wird passend gemacht, bis sie Vorurteile bedient - den Rest erledigen dann die Kommentatoren. So läuft Breitbart. Wir sind gespannt, welcher Spin als nächster kommt." Bis dahin feilt "Schmalbart" weiter an der richtigen Strategie. Konkret wird es im kommenden Monat: Ende Februar soll die Faktenbank online gehen.

*Name geändert

Wir begleiten die Entstehung von "Schmalbart" mit einer Serie. Hier lesen Sie Teil eins.

Hier sehen Sie das gesamte DW-Special zu Fake-News:

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