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Politik

Im Kohlestollen sind alle gleich

20. Dezember 2018

Vor der Hacke ist alles schwarz und dahinter alle gleich. Im deutschen Bergbau haben schon immer Kumpels aus vielen Nationen zusammen gearbeitet. Doch mit der Integration im Schacht lief anfangs nicht alles glatt.

Steinkohlebergbau im Ruhrgebiet
Bild: picture-alliance/dpa/F. Heyder

Im Bergbau ist es egal, wo man herkommt, welche Hautfarbe man hat oder zu welchem Gott man betet, heißt es bei den Bergarbeitern im Ruhrgebiet. Mehrere hundert Meter tief im Schacht, dort wo es bis auf das schwache Licht der Grubenlampen stockfinster ist, wo der alles bedeckende Kohlestaub jedermann gleich aussehen lässt, gibt es keinen Platz für Ego-Trips. Hier muss man sich aufeinander verlassen können. Macht ein Kumpel einen Fehler, kann das für einen anderen tödlich enden. "Wenn du dir mit den Hammer auf den Daumen haust - Pech gehabt. Aber wenn du sonst nicht aufpasst, dann ist dein Kumpel neben dir betroffen oder andere", sagt der frühere Bergbau-Schichtleiter Wolfgang Hill der DW. "Man muss sich zusammenreißen bei der Arbeit. Die Absprache untereinander ist im Bergbau schon anders." 

Auch wegen dieser Solidarität unter der Erde ist hier leichter gelungen, was an der Oberfläche Deutschlands nur schleppend funktioniert - die Integration von Menschen aus verschiedenen Ländern. So entwickelte sich das Ruhrgebiet mit seinen rund fünf Millionen Einwohnern zu einem Schmelztiegel der Kulturen. Die Eingliederung vor allem polnischer und türkischer Arbeitskräfte sorgte für einen gesellschaftlichen Wandel, der weit über den Ballungsraum des sogenannten Kohlenpotts hinausreicht.

Die Kumpel müssen sich unter Tage aufeinander verlassenBild: picture-alliance/United Archives/S. Pilz

Die Integrationsgeschichte des deutschen Bergbaus wurde in den Zechen von Essen, Dortmund, Bochum, Duisburg, Bottrop oder Gelsenkirchen geschrieben. Und sie ist auch das Resultat von Fehlern, aus denen man lernte - wenngleich nur zögerlich.

Eine polnische Parallelgesellschaft

Die Geschichte beginnt in den 1870er Jahren mit der ersten Phase der Zuwanderung ausländischer Arbeiter. Nach Gründung des Deutschen Kaiserreiches erlebt die Wirtschaft beflügelt von Großmachtträumen einen rasanten Aufschwung. Der Energiehunger der boomenden Schwerindustrie muss gesättigt werden. Das Ruhrgebiet mit seinen scheinbar unerschöpflichen Steinkohlevorkommen ist für die junge, ehrgeizige Nation von entscheidender Bedeutung. Neue, große Schachtanlagen und Hüttenwerke werden gebaut; mehr Arbeitskräfte benötigt, als der deutsche Arbeitsmarkt hergibt: "Menschenmaterial' für die Zechenbarone.

Die Lücke füllen vor allem polnisch-sprachige Zuwanderer aus den preußischen Ostprovinzen und dem heutigen Polen. Bis zum Ersten Weltkrieg sind es rund 450.000. Ihr Anteil an der Belegschaft liegt teilweise bei mehr als 60 Prozent. In einigen Städten entstehen regelrechte polnisch-sprachige Kolonien.

"Die polnischen Arbeiter und die polnisch-sprachigen Migranten hatten ihre eigenen Vereinsstrukturen, ihre eigene Zeitung, ihre eigene Gewerkschaft, ihre eigene Bank", sagt der Historiker Christoph Seidel von der Stiftung Geschichte des Ruhrgebietes im DW-Gespräch. "Das war ein relativ stark abgeschlossenes Milieu."

Teilweise ist das darauf zurückzuführen, dass sich die Zuwanderer an die neue Umgebung gewöhnen müssen. Zudem haben Unternehmer und Politiker keine Integrationsstrategie; was wahrscheinlich auch nicht gewollt ist. Größtenteils sei die Bildung von Parallelgesellschaften "auch eine Reaktion auf die immer stärker anti-polnische Politik der Regierung gewesen", erklärt Seidel. Außerdem schauen die deutschen Bergleute auf die polnisch-sprachigen Zuwanderer herab. In einigen Orten des Ruhrgebiets kommt es zu kulturellen und religiösen Konflikten zwischen mehrheitlich protestantischen deutschen Einwohnern und konservativ-katholischen Zuwanderern.

Rückkehr in die Heimat

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zieht es die meisten polnisch-sprachigen Zuwanderer in den neu geschaffenen polnischen Nationalstaat oder in andere europäische Kohlereviere. Nur etwa ein Drittel von ihnen bleibt in den 1920er Jahren im Ruhrgebiet. "Diese Menschen hatten eine hohe Anpassungsbereitschaft, wobei es auch einen relativ hohen Anpassungsdruck gab", sagt der Historiker Seidel. Diese sogenannten "Ruhrpolen" assimilieren sich stärker als zuvor. Sie werden zu einem festen Bestandteil des Ruhrpotts, der immer mehr von Migration geprägt wird.

In den 1950er Jahren startet die nächste große Zuwanderungsphase. Deutschland erfindet sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit Hilfe der westlichen Alliierten neu. Teilweise noch aus den Weltkriegsruinen heraus entsteht der wirtschaftliche Wiederaufstieg – das deutsche "Wirtschaftswunder". Wieder sucht das Ruhrgebiet Arbeitskräfte. 1955 beginnt Deutschland mit der Anwerbung der sogenannten "Gastarbeiter". Es werden Abkommen mit Italien, Spanien und 1961 auch mit der Türkei geschlossen. Schnell entwickeln sich die Türken zu stärksten Migrantengruppe.

Gekommen, um zu bleiben

"Man ging davon aus, dass diese Arbeitskräfte Wanderarbeiter sind, die für ein halbes Jahr oder ein Jahr in die Bundesrepublik und in den Bergbau kommen und dann wieder in die Türkei zurückgehen" erklärt Christoph Seidel von der Stiftung Geschichte des Ruhrgebietes. Deshalb fehlten Integrationsmaßnahmen, die über den Arbeitsplatz hinausgehen. "Um die Gastarbeiter hat man sich in den 1960er-Jahren wenig gekümmert", schlussfolgert Seidel.

Erschöpfte Kumpel nach Schichtende: Gastarbeiter aus der Türkei von der Zeche Neu-Monopol in BergkamenBild: picture-alliance/dpa/Schulte

Das ändert sich erst in den 1970er-Jahren, in denen das Offensichtliche nicht mehr zu übersehen ist: Die vermeintlichen Wanderarbeiter sind gekommen, um zu bleiben. Mittlerweile haben Deutschlands Unternehmer und Politiker aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und denken um. Es kommt zu Familiennachzug, Daueraufenthalt und Einbürgerung von Gastarbeitern. Die neu gegründete Ruhrkohle AG bietet ihren ausländischen Mitarbeitern, die sich zu unverzichtbaren Leistungsträgern entwickelt haben, Sprachkurse, Rechtsberatung und Ausbildungsprogramme an. Es gibt türkisch-sprachige Betriebszeitungen, Fußballvereine werden zu wichtigen Integrationsfaktoren.

Integration mit Wohnungspolitik

Eine neue Wohnungspolitik soll eine Ghettobildung wie bei den früheren polnisch-sprachigen Arbeitern verhindern. "Der Bergbau verfügte über eine große Zahl von Werkswohnungen", sagt Seidel. Als die türkischen Bergarbeiter ihre Familien nachholten, "konnten diese nicht mehr in den Ledigen-Heimen wohnen, sondern sie brauchten Familien-Wohnraum. Und so hat man türkische Bergarbeiterfamilien in Werkswohnungs-Siedlungen integriert." Bei der Vergabe der Wohnungen achten die Betreiber auf eine  Durchmischung deutscher und türkischer Mieter.

Marokkanische Gastarbeiter tragen 1963 auf einer Essener Schachtanlage eine helle Schutzsalbe auf, die sie beim Kohleabbau tragen müssenBild: picture-alliance/H. Ducklau

Für die türkischen Bergleute gibt es erstmals langfristige Perspektiven. Ihre Kinder bekommen in aller Regel eine Ausbildungsstelle bei der Ruhrkohle AG – wie die einheimischen Mitarbeiter, die den Bergbau allerdings zunehmend verlassen, weil sie in der kriselnden Industrie keine Zukunft mehr sehen. Das Ruhrgebiet wandelt sich nun vollends zum Schmelztiegel der Kulturen, mit einer ganz eigenen Sprache - einer Mixtur aus deutschen Dialekten und ausländischen Wörtern. "Wir waren immer ein ganz gemischter Haufen", erzählt der ehemalige Steiger Wolfgang Hill. "Deshalb ist dieser Bergarbeiter-Slang mit seinen speziellen Begriffen entstanden wie der Boden ist die Sohle, die Decke das Hangende."

Die Veränderung ist heute auch in der Bildung spürbar. Wenn Historiker Seidel seine Vorlesungen an der Ruhr-Universität zum Thema Bergbau-Beschäftigte hält, "dann sitzen dort oft die Enkelinnen und die Enkel der ehemaligen türkischen Bergarbeiter, die ein generationsübergreifenden Bildungsaufstieg erlebt haben." 

Allerdings sei die Kohle-Branche keine Insel der Seligen: "Die Spannungen in der Gesellschaft um das Thema Migration seit den 1970er und 1980er Jahren haben sich auch im Bergbau niedergeschlagen", resümiert Seidel. Grundsätzlich könne man aber sagen, "dass es - zumindest was die betriebliche Integration der türkischen Beschäftigten angeht - im Bergbau sehr viel besser gelaufen ist als in anderen Bereichen."

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