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"Theaterkunst" Kostümhaus

10. Februar 2010

Was wäre Ulrich Tukur alias "John Rabe" ohne gutsitzenden Frack? Was Joseph Fiennes als "Luther" ohne seine Kutte? Die Verpackung macht's. Möglich macht es "Theaterkunst" in Berlin - Deutschlands größtes Kostümhaus.

Samtmantel, hergestellt bei Theaterkunst - das größte Kostümhaus Europas schneidert seit mehr als 100 Jahren Kostüme für Bühnen- und Filmstars. Copyright: Theaterkunst
Schick in Samt und SeideBild: DW

Mit Metropolis begann der Film: Als sie 1925 die Ausstattung für Fritz Langs Science-Fiction-Epos fertigten, da bestand "Theaterkunst" schon fast zwanzig Jahre. Deren Schneiderinnen, Kulissenmaler und Requisiteure, die Putz- und Hutmacher hatten zuvor vor allem die in der Weimarer Republik so beliebten Revuen und Theater mit Kostümen und Accessoires ausgestattet. Jetzt aber entdeckte man die Chancen der neuen großen Kinoproduktionen.

Schauspielerin Henny Porten (1931) bei der KostümprobeBild: Theaterkunst

Die Stars der Zeit - von Marlene Dietrich und Elisabeth Bergner über Emil Jannings und Hans Albers bis zu Ernst Deutsch und Albert Bassermann – wurden von den Kostümschneidern in der Schwedter Straße in Berlin eingekleidet. Man arbeitete mit Regisseuren wie Ernst Lubitsch, Max Ophüls oder Josef von Sternberg zusammen. Die Firma expandierte, wurde auch international bekannt und überstand politisch schwierige Zeiten, den Krieg und die Nachkriegsjahre.

Stolze Liste

Originalkostüme aus "Das weiße Band"Bild: DW

Heute ist die Liste der von "Theaterkunst" ausgestatteten TV-, Werbe- und Kinoproduktionen stolze 34 Seiten dick. Allein die aktuellsten Angaben lesen sich wie ein "Who is Who" des deutschen und internationalen Films: "Das weiße Band", "Der Vorleser", "Buddenbrooks", "Der Baader-Meinhof-Komplex", "John Rabe", "Sophie Scholl", "Goodbye Lenin", "Der Pianist". Die Kostüme des amerikanischen Films "Ein russischer Sommer" hängen noch auf Kleiderstangen im Fundus. "Sie konnten noch gar nicht einsortiert werden, es ist einfach zu viel los", sagt Nikola Fölster, die stellvertretende Kostümleiterin.

In den frühen Jahren waren vor allem historische Kostüme und Uniformen gefragt. Heute wird dagegen moderne, oft auch getragene Kleidung gebraucht. Nicht alles wird in der "Theaterkunst" neu geschneidert, vieles aus dem Fundus vermietet. "Wir archivieren auch Kostüme, die wir aus historischen Sammlungen oder von modernen Modedesignern zur Verfügung gestellt bekommen", erzählt Nikola Fölster. Kein Wunder, dass die Räumlichkeiten im Berliner Stadtteil Wilmersdorf kaum noch ausreichen.

Drunter und drüber

Labyrinth Kostümfundus.Bild: DW

Der Fundus wirkt wie ein gigantischer Flohmarkt, ein Labyrinth, durch das säuberlich beschriftete Kärtchen den Weg weisen: in großen Räumen und langen Gängen hängen auf tausenden von Kleiderbügeln Sakkos und Röcke, Blusen und Hemden. In Regalen und Schubladen, übersichtlich sortiert, finden sich Hüte, Taschen, Schmuck, Manschettenknöpfe, Krawatten, Sonnenbrillen, Schlafanzüge, Schuhe und – nicht zu vergessen – Dessous. Insgesamt mehr als 10 Millionen einzelne Teile. Dies alles steht den Kostümbildnern zur Verfügung, wenn sie hierher kommen und Material für Filmproduktionen suchen. Nikola Fölster: "Wir helfen ihnen. Mit Recherchen, Ideen, bei der Materialbeschaffung".

Auf der Suche nach dem richtigen Accessoire: Nikola FölsterBild: DW

Für Massenware indes fühlt man sich bei der "Theaterkunst" nicht zuständig: Kostüme für hunderte von Komparsen, Uniformen in großer Anzahl – all das gibt es, wie Nikola Fölster sagt, in Osteuropa oder Ostasien preisgünstiger. "Zu uns kommen die Kostümbildner, wenn sie die Anfertigung für eine Hauptrolle brauchen". Und außerdem: Masse statt Klasse ist für das traditionsreiche Unternehmen keine Alternative: "Wir haben einen Ruf und eine Tradition – das wissen unsere Kunden zu schätzen".

Der Morgenmantel der Konsulin

Im ersten Stock dampfen Bügeleisen, klappern Scheren, rattern Nähmaschinen. Mitarbeiterinnen sind mit dem Zuschneiden, Nähen und dem Aufbügeln von Kostümen beschäftigt. Gewandmeisterin Regina Pletscher arbeitet schon seit 36 Jahren in der Firma. "Mir macht es immer noch Spaß", sagt sie und zeigt stolz auf die Büste mit einem bodenlangen, eleganten, schwarzweißen Morgenmantel. Ihr Prunkstück: Den trug Iris Berben als Konsulin Buddenbrook in der Thomas-Mann-Verfilmung von Heinrich Breloer.

Große RobenBild: DW/Rabitz

Die Arbeit im Fundus ist dagegen nicht nur reine Freude. "Sie ist sehr mühevoll und besteht aus ständigem Aufräumen und Sortieren", erzählt Nikola Fölster beim Rundgang.

Löcherige Pullover

Sechs bis acht Wochen dauert es vom ersten Besuch des Kostümbildners hier bis zur Zusammen-, oder Fertigstellung der Kleidung für die Schauspieler. Immer häufiger wird die Zeit knapp, werden Produktionen kurzfristig anberaumt und besetzt, so bleibt gelegentlich nur eine Woche für die Vorbereitung. Wenn ein Film abgedreht ist, kommt das Material zurück, wird gereinigt, ausgebessert, und wieder auf die Kleiderstangen gehängt. Nur nicht die Textilien, die in einem kalten Kellerraum untergebracht werden: Löcherige Pullover, abgewetzte Jacken, ausgeblichene Hemden. Sie werden gebraucht, wenn Filme in den 30er oder 40er Jahren angesiedelt sind. Und müssen wenigstens nicht repariert werden. Fazit von Nikola Fölster: "Was wir hier alle brauchen ist zweierlei: Die Liebe zum Kostüm und die Liebe zum Detail". Und beides, so scheint es, ist bei der "Theaterkunst" im Überfluss vorhanden.

Autorin: Cornelia Rabitz

Redaktion: Jochen Kürten