Rückschlag für Verhandlungen
13. Januar 2012Die Afghanen, die das Video, auf dem die Schändung afghanischer Leichen durch US-Soldaten gezeigt wird, kennen, oder von der Nachricht gehört haben, reagieren entsetzt. Der Islam schreibt höchstmöglichen Respekt vor einem toten Körper vor. Ein Verstorbener muss daher auch sofort beerdigt werden.
"Keine Kultur, keine Religion erlaubt Entweihung von Leichen. Selbst der tote Körper eines Feindes verdient Respekt. Diejenigen, die dieses Verbrechen begangen haben, müssen bestraft werden", sagt Abdul Malik aus Kandahar. Die 25-jährige Marzia Rostami aus Kundus fürchtet, dass die Taliban nun diesen Vorfall für eine Hetzkampagne gegen alle Ausländer in Afghanistan nutzen könnten: "Die Taliban werden sagen: 'Seht mal, sie sprechen von Menschenrechten, aber sie selbst treten die Würde des Menschen mit den Füßen.'" Ihre Landsleute, sagt Rostami, würden vielleicht nicht mehr zwischen den Tätern und den vielen Ausländern im Land unterscheiden, die gekommen sind, um zu helfen. Die zweifache Mutter Rostami hat die Sorge, dass die ohnehin schwierige Arbeit der Hilfsorganisationen ins Stocken geraten könnte. Gerade jetzt im Winter sind viele Afghanen auf die internationale Hilfe angewiesen.
Kabul verlangt Konsequenzen
Der afghanische Präsident Hamid Karsai forderte die US-Regierung auf, den Vorfall sorgfältig zu untersuchen und die Täter vor Gericht zu stellen. In einer kurzen Erklärung des Präsidialamtes heißt es: "Die afghanische Regierung ist zutiefst verstört über ein Video, das zeigt, wie amerikanische Soldaten die Leichen von drei Afghanen entehren."
Laut amerikanischen Medien-Berichten wurden die Soldaten inzwischen identifiziert. Dem Nachrichtensender CNN zufolge soll es sich um Marineinfanteristen vom Stützpunkt Camp Lejeune im Bundesstaat North Carolina handeln. Sie seien zwischen Februar und Oktober 2011 vorwiegend in der afghanischen Provinz Helmand im Einsatz gewesen, meldet CNN.
Annäherung gezielt verhindern?
Die afghanische Regierung versucht seit mindestens zwei Jahren, die Taliban zu Friedensgesprächen zu bewegen. Die selbsternannten Gotteskrieger lehnten bis vor kurzem jede Art von Verhandlungen mit der Regierung von Präsident Karsai und der internationalen Gemeinschaft ab. Doch seit einigen Wochen häufen sich Berichte darüber, dass Teile der Talibanführung durchaus bereit wären, an direkten Friedensgesprächen teilzunehmen. Es wurde sogar gemeldet, dass für die Taliban ein Kontaktbüro im arabischen Golfstaat Katar eröffnet werde.
Diese Initiativen zur Lösung des Afghanistan-Konflikts könnten durch die Veröffentlichung des jüngsten Skandal-Videos einen Rückschlag erleiden, sagt der afghanische Politikexperte Sayffudin Sayhoon. "Meiner Ansicht nach haben die Gegner der Friedensgespräche mit den Taliban bewusst zum jetzigen Zeitpunkt dieses Video veröffentlicht, um eine Annährung zwischen den USA und den Taliban unmöglich zu machen."
Die Taliban selbst haben bislang unterschiedlich reagiert: In einer Mitteilung, die den afghanischen Medien vorliegt, sprechen die Gotteskrieger von dem "Satan Amerika", der wieder einmal sein unmenschliches Antlitz gezeigt habe. Andererseits berichten Agenturen, dass die Taliban ihre Verhandlungen mit den USA fortsetzen wollten. Auf jeden Fall, so der Experte Sayhoon, würden sich die ohnehin zähen Verhandlungen mit den Taliban durch den Vorfall noch schwieriger gestalten, und für Präsident Karsai und alle, die sich für Verhandlungen mit den Taliban eingesetzt haben, sei ihre Aufgabe nicht leichter geworden.
Autor: Ratbil Shamel
Redaktion: Hans Spross / Christian Walz